Katholischer Klartext: Zur Not sind wir dann auch mal weg….

Am 1. März hat eine Gruppe von Katholiken aus Bremen und Köln die Online-Umfrage „Katholischer Klartext“ gestartet, bei der über Reformvorschläge zur Veränderung der katholischen Kirche abgestimmt werden kann. Um den Forderungen nach Veränderungen in der Kirche Nachdruck zu verleihen, wird dort auch die Möglichkeit eines temporären Kirchenaustritts ins Spiel gebracht. Einer der Initiatoren ist der ehemalige Abgeordnete der Bremischen Bürgerschaft Carl Kau. Mit ihm sprach Akademiereferent Matthias Lehnert.

Ihre Online-Umfrage „Katholischer Klartext“ ist eine Initiative von Menschen aus Köln und Bremen. Wie ist diese Verbindung zustande gekommen? Das letzte Bundesligaspiel vom 1. FC Köln gegen Werder Bremen wird es ja wohl nicht gewesen sein…

Wir verfolgen natürlich als Kölner, was unser Heimatverein macht, und lokal natürlich auch, was Werder Bremen macht. Die Punkteteilung war ja durchaus brüderlich (lacht). Nein, meine Frau und ich sind gebürtige Kölner, aus Rodenkirchen und  Junkersdorf. Unserer Heimatstadt sind wir immer noch sehr verbunden, leben aber seit zwanzig Jahren in Bremen. Mit einem Freundeskreis aus der Heimat und auch aus Norddeutschland fahre ich jedes Jahr für eine Woche zu Exerzitien nach Maria Laach in die Eifel, zu den Benediktinern. Daraus hat sich ein Kreis von gläubigen und religiös interessierten Menschen entwickelt. Und bei dieser Thematik hat sich daraus rasch eine Gruppe von acht Initiatoren*innen herausgeschält, die das in die Welt gesetzt hat.

Sie sind ja durchaus persönlich „betroffen“. Ihre familiäre Situation hat Sie bewogen, diese Aktion zu starten.

Ich bin ganz normaler „Kernkatholik“ und insofern akut betroffen gewesen, als ich zum ersten Mal an Weihnachten meine drei Töchter mit Partnern und Kindern nicht mehr in die Kirche bekam, weil die Ablehnung selbst gläubiger Menschen gegenüber dem Klerus so groß geworden ist, dass sie da nicht mehr hinwollen. Ich habe drei erwachsene Töchter, die liiert, aber nicht mehr kirchlich verheiratet sind, und inzwischen auch drei Enkel, die nicht getauft sind. Das schmerzt uns! Das war der emotionale Anlass.

Ich habe dann zwei Bischöfe angeschrieben, Bischof Bode in Osnabrück und Bischof Wilmer in Hildesheim, weil Bremen auf zwei Bistümer verteilt ist. Bischof Bode hat nicht geantwortet. Bischof Wilmer hat mich persönlich angerufen, obwohl wir uns bis dahin nicht kannten, und hat mir auch sein Leiden an der Kirche geschildert. Daraufhin haben wir in dem besagten Freundeskreis beschlossen, einmal die Meinung der schweigenden Mehrheit einzufangen und zu spiegeln. Wir wollen den Teilnehmern unserer Umfrage zeigen, dass sie nicht alleine sind mit ihrem Frust, ihrem Unmut, ihrem Zorn. Den Reformwilligen wollen wir zeigen, in welche Richtung wir tendieren. Und den Ewiggestrigen und Rückwärtsgewandten wollen wir spiegeln, dass es so einfach nicht weitergehen kann.

Sie haben ja einen recht knappen Katalog von fünf kernigen Forderungen aufgestellt. Worum geht es Ihnen?

Wir haben uns ganz bewusst konzentriert, weil man heutzutage in der Medienwelt – und vor allem im Internet – verkürzen muss, um gehört zu werden. Wir haben also fünf Themen ausgewählt, von denen wir meinen, dass sie aktuell die drängendsten sind.

