Ich packe meinen Koffer.
Liebe Frau Dr. Peters, Sie sind eine der ganz wenigen Frauen in der Riege unserer Reiseleiterinnen und Reiseleiter – und die Einzige mit einem Wikipedia-Eintrag. Kunstgeschichte, klassische Archäologie und französische Philologie – das ist für eine Reiseleiterin erst einmal „nichts Besonderes“. Die Inventarisierung kirchlicher Kunst stelle ich mir schon etwas spezieller vor.
Was haben Sie – außer einigen wenigen Reisen im Sommer – vergangenes Jahr gemacht?
In der Tat konnte ich auch 2020 im Auftrag des Erzbistums Berlin kirchliches Kunstgut katalogisieren und fotografieren. Seit rund 25 Jahren mache ich das für verschiedene deutsche Bistümer. Dabei empfinde ich die Arbeit mit Kirchensilber oder Paramenten in stillen Sakristeien und den einsamen Aufstieg zu den Glocken als schönen Ausgleich zur eher quirligen Reiseleitertätigkeit. Während aber die Dachbodenfunde der Inventarisatorin meist wenig Interesse wecken, darf die Reiseleiterin unterwegs in Frankreich oder Italien ihre Entdeckerfreude mit den Gästen teilen. Zuletzt war ich 2020 in der neugegründeten Pfarrei St. Bernhard Stralsund unterwegs. Sie erstreckt sich als flächengrößte Gemeinde Deutschlands zwischen Rügen und Altentreptow. Wenn der Pfarrer einmal von Norden nach Süden seinen Sprengel quert, ist das eine Tagesreise von 136 Kilometern. In der Diaspora sind selten große Kunstwerke anzutreffen, aber immer engagierte und ungewöhnliche Menschen. Für eine katholische Rheinländerin sind das interessante Begegnungen.
Außerdem habe ich, zusammen mit dem Sohn des Künstlers, ein schmales Buch über einen vergessenen Bildhauer geschrieben. Es geht um Hans Wissel (1897-1948), der in den 20er Jahren Professor an den Kölner Werkschulen war. Damals schuf er wichtige „Blechplastiken“, u. a. für Kirchenbauten von Dominikus Böhm und Otto Bartning. Momentan sitze ich über den Korrekturfahnen, denn das Buch soll im Juni erscheinen.
Und schließlich hat mich der Lockdown verlockt, nach dreißig Jahren der völligen Vernachlässigung meine Querflöte wieder hervorzukramen. So übe ich nun fast täglich Sonaten von Bach oder Händel. Das macht mir viel Freude, den Nachbarn vermutlich weniger.
Vor wenigen Wochen haben wir mit Ihnen absolutes Neuland betreten: gemeinsam haben wir unser erstes Crowdfunding-Projekt gestartet. Dabei dreht sich alles um Ella Brösch und die kirchliche Textilkunst, sogenannte Paramente. Ella Brösch wirkte unter anderem – genau wie Sie – in Bonn. Ein Zufall? Oder: wie sind Sie auf Ella Brösch überhaupt aufmerksam geworden?
Schon in meiner Dissertation ging es um Sakralkunst der 20er und 30er Jahre. Damals habe ich in staubigen Zeitschriften recherchiert und beispielsweise auch alle Feuilletons der Kölnischen Volkszeitung von 1918 bis 1941 durchgesehen. (In Sachen Kunst war ich immer schon pedantischer als im Haushalt). Gelegentlich stieß ich dabei auf Ella Brösch. Es ist nicht nur Lokalpatriotismus, wenn ich mich als langjährige Bonnerin mit der Gründerin der dortigen Fachschule für kirchliche Textilkunst beschäftige. Durch ihre Unterrichtstätigkeit in Bonn und später in Saarbrücken, aber auch durch ihre Zeitschrift, in der sie Schnittmuster und Vorlagen für Paramentenvereine publizierte, war Brösch enorm einflussreich.
Bei Redaktionsschluss haben wir gut zwei Drittel des erhofften Betrages von € 1.500,00 beisammen. Sofern wir das letzte Drittel auch noch schaffen, verraten Sie uns doch bitte, wie das Projekt konkret weiter geht.
Zunächst handelt es sich ein wenig um Detektivarbeit. Ich gehe Hinweisen nach, die ich in Akten oder zeitgenössischen Publikationen finde. Dann schreibe ich die Gemeinden an, bei denen ich Gewänder, Wandbehänge oder Fahnen Bröschs vermute. Dabei ist mir das Engagement der Thomas-Morus-Akademie eine große Hilfe. Die Unterstützung einer angesehenen Kultureinrichtung macht deutlich, dass meine Anfrage nicht einer private Marotte entspringt, sondern einem wissenschaftlichen Anliegen. Manchmal lande ich einen unverhofften Treffer. Kürzlich war ich unterwegs, um eine Kasel anzuschauen, die ich von einem 1940 publizierten Foto kannte. Was ich dann vorfand, überstieg alle meine Erwartungen: Schränke voller Paramente von Brösch und ihrer Werkstatt. Ein auch nur annähernd vollständiges Werkverzeichnis Bröschs zu erstellen, wird mir sicher nicht gelingen. Aber ich möchte eine verlässliche Chronologie erarbeiten und die Entwicklung ihres Oeuvres in Beziehung setzen zu dem ihrer Kolleginnen und zur Liturgiegeschichte. Wunderbar wäre es natürlich, wenn das Crowdfunding so erfolgreich wäre, dass eine Publikation in greifbare Nähe rückte.
