Und das Wunderbare war ich
Thomas Manns „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“
Mit der Wahrheit nimmt es der Erzähler aus Thomas Manns berühmtem Roman „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ nicht allzu genau. Im Gegenteil lautet seine Devise: „Welch eine herrliche Gabe ist nicht die Phantasie, und welchen Genuss vermag sie zu gewähren!“ Ein Besuch der Wiesbadener Operette wird ihm zum Erkenntnismoment: Dem Schauspieler gehört die Welt. Fortan reist er mit wechselnden Identitäten und einer gehörigen Portion Hochmut durch Europa. Der Schelmenroman gehört entsprechend zu den lustigsten Werken in Thomas Manns Œuvre. Hinter der Leichtigkeit der Hochstaplerhandlung, hinter Ironie und komischer Figurenzeichnung verbirgt sich aber vieles mehr: Der Roman parodiert Bekenntnisschriften unterschiedlicher Epochen, ist Künstlerroman, Reiseliteratur und sogar ein wenig Autobiografie. Er zeugt von Thomas Manns intensiver Beschäftigung mit Philosophie und Naturwissenschaften. Zudem lässt sich anhand der umfangreichen Materialsammlungen zum „Felix Krull“ der Entstehungsprozess dieses Textes ganz besonders gut verfolgen.
Diese Thomas Mann-Akademie spürt dem Werden des Romans nach, der Thomas Mann fast 50 Jahre lang begleitet hat, reflektiert das Künstlerportrait und gibt an besonderen Orten Einblicke in die Topographien und Motive des Romans.
Über Ihr Interesse freuen wir uns!
Donnerstag, 31. August 2023
Individuelle Anreise zum Radisson Blu Schwarzer Bock Hotel****, Wiesbaden.
15.00 Uhr I Begrüßung
Willkommen zur Thomas Mann-Akademie!
Begegnungen und Gespräche bei Kaffee, Tee und Gebäck
Susanne Bonenkamp M.A.
Dr. Birte Lipinski
Prof. Dr. Hans Wißkirchen
15.30 Uhr | Vortrag und Gespräch im Hotel
„Der Roman auf seiner Höhe kann alles.“
Der „Felix Krull“ als Lebensbuch
Der „Felix Krull“ ist das Buch, das Thomas Mann fast das ganze Leben lang begleitet hat. Seit 1905 konzipiert, erschien 1922 der erste Teil. Nach einem langen und erfolgreichen Leben, in den verschiedensten Ländern und den unterschiedlichsten Gesellschaftssystemen, ist der „Krull“ 1954 sein letztes, wenn auch unvollendetes Werk. Indem die Entstehungsgeschichte des Romans erzählt wird, wird damit ein ganz eigener Blick auf die Lebensgeschichte, das literarische Schaffen und die zentralen Themen Thomas Manns geworfen. Denn: Wer den „Krull“ versteht, der versteht auch Thomas Mann!
Prof. Dr. Hans Wißkirchen
17.30 Uhr | Abendessen im Hotelrestaurant
19.00 Uhr I Spaziergang zum Literaturhaus Villa Clementine
19.30 Uhr I Lesung und Gespräch im Literaturhaus Villa Clementine
Von Künstlern und Hochstaplern
Leopold Tyrmands „Filip“ und Hans Pleschinskis „Königsallee“
Was für eine Entdeckung! 60 Jahre nach seinem Erscheinen wurde der brillante Roman „Filip“ ins Deutsche übersetzt. Der polnische Schriftsteller Leopold Tyrmand erzählt darin die Geschichte eines Juden, der als Kellner im Frankfurter Parkhotel als „jüdischer Felix Krull“ den Nationalsozialismus überlebt. Hans Pleschinski liest aus der Hotelgeschichte, stellt ihr seinen Roman „Königsallee“ gegenüber und spricht über das Spiel zwischen Fakt und Fiktion, über den Schriftsteller als Hochstapler und über den Schalk als Überlebensstrategie.