Das ist erstens die Tatsache, dass uns der Klerus monarchisch und absolutistisch erscheint. Wir brauchen demokratische Mitbestimmung! Es kann nicht sein, dass bei allen Themen letztlich immer nur der Herr Pastor in der Gemeinde entscheidet und die anderen Gremien oft übergangen werden.

Zweitens haben wir das Thema Aufarbeitung. Angesichts des Massenmissbrauchs kann es nicht sein, dass immer noch vertuscht wird. Da muss in aller Deutlichkeit aufgeklärt werden. Verantwortliche müssen benannt werden. Der Opferschutz muss im Mittelpunkt stehen, und es muss eine faire Opferentschädigung stattfinden.

Drittens meinen wir, dass der Pflichtzölibat einfach nicht mehr zeitgemäß ist. Es muss den Priestern freigestellt werden, in einer wirklichkeitsnahen Lebensform zu leben, sei es mit Familie oder alleine, aber nicht in dieser zwanghaften Form. Wer sich als Jugendlicher für den Priesterberuf entscheidet, muss dann oft feststellen, dass es doch eine lange Durststrecke ist, bis man 80 oder 90 Jahre alt ist.

Viertens sind wir überzeugt, dass es absolut nicht mehr zeitgemäß ist, 50 Prozent der Menschheit aufgrund ihres Geschlechtes von den Ämtern auszuschließen. Die Aussage, Jesus habe die Kirche nicht bevollmächtigt, Frauen zu weihen, ist einfach rückwärtsgewandt und nirgendwo mehr vertretbar.

Und fünftens schließlich muss bei kirchlichen Finanzen und Vermögen mehr Transparenz her. Der Geheimniskrämerei in diesem Bereich muss ein Ende gemacht werden.

Das sind ja durchaus bekannte Forderungen. Ähnliches haben ja auch schon andere gefordert. Ich denke an Bewegungen wie „Wir sind Kirche“ oder „Maria 2.0“. Aber bei Ihnen können ja die teilnehmenden Personen ihre eigene Positionierung kundtun. Man kann also nicht einfach nur abstimmen, sondern die individuelle Zustimmung zu den einzelnen Punkten äußern. Das haben Sie bewusst so gewählt?

Wir haben gewusst das ganze Spektrum abgedeckt. Sie können sich also sehr abgestuft äußern und sehen dann auch gewissermaßen in Echtzeit ein Stimmungsbild. Beispielsweise bei der Frage, ob man noch Vertrauen in die Reformfähigkeit der Kirche habe, sagen 83 % „Nein!“. Bei der Frage, ob man das Gefühlt hat, durch bloße Ankündigungen immer wieder vertröstet zu werden, sagen 85% „Ja, so ist es!“. Das Neue ist also erstmal, dass die schweigende Mehrheit überhaupt befragt wird. Wir kennen keine ähnlich gelagerte Befragung, wo sich einfache Menschen, die irgendeinen Bezug zur Kirche haben, auf diese Weise äußern können.

Ganz neu ist bei unserem Vorgehen das Element der „Auszeit“. Wir sagen: Wenn es knüppeldick kommt und wir keinerlei Veränderungen erleben, dann wären wir auch bereit, temporär eine Auszeit von der Kirchenmitgliedschaft zu nehmen, um einen finanziellen Druck durch Kirchensteuerentzug zu organisieren. Da sagen immer 54%, dass sie das mitmachen würden. Dann haben wir Mitte Mai den Ökumenischen Kirchentag. Da wird aktuell darüber gestritten, ob man an der Eucharistie- oder Abendmahlsfeier der jeweils anderen Kirche teilnehmen darf. Da sagen fast 86% der Abstimmenden: „Ja! Das können wir mit unserem Gewissen vereinbaren“.

