Vom Agnus Dei zum lepus paschalis? Wie der Osterhase zum säkularen österlichen Symboltier wurde

Heutzutage ist der „Osterhase“ geradezu „Symboltier für Ostern“ geworden. Bei den Kirchenvätern dagegen war der Hase verpönt. Man sollte ihn nicht einmal verspeisen, weil er angeblich sinnlich macht. Seiner ausgedehnten Liebeswerbung und seiner Fruchtbarkeit wegen galt der Hase früher als Symbol der Sinnlichkeit. Wie aber der Hase zum Osterhasen wurde erklären zwei Theorien. Die populärere vermutet, der Osterhase sei abgeleitet von einem misslungenen Ostergebildebrot: Ein Osterlamm sei als Osterhase gedeutet worden, weil es sich im Backofen verformt habe. So sei aus einem „agnus dei“ ein „lepus paschalis“ geworden. Außer dem bloß Spekulativen spricht gegen diese Theorie, dass sie die Rolle des Osterhasen als Eierlieferant und – verstecker nicht erklärt. Mehr spricht für eine zweite Theorie, die den Osterhasen als eine „evangelische Erfindung“ – vergleichbar dem „Adventkranz“ – betrachtet.

Während sich unter den Katholiken die Tradition des gefärbten Ostereis und seine liturgische Einbindung, die Eierweihe, über Jahrhunderte erhielt, gerieten diese Bräuche in die evangelische Kritik: Die Heidelberger Dissertation des Arztes Johannes Richier „De ovis paschalibus / von Ostereiern“ aus dem Jahr 1682 kritisiert die Ostereier („ova paschalia“) als Irrtümer aus alter Zeit. Sein Anliegen ist aber primär ein medizinisches. Er äußert sich über die häufigen Erkrankungen nach dem reichlichen Genuss von „Haseneiern“ und berichtet von verschiedenen Fällen, in denen der übermäßige Genuss hartgekochter Ostereier bei Jung und Alt schwere Magen- und Darmstörungen hervorrief: Ein Franziskaner büßte auf Ostern an den von ihm gesammelten Ostereiern das Leben ein. Ein anderer hatte „zur österlichen Zeit ein rothes Ey gantz wollen hineinschlucken, es ist aber das Ey zu gross und sein Halß zu klein gewesen, dass er alsobald daran ersticket“. Und in diesem Zusammenhang kommt der Arzt auch auf den Osterhasen zu sprechen. Er schreibt u.a.: „Man macht dabei einfältigen Leuten und kleinen Kindern weis, dass der Osterhase diese Eier ausbrüte und sie im Garten verstecke“. Unterschwellig werden die Ostereier als solche, die im 17. Jahrhundert eine bloß katholische Erscheinung waren, kritisiert. Von katholischer Seite wurden sie als Symbol des auferstandenen Christus verstanden, die – gefärbt und gesegnet – als segenspendend galten; sie waren letztlich auch ein Ergebnis der katholischen Fastenordnung, die den Eiergenuss in der Fastenzeit ver-bot. Auf evangelischer Seite waren die Ostereier dagegen Ausdruck einer falschen Werkgerechtigkeit. Nach reformatorischer Sicht aber wurde man vor Gott nicht durch verdienstliche Werke, und sei es auch das Fasten, sondern allein wegen seines Glaubens („sola fide“) gerecht. Populär ließ sich das in die sprachliche Formel gießen: „Eier machen keine Ostern“ – als ob dies die andere Seite behauptet hätte!

Die evangelische Ablehnung der katholischen Ostereier hat die Einführung von – jetzt allerdings säkularen – Ostereiern bei evangelischen Christen nicht verhindern können. Und eben diese säkularen Ostereier brachten die Einführung des Osterhasen mit sich. Seit ungefähr 1700 lassen sich einerseits vermehrt evangelische Schriften gegen die „Auswüchse des Osterglaubens“ belegen, die katholisches Osterbrauchtum zu bekämpfen suchen. Parallel dazu bildete andererseits das städtische evangelische Bürgertum den Nährboden für die sich anbahnende evangelische Ostereierakzeptanz: Das Bürgertum schuf um 1800 nicht nur eine romantisch-rührselige Familienwelt, sondern in ihr eine eigene – vermeintlich kindgemäße – Kinderwelt, eine Mischung aus Gutwilligkeit und Pathos, Sentimentalität und Naivität.

