Literaturreise nach Brandenburg-Mehr im Blog der Akademie

Orte, die Geschichten erzählen | Eine Literarische Spurensuche in Berlin und in der Mark Brandenburg

„Spazieren in Berlin“, so nennt Franz Hessel sein Buch, das 1929 als Ergebnis seines aufmerksamen Beobachtens erschien. Fast 100 Jahre später hat das „Unterwegs sein“ in Berlin nichts von seiner Anziehungskraft verloren. Unsere literarische Spurensuche beginnt mit Bertolt Brecht. Nur wenige Meter von seiner Wirkungsstätte entfernt, dem Berliner Ensemble, wohnte er in der Chausseestraße. Mit Helene Weigel, die in vielen seiner Inszenierungen auf der Bühne stand, entwickelte Brecht ab 1954 das Theater am Schiffbauer Damm zu einer wichtigen Spielstätte in Europa. Die Weidendammer Brücke, gleich in der Nähe an der Friedrichstraße, hatte für Theodor Fontane eine besondere Bedeutung. Hier verlobte er sich im Dezember 1845 mit Emilie Rouanet. „Da, wo die Friedrichstraße sacht / Den Schritt über das Wasser macht / da hängt über der Spree / Die Weidendammerbrücke Schön…“ heißt es bei Wolf Biermann in seiner 1976 verfassten „Ballade vom preußischen Ikarus“, die als eines seiner besten Gedichte gilt. Der Schriftsteller spricht darin über seine persönliche Zerrissenheit angesichts des geteilten Deutschlands. Auch Christa Wolf, die von 1976 bis 1988 in der Friedrichstraße 133 wohnte, weist in den tagebuchartigen Protokollen aus „Ein Tag im Jahr“ und „Was bleibt“ auf die Weidendammer Brücke hin. Sie schildert zudem ihr Unbehagen durch die ständige Überwachung der Staatssicherheit.

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Foto: Weidendammer Brücke
Angela Monika Arnold, Berlin, commons.wikimedia.org

Das Deutsche Theater in der Schumannstraße 13A erlebte unter der Intendanz von Max Reinhardt in fast 30 Jahren eine Blüte, die mit namhaften Künstlern verbunden ist (Marlene Dietrich, Heinrich George, Marianne Hoppe, Paul Hörbiger…). Auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof lassen sich weitere Spuren des literarischen Lebens in Berlin Mitte entdecken.

Michael Bienert entziffert mit Ihnen die Spuren der fast vergessenen Autorin Irmgard Keun. Mit ihren ersten beiden Romanen „Gilgi, eine von uns“ und „Das kunstseidene Mädchen“ zu Beginn der 30iger Jahre war sie erfolgreich. Ihrer wechselvollen Lebensgeschichte begegnen wir an zahlreichen Orten der Stadt. In Charlottenburg geboren, in Wilmersdorf aufgewachsen wird Irmgard Keun mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten zu einer unerwünschten Autorin und geht ins Exil. Nach dem 2. Weltkrieg pflegt sie Verlagskontakte nach Ost-Berlin und versucht einen literarischen Neustart. Das gelingt ihr jedoch nur teilweise. „Mein Leben ist Berlin und ich bin Berlin“ schreibt die Protagonistin Doris im Roman „Das kunstseidenen Mädchen“ nach einem Ausflug ins Berliner Nachtleben begeistert in ihr Tagebuch. Das gilt in vielerlei Hinsicht auch für Irmgard Keun selbst.

Die westliche Berliner City um die Gedächtniskirche und den Kurfürstendamm bezeichnet der Schriftsteller Erich Mühsam in 1920iger Jahren als „Industriegebiet der Intelligenz“. Und auch hier begegnen Sie Schriftstellerinnen und Schriftstellern, die mit ihren Werken bis heute in der Literaturgeschichte von Bedeutung sind. Das Café Größenwahn und das Romanische Café waren beliebte Treffpunkte. Die Dichterin Else Lasker-Schüler spricht vom Café Größenwahn als Heimat und „unserem Zigeunerwagen“. Herwarth Walden gründet hier den expressionistischen „Sturm“.

Alfred Döblin und Gottfried Benn waren regelmäßige Besucher. Das Literaturhaus in der Fasanenstraße 21, eine Villa aus dem späten 19. Jahrhundert, widmet sich der deutsch- und fremdsprachigen Literatur der Moderne und Gegenwart mit Lesungen und Ausstellungen. Auch das Cafe-Restaurant mit Garten und die Buchhandlung „Kohlhaas & Company“ bereichern literarisch die Umgebung. Der Zoo-Palast an der Hardenbergstraße steht als Zeugnis für den kulturellen Wiederaufbau.

Bis 1999 war das einmalige Ambiente des Kinos mit seiner ovalen Decke, die durch Punktleuchten wie ein Sternenhimmel wirkte und gleichzeitig den Saal erhellte, das zentrale Wettbewerbskino der Berlinale. Der neue Filmpalast knüpft nach einer aufwendigen Renovierung an seine große Geschichte an Viele Autoren der „Weltbühne“, eine der wichtigsten politisch-literarischen Zeitschriften der Weimarer Republik, prägten das geistige Leben im „Industriegebiet der Intelligenz“. Kurt Tucholsky, dem Sie in Rheinsberg wieder begegnen werden, wohnte bei seinen Berlinaufenthalten im Haus der „Weltbühne“. In der Sammlung satirischer Texte „Berlin! Berlin!“ schreibt er über seine Heimatstadt „Über dieser Stadt ist kein Himmel“. Erich Kästner, ebenfalls Autor der „Weltbühne“ wird mit seinem Kinderroman „Emil und die Detektive“ unvergesslich sein.