Insgesamt unterschreiben 84% der Leute unsere Forderungen zur Vorstellung bei der Bischofskonferenz! Das ist verkürzt, klar. Das ist nicht theologisch absolut in Tiefe und Gründlichkeit. Aber es gibt erstmals den Menschen die Gelegenheit, sich so deutlich, frei und unkompliziert zu äußern. Das ist neu, und wie wir finden, auch gut.

Es ist ja auch nicht so, dass da nur Ihr engerer Freundeskreis dabei ist. Aktuell sind es etwa 3.500 Unterschriften innerhalb von einer Woche. Das ist also schon eine nennenswerte Größe, und die Abstimmung läuft noch weiter.

Das ist demoskopisch jetzt schon einwandfrei. Wenn Sie Demoskopen fragen, wie viel Teilnehmer sie für eine repräsentative Befragung brauchen, dann spielt sich das ungefähr zwischen 1.000 und 1.200 Teilnehmern ab. Da haben wir jetzt schon die dreifache Menge. Wir werden diese Befragung mit Sicherheit bis zum Ökumenischen Kirchentag offenhalten, vielleicht noch mit einer Nachlaufphase bis Ende Juni. Die Ergebnisse werden wir dann ordentlich kommentiert mit unseren Forderungen der Deutschen Bischofskonferenz und auch dem Vatikan vortragen.

Ich bin zuversichtlich, dass sich das noch weiter verbreitet und da noch eine ganze Menge Stimmen dazukommen werden. Ich habe ja mal ganz euphorisch gesagt, wenn nur fünf Prozent der Katholiken mitmachen, müssten das etwa eine Million Menschen sein. Und mit etwas Öffentlichkeitsarbeit und Medienberichterstattung sollte es uns möglich sein, dass mindestens fünf Prozent der Katholiken ihre Stimme abgeben.

Wie sind denn die Reaktionen spezifisch auf das Element der ‘Auszeit‘? Das ist ja wirklich ein aufsehenerregendes Element. Gibt es dazu Stellungnahmen von Kirchenvertretern?

Nein. Ich habe ein sehr angenehmes Telefonat mit Bischof Wilmer aus Hildesheim führen können. Er hat Verständnis gezeigt und mich gleichzeitig ermutigt, in der Kirche zu bleiben. Wir wollen nicht austreten und uns vertreiben lassen! Aber wir wissen auch, dass die Unterstützung mit Geldmitteln etwas bewirkt und dass das Unterdrücken von Geldmitteln, also das „Nicht-Fördern“ etwas bewirkt. Wahrscheinlich muss man hier bedauerlicherweise ein finanzielles Druckmittel aufbauen, weil sich ansonsten ja nichts bewegt.

Die Kirche schwimmt in Steuermitteln. Von der Bischofskonferenz haben wir die offizielle Zahl, dass der Durchschnittskatholik 300 Euro Kirchensteuer im Jahr zahlt. Das haben wir zugrunde gelegt und kommen so schon jetzt auf eine Million Euro, wenn nur die 3.500 austreten würden. Das wollen wir einmal spiegeln. Nur wenn sich gar nichts bewegt, behalten wir uns den Austritt vor. Dazu bitten wir die Teilnehmenden um die freiwillige Abgabe ihrer Daten, damit wir sie bei einem prominenten Stichtag X anschreiben und auffordern können, ihre Ankündigung wahrzumachen. Dann könnte der Kirche ein beträchtlicher Geldbetrag verloren gehen, und das sollte sie sich gut überlegen.

Sehen Sie das auch als Mittel, um den Synodalen Weg zu beeinflussen, also den Reformprozess, den die katholische Kirche in Deutschland im vergangenen Jahr begonnen hat?

