Den Tag ausklingen lassen mit Fernando Pessoa am Kai des Tejos in Lissabon
Im Lissabonner Stadtteil Campo de Ourique steht die Casa Fernando Pessoa, in der dieser wohl berühmteste Literat Portugals des 20. Jahrhunderts, von der literarischen Öffentlichkeit unbemerkt, eine rege schriftstellerische Tätigkeit entwickelt hat. Ein besonderes Kennzeichen seines Schaffens sind die verschiedenen Heteronyme wie Alberto Caeiro, Álvaro de Campos oder Ricardo Reis, fiktive Persönlichkeiten mit einer eigenen Biographie und Philosophie, die dem Leser immer wieder begegnen.
Gerne würde ich als Deutschportugiese mit diesem Mann bei einer Ginginha (Sauerkirschlikör) und einer bica (kleiner Kaffee) am Kai des Tejo auf der Lissabon gegenüber liegenden Seite in Cacilhas eine abendliche Stunde verbringen, nicht in seinen Lieblingscafés, A Brasileira oder Martinho do Arcada, die durch den Tourismus atmosphärisch deformiert sind, und ihm, der dem Kleinen im Alltagsgeschäft des Lebens so viel Aufmerksamkeit zollte, ein paar Fragen zur Schönheit der Stadt, zum Staunen inmitten aller Hektik und zur Bedeutung von Freundschaft in Zeiten digitaler Anonymisierung stellen.
Vielleicht würde er mir aus der legendären Truhe, in der sich die Summe seiner niedergeschriebenen Gedanken als unveröffentlichte Manuskripte schichteten, den einen oder anderen Zettel wie eine saftige Feige oder erfrischende Melone reichen, stumm und neugierig dabei wie ich während des Lesens wohl schaute und was ich dazu zu sagen hätte. Und sicherlich würde mich bei allen Worten, die er mir reichte, ob jenen aus seinem Buch der Unruhe oder des Orpheu, den Schriften zur Literatur und Kunst, wie auch den noch unbekannten Gedanken die gleiche Ahnung überkommen, in der ich ihn selbst würde reden hören:
Wer ich bin? Ich weiß es nicht! Ich fühle mich vielfältig, so wie meine Heteronyme es bezeugen. Ich lebe fremde Leben, sie sind ein Teil von mir. Ich lebe sie, unvollendet und als Fragment als hätte ich darüber Anteil an aller Menschen Leben!
Als Pessoa, als Person, die anfragt und den Menschen des 20. Jahrhunderts noch vor Camus oder Sartre als angefragtes Wesen in seinen Werken aufscheinen lässt, bleibt er der nachdenkliche und stille Mann, der im Leben nie ganz zu Hause war – so fremd und doch auch so vertraut!
18. Juli 2021 || ein Beitrag von Dr. Arno-Lutz Henkel, Theologe und Kunsthistoriker, katholischer Priester mit portugiesischen Wurzeln, Pfarrer in der Pfarreiengemeinde Bad Neuenahr-Ahrweiler
Den Tag ausklingen lassen mit…
Mit Jesus über Gott und die Welt reden, mit Mahatma Gandhi über zivilen Ungehorsam debattieren, mit Jean-Paul Sartre philosophieren, mit Yoko Ono und Banksy über Kunst, mit Michelle Obama über Gerechtigkeit sprechen… bei einem Glas Wein oder einem Drink.
Es gibt unzählige Menschen, denen werden wir nie begegnen, die uns jedoch sehr faszinieren und mit denen wir uns gerne einmal austauschen möchten. Welche Fragen würden wir ihnen stellen? Welche Antworten würden sie geben? Was genau fasziniert uns an ihnen?
In unserer neuen Sommer-Reihe haben wir Personen, mit denen die Akademie verbunden ist, gefragt, mit wem sie gerne einmal den Tag mit einem Sundowner ausklingen lassen möchten.
Übrigens soll der Sundowner von der britischen Marine erfunden worden sein. Mit diesem Ritual sollte ein Austausch unter der Mannschaft stattfinden. Austausch, Gemeinschaft, Begegnung… danach sehnen auch wir uns.