Hans Pleschinski, Schriftsteller
Freitag, 1. September 2023
Frühstück
9.00 Uhr | Vortrag und Gespräch im Hotel
Ein „Spiel auf meiner eigenen Natur“
Schauspiel, Wahrheit und Fiktion im „Krull“-Roman
Felix Krull betreibt das Leben als Schauspiel: „…wo bliebe das Leben und jegliche Freude, ohne die ja kein Leben ist, wenn der Schein nichts mehr gälte?“ Er liebt es, verschiedene Rollen einzunehmen und sorgt sich keinesfalls um die Authentizität seiner Person. So agiert er auch als Erzählinstanz des Romans: Zwar pocht er in den einleitenden Worten auf die Wahrheit, doch wer mag diesem Meister der Verstellung trauen? Vortrag und literarisches Gespräch befassen sich mit dem Schauspielmotiv im „Krull“-Roman, dem Erzählen als Rollenspiel und den Masken der Künstlerexistenz.
Dr. Birte Lipinski
10.45 Uhr I Spaziergang zum Hessischen Landesmuseum für Kunst und Natur
11.15 Uhr I Kuratorenführung durch die Naturhistorische Sammlung
Auf den Spuren der Seelilie
Professor Kuckucks heutige Kollegen und deren Sicht von Welt
Die Begeisterung des 19. Jahrhunderts für Naturkundliches spiegelt sich in den Abteilungen der Landesmuseen, die meist auf Sammlungen naturwissenschaftlich interessierter Missionare, Kaufleute und Reisender zurückgehen. Ihre universelle Neugier schlug auch in Projektionen und Assoziationsketten um, die in der ersten Begegnung unseres Protagonisten Felix und dem leidenschaftlichen Paläontologen Kuckuck im Zug nach Lissabon persifliert werden. Unter den Versteinerungen aus der Region, als Hessen vor 400 Millionen Jahren ein großes Meer war, befinden sich auch besagte Seelilien.
Fritz Geller-Grimm, Leiter der Natur-historischen Sammlungen
Gelegenheit zur individuellen Mittagspause
14.30 Uhr I Lesung und Gespräch im Café
Maldaner
„Von dem Kaffee nahm er stets mehrere Täßchen...“
Wiener Kaffeehauskultur mitten in Wiesbaden
Ein bedeutendes Ereignis für den vierzehnjährigen Felix Krull ist die Begegnung mit dem Schauspieler Müller-Rosé nach einer Operetten-Aufführung in Wiesbaden. Hinter der entzückenden Anmut seiner Bühnenpräsenz steckt ein schmieriger, von Pickeln bedeckter Mensch, der sich noch dazu vulgär ausdrückt. Felix erkennt das Bedürfnis der Menschen nach Illusion und Verführung und macht sich dies zum Lebensprinzip.
Armin Nufer, Sprecher, Schauspieler und Regisseur
16.45 Uhr I Gang zur Sektmanufaktur „Pearls“
17.00 Uhr I Dégorgement und Schaumweinverkostung
Keine „so verrufene Substanz“!
Edle Perlen im Glas
Der Sekt des rheinischen Schaumwein-Fabrikanten und „armen Vaters“ Engelbert Krull war eine abscheuliche Mixtur, erschien aber in besonders vornehmer Verpackung. Ein Besuch der heutigen Sektmanufaktur von Henkell Freixenet in der Mauergasse macht das Sekthandwerk und die traditionelle Herstellung mit allen Sinnen erlebbar.
Abend zur freien Verfügung
Samstag, 2. September 2023
Frühstück
9.00 Uhr | Vortrag und Gespräch im Hotel
„Ich sammle, notiere und studiere...“
Quellen und Traditionen
So leichtfüßig der „Krull“ dem Leser entgegentritt, so vielschichtig sind zugleich die Werkspuren seines Autors. Als Schelmenroman, als Parodie, als Hochstaplerposse kann das Romanfragment gelesen werden. Doch es ist mehr: Eine Hommage an den großen Goethe, ein Stück Autobiografie. Den konkreten Quellen Thomas Manns nachzuspüren, ihre unterschiedliche Gewichtung im Entstehungsprozess zu entdecken und dabei die Unterschiede zwischen Früh- und Alterswerk identifizieren zu können, hat großen Reiz.