Der Synodale Weg wird mir von Insidern, die an den Beratungen teilnehmen, als eine bloße Wiederholung alter Gesprächsprozesse beschrieben. Ich habe mich auch in meinem Berufsleben im Bankensektor viele Male auf Wege aufmachen müssen, um Organisationen zu reformieren oder Firmen zu restrukturieren. Da beginnt man üblicherweise damit, ein Zielbild aufzuschreiben. Wenn man sich wie beim Wandern auf den Weg macht, muss man erst einmal wissen, wo man hinwill. Auf die Kirche übertragen, heißt das: Man muss wissen, wie die Kirche im 21. Jahrhundert aussehen soll. Mir persönlich ist nicht bekannt, dass es beim Synodalen Weg ein solches Zielbild gibt. Man macht sich also auf den Weg, ohne zu wissen, wo man hinwill. Man stochert im Nebel. Ein klares Zielbild, in dem etwa die deutschen Bischöfe beispielsweise auch gegenüber dem Vatikan sagen, wie sie die Kirche verändert wissen wollen, das fehlt mir.

Nun sind Sie mit Ihrer Befragung vielleicht Pionier. Die Deutsche Bischofskonferenz hat bei ihrer Frühjahrstagung angekündigt, dass man sich der regelmäßig stattfindenden Mitgliederbefragung der evangelischen Kirche anschließen wolle. Was halten Sie denn davon?

Das kommt spät, denn diese Befragung der evangelischen Kirche gibt es seit 1973. Aber ich sehe schon Bewegung. Bischof Bode hat zum Beispiel Anfang März klar geäußert, dass man über die Ordination von Frauen und den Pflichtzölibat reden müsse. Er hat da etwas unglücklich mit den Nachwuchssorgen der Kirche argumentiert, also nicht mit einer sachlichen Einsicht, sondern mit der eigenen blanken Not, dass ihnen die Gläubigen und vor allem die Priesterberufungen wegbrechen. Die Priesterseminare sind ja leer. Im Bonner Priesterseminar, diesem riesigen Kasten, sind meines Wissens aktuell noch 21 Seminaristen. Aber immerhin sieht man jetzt Bewegung. Ich weiß zum Beispiel von Bischof Wilmer, dass er reformwillig ist und bereit ist, Veränderungen mitzumachen. Solche Leute wollen wir mit unserer Befragung unterstützen und diese Unterstützung auch quantitativ sichtbar machen.

Also ist ihr Anliegen wirklich eine ausgestreckte Hand für die, die Reformen befürworten, und nicht ein bloßes „Abwatschen“ der Kirche.

Nein, das ist ganz klar „pro Kirche“. Wir treten für das Verbleiben in der Kirche ein. Wir wollen nicht austreten und uns nicht vertreiben lassen. Aber man kann einfach nicht leugnen, dass spätestens die nächste Generation – unsere erwachsenen Kinder und dann unsere Enkel – der Kirche fernbleibt, weil das Image der Kirche so negativ ist und das Krisenmanagement so schlecht, dass sich die Leute abwenden. Dazu gehören wir nicht. Wir wollen dabei bleiben und für Reformen kämpfen. Dazu gehört aber auch, deutlich zu machen, dass wir uns im Zweifelsfall, wenn sich wirklich nichts ändert, notgedrungen zumindest für eine Auszeit abwenden und unsere Kirchensteuermittel anderweitig spenden werden.

Ich hoffe, dass es dazu nicht kommen muss und danke Ihnen für das Gespräch.

Weitere Informationen und die Möglichkeit zur Teilnahme an der Umfrage finden Sie auf der Internetseite Katholischer Klartext

Bilder

Geht die Kirche baden? Bild: freakwave auf Pixabay, gemeinfrei

Carl Kau. Bild: privat

Zweifeln an der Kirche. Bild: KEEM IBARRA on Unsplash, gemeinfrei

Frauen? Fehlanzeige. Kardinal Raymond Leo Burke mit Entourage bei einer Priesterweihe. Bild: Phil Roussin auf Flickr (CC BY-NC-ND 2.0)

Auszeit vom Klingelbeutel? Bild: Bernhard Riedl auf Pfarrbriefservice.de

18. März 2021 || ein Gespräch mit Carl Kau, Mitinitiator der Online-Umfrage „Katholischer Klartext“