Zu diesem Zeitpunkt waren die Ostereier in städtischen gutbürgerlichen Familien bereits akzeptiert, allerdings nicht als religiöses Symbol oder kultisches Attribut, sondern – als Teil einer familiären und zugleich säkularen österlichen Festinszenierung – als Kindergeschenke. Typisch für diese säkularen Ostereier war, dass sie – von den Eltern versteckt – von den Kindern gesucht werden mussten. Eine solche Ostereiersuche ist für 1783 (interessanterweise für Gründonnerstag!) aus dem Hause Goethes in Weimar belegt. Nicht ohne Grund, denn die Ostereiersuche und damit dann auch der Osterhase tauchen ausnahmslos in evangelischen Gegenden und bei evangelischen Autoren auf. Gerne wird bei Erklärungsversuchen auf die Fruchtbarkeit der Hasen oder ihr Verhalten während der vorösterlichen Paarungszeit verwiesen: Hasen verharren still auf einer Stelle (die dann Ort der Eierablage sein könnte), um dann plötzlich davon zu hoppeln. Der Osterhase ist eine städtische Erfindung.

Wenn der Osterhase auch erst um 1800 seinen Siegeszug beginnt, ist er dennoch älter. Die Heidelberger Dissertation Richiers von 1682 berichtet: „In Oberdeutschland, in unserer Pfalzgrafschaft, im Elsaß und in benachbarten Gegenden sowie in Westfalen werden die Eier [= Ostereier] ,Haseneier’ genannt, nach der Fabel, die man den Naiveren und den Kindern einprägt, dass der Osterhase solche Eier lege und in den Gärten im Grase, in den Obststräuchern usw. verstecke, damit sie von den Knaben um so eifriger gesucht würden, zum Lachen und zur Freude der Älteren.“

Eine denkbare Begründung für die Bezeichnung „Haseneier“ scheint zumindest in katholischen Gegenden nicht der Osterhase gewesen zu sein, sondern ein bestimmtes Motiv der Bemalung der Ostereier. Für die Zeit um 1760 berichtet der Goethe-Maler Heinrich Wilhelm Tischbein aus dem protestantischen Nordhessen, dass für Ostern die Eier mit Figuren in Gelb, Rot und Blau gezeichnet wurden. „Auf einem standen drei Hasen mit drei Ohren, und jeder Hase hatte doch seine gehörigen zwei Ohren.“ Beschrieben wird hier das Motiv des „Dreihasenbildes“ – heute findet sich das be-kannteste Beispiel als Glasbild im Kreuzgang des Paderborner Doms. Das Dreihasenbild, das drei Hasen in Kreisform so abbildet, dass ihre beiden Ohren jeweils ei-nem der benachbarten Hasen mit zu gehören scheinen, verdeutlicht die Dreifaltigkeit, die Einheit in der Dreiheit. Wenn solche Hasenbilder zunächst auf katholischen Ostereiern später auch auf evangelischen Ostereiern auftauchten, nährten sie – bei Fortfall der katholischen Brauchtradition – den naiven Umkehrschluss, dass die abgebildeten Hasen auch die Eier brächten.

Überkonfessionelle Verbreitung fand der Osterhase nicht durch ökumenisches Denken oder Nationalbewusstsein. Drei Phänomene haben die Ausbreitung des Osterhasen beflügelt: die Süßwarenindustrie, Kinderbücher und Postkarten. Im 19. Jahrhundert, als gerade entdeckt worden war, dass sich aus bestimmten Rüben Zucker gewinnen ließ, bot die Entdeckung des Osterhasen der Süßwarenindustrie eine neue Absatzmöglichkeit. Hasen in jeder Form, immer aber als Süßigkeit, schufen ein jahreszeitlich bedingtes Produkt, das erst bloß ein neues Kinderschenkfest ausstattete, später aber auch die Erwachsenen mit einbezog. In Kinderbüchern begannen „vermenschte“ Hasenfamilien literarisch, gezeichnet oder gemalt ein Hasenleben vorzuführen, das ganzjährig von keinem anderen Interesse getrieben schien, als die Produktion von besonders schönen Ostereiern für besonders liebe Kinder. Die Postkarten, die man sich zu Ostern schrieb, die „Ostergrüße“, verbreiteten nicht nur – den meist kitschig dargestellten – Osterhasen.