Der Teilungsgeschichte der Stadt haben sich zahlreiche Autorinnen und Autoren angenommen. Maxim Leo, (1970 in Ostberlin geboren), beschreibt in seinem gerade erschienenen Roman „Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße“ über eine Massenflucht aus der DDR. Ein Stellwerksmeister soll die Flucht von über 100 Menschen in einem S-Bahnzug am Bahnhof Friedrichstraße eingefädelt haben. Auch Sven Regener beleuchtet in seinem Roman von 2001 „Herr Lehmann“ die letzten Monate vor dem Mauerfall in Berlin-Kreuzberg. Dieser Situation geht auch die Autorin Judith Hermann in ihrem Buch „Sommerhaus, später“ nach und erzählt in den Kurzgeschichten vom Alltag der Künstler-Szene am Ende der 90iger Jahre. Der Besuch der Dauerausstellung „Tränenpalast“ vermittelt anhand von Originalobjekten, Dokumenten, Filmen und Zeitungsinterviews eindringlich die Auswirkungen von Teilung und Grenze.

Einer der Spaziergänge führt zurück in das Ende des 18. Jahrhundert mit der Schriftstellerin Rahel Varnhagen. Sie hat mit ihren Positionen der Aufklärung und der Emanzipation der Frauen Spuren hinterlassen. 1771 in Berlin geboren und von Heinrich Heine als „Die geistreichste Frau des Universums“ genannt, steht sie im regelmäßigen Austausch mit Philosophen, Dichtern und Diplomaten. Alle schätzen ihre Klugheit und ihre Sprachkompetenz. Mit ihrem Engagement für Frauen und dem Interesse an anderen Menschen wird gerade ihr Salon in Berlin-Mitte zum Treffpunkt. „Was ist interessanter als ein neuer Mensch?“ bemerkt sie und überwindet damit auch als Jüdin die Grenzen von Stand und Religion. Ihr Ehrengrab auf dem Friedhof vor dem Halleschen Tor in Berlin-Kreuzberg werden Sie auf diesem Spaziergang auch kennenlernen.

Doch dann geht es nach Brandenburg. Ein Zwischenhalt in Erkner wird Sie in das Gerhart Hauptmann Museum in der Gründerzeitvilla Lassen führen. Gerhart Hauptmann sagt über seine Zeit in Erkner: „Ich habe vier Jahre in Erkner gewohnt und zwar für mich grundlegende Jahre. Mit der märkischen Landschaft auf innigste verbunden, schrieb ich dort -Fasching-, -Bahnwärter Thiel- und mein erstes Drama – Vor Sonnenaufgang-.“ Buckow am Schermützelsee in der Märkischen Schweiz ist die nächste Etappe. Diese Landschaft hat auch Bertolt Brecht und Helene Weigel fasziniert. Ihr Sommerhaus in Buckow mit Ausblick auf den See war immer Treffpunkt von zahlreichen Gästen aus der Künstler- und Theaterszene. Heute werden neben Führungen auch eine Vielzahl an literarischen und musikalischen Programmen angeboten.

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Foto: Brecht-Weigel-Haus, Buckow
Quelle: Lienhard Schulz 2011, Wikimedia.org

Mit Neuruppin und seiner näheren Umgebung bestimmt dann Theodor Fontane die inhaltlichen Akzente der Reise. In Neuruppin geboren, blickt er siebzig Jahre später auf seine Kindheit zurück und gewährt mit dem Roman „Meine Kinderjahre“ einen interessanten Einblick in diese Epoche. Auch seine fünf Werke der „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ bleiben beeindruckend.

Theodor Fontane-Literarische Reise - Mehr im Blog der Akademie

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Foto: Theodor Fontane
Quelle: public domain

Günter de Bryn (1926 – 2020) hat die stille Anziehungskraft der Landschaft in seinem Buch „Mein Brandenburg“ einfühlsam beschrieben. Er verweist auf Fontanes Verdienste und sagt: „Durch ihn (Fontane) wurde für breite Schichten die Mark Brandenburg zu einer historischen Landschaft, und da er sie vielfach zum Hintergrund seiner Romane machte, wurde auch eine literarische Landschaft daraus.“

Langsam durch belebte Straßen zu gehen, ist ein besonderes Vergnügen, fasst Franz Hessel seine Art des Flanierens in dem eingangs erwähnten Buch zusammen, das literarische Dokument einer Großstadt im Wandel. Das gilt auch für diese Spurensuche.

28. August bis 3. September 2022 (So.-Sa.)
Literarische Spurensuche
Von Berlin in die Mark Brandenburg
Ferienakademie mit Edith Dietzler-Isenberg & Ralph Hoppe

Empfohlene Literatur:

  • Günter de Bryn: Mein Brandenburg, Frankfurt/M. 2020
  • Maxim Leo: Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße, Köln 2022
  • Michael Bienert: Das kunstseidene Mädchen – Irmgard Keuns literarische Schauplätze, Berlin 2020
  • Franz Hessel: Spazieren in Berlin, Berlin 2011

Titelbild:
© P. Seifert (CC BY-SA 4.0), commons.wikimedia.org

21. Mai 2022 || ein Beitrag von Edith Dietzler-Isenberg, Konrektorin i. R. an einer Grundschule