Dr. Thomas Sprecher, Herausgeber des „Krull“ in der Großen kommentierten Frankfurter Ausgabe des S. Fischer Verlags, war von 1994 bis 2012 Leiter des Thomas-Mann-Archivs der ETH Zürich
10.30 Uhr I Kaffee- und Teepause
10.45 Uhr | Gespräch im Hotel
„Idealer Krull“, „alberne Groteske“, „leicht-füßiger Kostümfilm“?
Szenen der Romanverfilmungen im Vergleich
„Die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ wurden mehrfach verfilmt: 1957 führte Kurt Hoffmann Regie, schuf einen vielfach ausgezeichneten Film und erfand für das Romanfragment ein eigenes Ende. Detlev Bucks Werk von 2021 wartet mit einer Starbesetzung auf, wurde aber – wie Literaturverfilmungen so oft – kontrovers diskutiert. Gemeinsam sichten wir Szenen im Vergleich, besprechen, wie der Roman und seine schillernde Hauptfigur hier interpretiert werden, und suchen nach dem jeweils Zeittypischen der so unterschiedlichen Fassungen.
Dr. Birte Lipinski
Dr. Thomas Sprecher
Prof. Dr. Hans Wißkirchen
Gelegenheit zur individuellen Mittagspause
14.30 Uhr I Geführter Stadtrundgang
„Wasser - Villen - Grüne Paradiese“
Wiesbaden als Bühne der Gesellschaft
Der Dreiklang nennt die zentralen Themen der Stadt, die das von Internationalität, Luxus und Amüsement geprägte gesellschaftliche Leben rund um den Kurbetrieb im 19. Jahrhundert zur Leitlinie ihrer Entwicklungspolitik machte. Bis in die Gegenwart hinein wird das Stadtbild Wiesbadens vor allem durch die zahlreichen und vielfältigen Zeugnisse dieser Epoche geprägt. Ein Rundgang durch die Kurstadt macht mit den wichtigsten Plätzen vertraut.
Rainer Niebergall, Gästeführer
18.45 Uhr | Abendessen im Hotelrestaurant
20.15 Uhr | Filmvorführung im Hotel
„Sie haben die Wahl!“
À la Gertrude Stein: Ein Film ist ein Film ist ein Film ist ein Film.
Nach dem analytischen Vergleich am Vormittag ist es reizvoll, einen der beiden Streifen ein weiteres Mal zu sehen. Welcher es sein wird, wird gemeinsam entschieden. Mit Abstand, in Muße und in Gänze stellen sich bestimmt neue Erkenntnisse ein.
Sonntag, 3. September 2023
Frühstück
Gelegenheit zum Besuch eines katholischen Gottesdienstes
9.30 Uhr I Vortrag und Gespräch im Hotel
„Aus dem Seelenleben eines Verbrechers“
Georges Manulescu als Inspiration für Thomas Mann
Der Hoteldieb und Hochstapler Georges Manolescu war um 1900 eine Weltberühmtheit. Als falscher Fürst Lahovary und unter mehreren anderen Namen und Titeln betörte er die Schönen und Reichen und nahm sie aus. Die in zwei Bänden verfassten Memoiren dieses „Jahrhunderthochstaplers“ (Peter Sloterdijk) von 1905 stellen eine Hauptquelle für Thomas Manns „Krull“ dar.
Dr. Thomas Sprecher
12.00 Uhr I Mittagsimbiss im Hotelrestaurant
13.00 Uhr | Verabschiedung
Bis zur nächsten Thomas Mann-Akademie!
Änderungen im Programmverlauf und in der Organisation bleiben vorbehalten.