Bemerkenswert ist beim Osterhasen und seinem Ostereierverstecken, ein „Brauch ohne Glauben“, dass die Geschenkfigur „Osterhase“ genauso auftritt, wie es durch die Nikolauslegende der Geschenkfigur des heiligen Nikolaus vorgegeben war und von dort schon auf das „Christkind“ und den säkularen „Weihnachtsmann“ übertragen worden war: Heimlich und unerkannt wurde geschenkt. Auch bei den Ostereiern traf man nie den Osterhasen an, eventuell hatte man gerade noch etwas davonhuschen gesehen.

Erhebungen aus der Zeit kurz vor dem Ersten Weltkrieg belegen, dass der Osterhase auf dem Land noch weitgehend unbekannt war. 1932 war dies bereit anders. Der Osterhase war flächendeckend bekannt und hatte auch die Konfessionsgrenzen überschritten. In manchen traditionsorientierten katholischen Familien wird er aber immer noch als eine Art untergeschobener „Dummkopf“ betrachtet, den man nicht bestellt hat und mit dem man eigentlich nichts anfangen kann. Er ist eher eine unvermeidliche nicht hinterfragbare Dekoration. In kindgemäßer Holprigkeit belegt ein Spruch zum Osterhasen aus der Moselgegend die Distanz zu der evangelisch-städtisch-bürgerlichen Kunst- und Geschenkfigur: „Die Mutter färbt die Eier, der Vater legt sie ins Gras. Dann meinen die dummen Kinder, das wär’ der Osterhas.“

Wenn der Osterhase heute in Deutschland allgemein bekannt ist, so ist das nicht immer so gewesen. In Tirol spricht man daneben von der Ostereier legenden „Osterhenne“. In Oberbayern, Österreich, Thüringen und Schleswig-Holstein war es der Hahn, in Hannover der Fuchs, an der holländischen Grenze der Ostervogel oder Kranich. In Thüringen heißt es, der Storch sei es gewesen. In manchen Gegenden der Schweiz bringt der Kuckuck die Ostereier. In Oberbayern wurde auch vereinzelt das Osterlamm als Eierbringer bezeichnet. In den Vogesen wie auch in Kärnten sagt man: Wenn die Glocken am Gründonnerstag verstummen, sie seien nach Rom geflogen, um die Ostereier zu holen. Wenn sie am Karsamstag zurückkehren, werfen sie die Eier beim Vorüberfliegen ins Gras, wo die Kinder sie suchen müssen. In Italien dagegen kennt man keinen Osterhasen.

Wo zu Ostern bestimmte Gebäcke hergestellt werden, ist der Osterhase ungemein beliebt: Es gibt Brote und Kuchen in Gestalt eines Hasen, wobei dem Hasen häufig ein Osterei in das Hinterteil eingebacken wird. Ebenso häufig ist daneben das Osterlamm als geformtes Backwerk. Ein launiges Gedicht von Eduard Mörike beschreibt das Verhältnis von Osterei und Osterhase: Die Sophisten und die Pfaffen / Stritten sich mit viel Geschrei: / Was hat Gott zuerst erschaffen, / Wohl die Henne? Wohl das Ei? / Wäre das so schwer zu lösen? / Erstlich ward ein Ei erdacht: / Doch weil noch kein Huhn gewesen, / Schatz, so hat’s der Has‘ gebracht“.

Bildnachweis:
Hase im Nest: C. Tafoya, unsplash.com, gemeinfrei
Dreihasenfenster im Innenhof des Kreuzgangs im Paderborner Dom © Zefram, Wikimedia commons, gemeinfrei

5. April 2021 || ein Beitrag von Prof. Dr. Manfred Becker-Huberti

Der Theologe Manfred Becker-Huberti war von 1991 bis 2006 Pressesprecher des Erzbistums Köln. Seit 2007 ist er Honorarprofessor an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar. Er forscht zu religiösem Brauchtum, Heiligen und der Heiligenverehrung speziell im Rheinland.