Auf dem Weg sein

Vier Fragen an Jürgen Wiebicke

Wie wichtig ist es, in dieser besonderen Zeit im Gespräch zu bleiben, sich auszutauschen und Kontakt zu halten?
Ich möchte zunächst einmal bemerken, dass es immer wichtig ist, im Gespräch zu sein. Ich glaube an die Macht der Wörter und ich bin überzeugt davon, dass man durch Gespräch über Grenzen hinweg ganz viel bewirken kann. Ich bin ein Optimist bezogen auf die Möglichkeit, mit Sprache die Welt zu verändern. Das gilt eigentlich immer. Und jetzt in dieser besonderen Situation, merke ich, dass die Atmosphären noch einmal wichtiger werden. Ich sehe, dass Menschen ganz schnell in Einsamkeit versinken können und sich dabei auf eine andere Art kennenlernen, wenn die Routinen des Alltags wegfallen. Das sind neue Erfahrungen, die jeder macht und denen jeder ausgesetzt ist. Sich offen darüber auszutauschen, was gerade mit einem los ist – das kann als geteilte Erfahrung rettend sein. Jedenfalls geht es mir so, dass ich merke, in einer solchen Situation bin ich nicht der Einzige, der zwischendurch düstere Momente erlebt.

Wie kam es zu der Idee, einen Podcast mit Franz Meurer aufzunehmen?
Ich habe selbst schnell gemerkt, dass sich meine Arbeitsbedingungen verändern, weil unklar war, ob man noch Radio machen kann, ob man noch das Haus verlassen darf… Ich denke an die Situation ganz am Anfang, als es darum ging, ob es möglicherweise Ausgangsbeschränkungen geben wird. Gleichzeitig habe ich sofort gemerkt: Das ist die Stunde, um sich zu verbinden. Um die Gedanken ein bisschen „seelsorgerisch“ zu begleiten. Darum habe ich Franz Meurer gefragt, ob er sich vorstellen kann, mit mir einen Podcast zu machen, und er war sofort begeistert. Wir wollten über uns zu anderen sprechen. Ich habe ihn gefragt, weil ihn vielen kennen und wir uns gut verstehen und weil ich weiß, dass wir viel voneinander lernen können, andererseits auch ganz unterschiedlicher Auffassung sind. So haben wir kurzerhand ein Zimmer in seinem Pfarrhaus in ein Ministudio umgebaut.

Wie waren die Reaktionen und Rückmeldungen, die Sie auf den Podcast erhalten haben?
Ich habe mich gewundert, wie schnell man ein Publikum gewinnen kann. Wir benötigten natürlich digitale Helfer im Hintergrund, um den Podcast technisch schnell aufzuziehen. Es kamen sehr früh viele Rückmeldungen, die sehr persönlich waren, die davon handelten, was es in einem auslöst, wenn man zwei Menschen dabei zuhört, wie sie ihre Gedanken entwickeln, ohne vorher genau zu wissen, wohin das Gespräch sie führt. Ich glaube, genau dieses Offene, ohne festes Programm, ohne vorab zu klären, was wir alles besprechen wollen, sowie das tastende und langsame Denken, das erst mal darauf ausgerichtet ist, nicht zu verstehen und voneinander zu lernen, dass diese Komponenten gut zu dieser besonderen Zeit passen. Jetzt, wo der Podcast vorbei ist, kommen viele traurige Nachrichten, dass wir aufgehört haben.

Was ist Ihr persönlicher Tipp für diese besondere Zeit?
Jeder Mensch muss persönliche Strategien entwickeln. Jeder muss schauen, was ihm hilft und gut tut. Ich empfehle dringend Nachrichten-Diät. Mir persönlich reicht es, wenn ich zwei Stunden am Tag Zeitung lese, dann muss ich im Laufe des Tages nicht noch jeden News-Ticker anschauen. Außerdem sich an den Dingen im Alltag zu erfreuen: gutes Essen, guter Wein, Nähe zu Menschen, das ist wichtig.

Hier finden Sie alle Folgen des Sinnsucher-Podcasts von Franz Meurer und Jürgen Wiebicke. Viel Freude beim Hören!

Jürgen Wiebicke ist Philosoph, Journalist und Schriftsteller. Bei WDR 5 moderiert er jeden Freitagabend »Das philosophische Radio«.

Bild: Jürgen Wiebicke (R. Spekking, Wikimedia)

Titelbild: unsplash.com

30. April 2020 || empfohlen von Anne Pesch, Akademiereferentin für Öffentlichkeitsarbeit