„In den Blick nehmen“
In der Zeit vor Ostern werden in der Kunst-Station Sankt Peter Köln alle Bilder verhüllt. 40 Tage der österlichen Vorbereitung sind eine Art geistliche „Quarantäne“. Sie nehmen in den Blick, was neben und hinter den Bildern wirklich wichtig ist. 2021 bringt die Fastenzeit den Verzicht auf reale Begegnungen mit sich. In diversen Telefon- und Videokonferenzen sehen wir anstelle lebendiger Gesichter bloß „Kacheln“ auf Bildschirmen. Die Nähe dieser technischen Bilder macht die Distanz noch tiefer spürbar. Bilder sind jedoch immer ambivalent: Urbild und Abbild gewähren Nähe und zeigen gleichzeitig Distanz. Die religiösen Traditionen der monotheistischen Religionen wissen um diese Zwiespältigkeit der Bilder, zumal im Blick auf das transzendente Geheimnis, das alle angeht. Dafür gibt es kein definitives Bild. Deswegen kennen Judentum, Christentum und der Islam in je verschiedener Intensität den Verzicht auf Bildwerke. Durch das Verhüllen der Bilder kann zum Vorschein kommen, was hinter den Bildern steht.
An der Kunst-Station Sankt Peter in Köln als einem Zentrum für zeitgenössische Kunst spielen Bilder eine gewichtige Rolle. Der Raum wird neben den Ausstellungen vom überwältigenden Gemälde des P.P. Rubens (1642) bis zum „Grauen Spiegel“ von Gerhard Richter (2018) geprägt. Aber vor Ostern werden alle Bildwerke inklusive der Fenster konsequent mit weißen Tüchern verhüllt. Dieses „Bilderfasten“ lässt in Zeiten medialer Bilderflut innehalten, es verunsichert. Durch Nicht-Sehen kann das Eigentliche in den Blick genommen werden, das sich hinter allen Bildern verbirgt und nie abbildbar ist. Deswegen behauptet Georg Baselitz zu Recht: „Bilder, die man kennt, sieht man nicht.“ Um richtig zu sehen, muss man die Augen auch schließen können. Die fastenzeitliche Verhüllung an der Kunst-Station Sankt Peter ist eine Einladung, in der 40-tägigen Quarantäne des Bilderfastens, Wesentliches hinter den Bildern in den Blick zu nehmen. Komm und sieh!
In der neuen Reihe haben wir ausgewählte Personen gebeten, ihr persönliches Lieblingsbild (Gemälde, Foto, Zeichnung, Druck) „in den Blick zu nehmen“ und dazu etwas zu schreiben. An jedem Fastensonntag erscheint nun ein ganz persönlicher Beitrag zu einem Bild.
Wie kam es zu dieser Idee? Ein Kunstwerk zu betrachten, sich damit auseinander zu setzen, hineingezogen zu werden, das kann glücklich machen, davon sind wir, das Redaktionsteam des Blogs „Akademie in den Häusern“, überzeugt. Aber auch die Perspektive zu wechseln und den Horizont zu erweitern, bringt uns dem Glück und der Zufriedenheit ein entscheidendes Stückchen näher. Die unterschiedlichen Bilder, die in dieser kleinen Reihe gezeigt werden, laden uns ein, genauer hinzusehen und wahrzunehmen, was ist. Auf diesen Perspektivenwechsel in der Fastenzeit freuen wir uns! Lassen Sie sich, genau wie wir, mit allen Sinnen ansprechen.
Verhüllte Fenster und verhülltes Kreuz in der Kunst-Station Sankt Peter
28. März 2021 || ein Beitrag von Dr. Stephan Ch. Kessler, Jesuit, Pfarrer und Leiter der Kunst-Station Sankt Peter Köln
Öffnungszeiten der Kunst-Station Sankt Peter Köln: Mi bis So 12.00 bis 18.00 Uhr