Das klingt ganz so, als wenn Ihnen nicht langweilig werden würde. Manches passiert aber ja auch ganz spontan. Wissen Sie noch, wo Sie gestern vor zwei Jahren waren? (16.4.2019)
Da war ich „im Fernsehen“ und das kam so: am Vorabend tagte mein privater Kunstkreis im Wohnzimmer einer frankophilen Dame, die plötzlich einen Anruf von französischen Freunden erhielt – die Kathedrale von Paris stehe in Flammen. Als ich sehr spät und ein wenig beschwipst nach Hause kam – der Kunstkreis klingt seit Jahren mit einem Glas Sekt aus – hatte ein Herr von Phoenix schon mehrfach und recht verzweifelt wegen eines Interviews angerufen. Zu dieser Zeit jobbte meine Tochter als Studentin im Sender, wo man fieberhaft nach einem Experten suchte. Meine Tochter merkte bescheiden an, ihre Mutter sei zufällig Kunsthistorikerin. Ich wurde also für den Vormittag des 16.4. zum Interview eingeladen, was für mich sehr spannend war. Übrigens hatte ich nach dem Kunstraub im Grünen Gewölbe noch einmal einen Auftritt. So schnell avanciert man zur „Expertin“! Ich hatte einfach nur den Vorzug, in einer Viertelstunde im Bonner Studio sein zu können. Aber natürlich geht mir das Schicksal von Notre-Dame tatsächlich nahe.
In diesem Interview sprachen Sie davon, dass der Wiederaufbau vermutlich Jahrzehnte in Anspruch nehmen werde. Der französische Präsident Macron hingegen sprach von einem „noch schöneren Wiederaufbau“ innerhalb von fünf Jahren. Wenn Sie im September diesen Jahres mit der Thomas-Morus-Akademie nach Paris reisen – was glauben Sie, werden Sie dort vorfinden?
Die Kathedrale wird sich wohl immer noch hinter einem Bauzaun verbergen und äußerlich werden vermutlich kaum Fortschritte zu sehen sein. Ein solches Projekt erfordert eben viel Sorgfalt, Zeit und Geld. Aber Paris ist trotzdem immer eine Reise wert.
Apropos Frankreich und Reisen: Wenn Sie sich für einen Tag beliebig oft teleportieren könnten, in welchen drei Museen, Cafés, Parks … würde man Sie in jedem Fall antreffen?
Auf jeden Fall im Museé Cluny in Paris, dessen Restaurierung bald abgeschlossen sein wird. Das spätgotische Palais, das sich die Äbte von Cluny an den erhaltenen Kuppelsaal der römischen Thermen anbauten ließen, birgt Kostbarkeiten mittelalterlicher Kunst. Ich würde mich vor den berühmten Tapisserien niederlassen, die eine geheimnisvolle Dame mit Einhorn zeigen. Und dann käme wohl die Erinnerung an eine Sternstunde als Reiseleiterin: einmal durfte ich hier im Allerheiligsten des Museums vor den Teppichen für meine Gruppe aus Rainer Maria Rilkes einzigem Roman rezitieren: „Es giebt Teppiche hier, Abelone, Wandteppiche …“.
Anschließend ließe ich mich in die Brasserie Excelsior in Nancy „beamen“. Vermutlich würde ich nicht einmal recht merken, was ich auf dem Teller habe, so sehr lenkt das phantastische Jugendstil-Ambiente ab. Ein wunderbar erhaltenes und trotzdem nicht museales Juwel des Art Nouveau der Ecole de Nancy.
Da das Teleportieren hoffentlich keinen ökologischen Fußabdruck hinterlässt, ginge es danach gleich in die großartige Landschaft der Pyrenäen. Seit ich sie einmal mit meiner Tochter zu Fuß überquert habe, träume ich von den einsamen, mit Azaleen übersäten Berghängen. Aber vielleicht würde ich mich noch lieber mit einem kleinen Hausgarten in der Nähe von Paris begnügen. Dort wohnt eine liebe Kollegin, mit der ich erstmals im Sommer 2020 eine Woche lang im Duett geflötet habe. Ohne Corona wären wir beide natürlich unterwegs gewesen. Nun planen wir den nächsten „stage de musique“ im kommenden Winter.
Last but not least verraten auch Sie uns bitte: welcher Gegenstand darf in Ihrem ganz persönlichen Koffer niemals fehlen?
Das kleine Fernglas, das mein Mann mir vor vielen Jahren geschenkt hat. Damit kann ich Kapitelle in schwindelnder Höhe oder Details mittelalterlicher Glasfenster genau betrachten. Leider taugt es nicht, die derzeit durch die Pandemie so weit entfernten Kunstorte nah heranzuholen. Das kann momentan nur die Phantasie, die aber im Gepäck auch nie fehlen sollte.
17. April 2021 || das Gespräch führte Sandra Gilles, Teamleiterin im Referat Ferienakademien
Dr. Elisabeth Peters ist Kunsthistorikerin.
Weitere Infos finden Sie auf ihrer Internetseite.
Mehr zum Crowdfunding-Projekt „Ella Brösch und die kirchliche Textilkunst“ finden Sie hier.