Entdeckt – Verfemt – Gefeiert
Entdeckt:
Nicht selten strahlt dem Museumsbesucher von hinter den Vitrinengläsern Ungewohntes entgegen. Häufig sind es Dinge, die gar nicht für das Museum gemacht wurden, Zeugnisse aus anderen Zeiten, von anderen Orten, Gebrauchsgegenstände gar: Schreibmaschinen, Registrierkassen, Globen, Gabeln und Kinderwagen. Es sind Entdeckungen; Gegenstände, deren musealer Wert zunächst erkannt werden musste und die für würdig befunden wurden, genauer betrachtet, gesammelt und ausgestellt zu werden.
Auch Kunst muss oft „entdeckt“ werden. Nicht jedes Werk gelangt automatisch in eine Galerie oder ein Museum. Der Weg dorthin ist ein beschwerlicher, und für die Künstler der Avantgarde in doppelter Hinsicht.
Zunächst musste sich ein pointillistischer Kleckser, ein expressionistischer Schmierfink und ein kubistischer Banause durchbeißen durch die verfestigte Vorstellung, wie Kunst aussehen muss und vor allem, wie sie nicht aussehen darf. Malerfürsten wie Franz von Lenbach und Andreas Achenbach gaben den gesellschaftlich akzeptierten Ton auf der Leinwand an. Da konnten sich Franz Marc, Ernst Ludwig Kirchner oder Emil Nolde nicht einreihen. Und das wollten sie auch nicht. Sie wollten neue Wege beschreiten und taten dies aus voller Überzeugung. Eine ganze Weile aber blieben sie unter sich, bis Galeristen, wie Paul Cassirer und Heinrich Thannhauser den Wert dieser neuen und ungewöhnlichen Kunst bemerkten und sie als Wegweiser in eine neue Zeit erkannten.
Verfemt:
Karl Ernst Osthaus war einer dieser Entdecker. Er setzte die Avantgardisten, besonders die Expressionisten, ganz oben auf seine Liste, präsentierte ihre Werke in seinem 1902 gegründeten Museum Folkwang, ermutigte sie weiterzumachen, wurde zu einem wichtigen Mäzen, machte sie bekannt. 1933 allerdings wendete sich das Blatt auf dramatische Weise. Noch im selben Jahr schlossen die Nationalsozialisten die große Retrospektive des Bauhaus-Künstlers Oskar Schlemmer im Württembergischen Kunstverein noch vor ihrer Eröffnung. Trauriger Kulminationspunkt war die Wanderausstellung „Entartete Kunst“, die 1937 in München ihren Anfang nahm. Bestückt wurde sie mit staatlichen Beschlagnahmungen aus Galerien und Museen, und so blieb auch im Museum Folkwang kaum ein Bild an den Wänden zurück. Man diffamierte Objekte, die aufgrund ihres Motivs, ihrer Malweise oder der Herkunft ihrer Schöpfer als „schlecht“ gekennzeichnet wurden. So hatte die Ausstellung keinen anderen Zweck, als den Ruf der Künstler zu vernichten und den Kunstmarkt in eine neue (oder alte?) Richtung zu führen. Die Ausstellung war vernichtend, die Konzeption bewusst unästhetisch, der Katalog reißerisch und provozierend; der Eintritt war natürlich frei, niemand sollte für „so etwas“ auch noch bezahlen müssen. Besondere Ironie: Nicht alle Werke wurden nach der Ausstellung zerstört, viele wurden für hohe Summen ins Ausland verkauft, ein Glücksfall, wenn man so will, denn so sind viele Werke doch noch erhalten geblieben.
Gefeiert:
Auch wenn nach 1945 bald die Suche nach der verschleppten, verkauften oder versteckten Kunst begann, sollten Jahre vergehen bis die „entarteten“ Werke ihren Weg zurück in die Museen fanden. Unzählige Objekte sind für immer verloren, viele werden noch vermisst, bis heute wird nach ihnen gesucht.
Etliche Institutionen beschäftigten sich mit der Rehabilitierung der sogenannten „Klassischen Moderne“, so auch die berühmte documenta in Kassel, die in ihrer allerersten Schau im Jahr 1955 noch nicht direkt zeitgenössische Werke präsentierte, sondern vor allem die vom NS-Regime diffamierte Kunst zeigte.
Eine der ersten Ausstellungen zu den beschlagnahmten Werken der Expressionisten fand jedoch in Essen statt. Noch Ende der 40er Jahre stellte Karl Ernst Osthaus in den noch provisorischen Räumen des Museum Folkwang aus; das alte Gebäude war im Krieg zerstört worden.
Durch viele Ankäufe und Schenkungen über die Jahre hat sich im Museum Folkwang eine beeindruckende Sammlung entwickelt, die immer einen Besuch wert ist. Dieses Jahr konzentriert sich das Haus besonders auf die Geschichte und Wiederentdeckung der Expressionisten und nimmt seine Gäste mit auf die dramatische Reise einer Kunst, die zunächst entdeckt wurde, dann verfemt war und heute gefeiert wird.
Ausstellungsansichten Expressionisten am Folkwang. Entdeckt – Verfemt – Gefeiert
Foto: Museum Folkwang, Sebastian Drüen
Mit Expressionisten am Folkwang nimmt das Museum zu seinem 100. Jubiläum in Essen einen Sammlungsschwerpunkt in den Fokus, der eng mit der Geschichte des Hauses verwoben ist. Anhand von etwa 250 Meisterwerken des Expressionismus zeichnet die Ausstellung die vielfältigen Verbindungen zwischen Künstlerinnen und Künstlern mit dem Museum nach und beleuchtet das Sammlungs- und Ausstellungsgeschehen rund um diese Kunstrichtung vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis heute.
Im Rahmen unserer Jahreswechselveranstaltung in Bensberg haben Sie die Gelegenheit, die Ausstellung im Museum Folkwang unter Leitung von Akademiereferentin Judith Graefe zu besuchen.
Für alle, die den Jahreswechsel mit einem abwechslungsreichen Programm in Bensberg verbringen möchten, empfehlen wir unsere Veranstaltung:
28. Dezember bis 1. Januar 2023 (Mi.-So.)
Soweit das Auge reicht …
Vom Sehen, Entdecken und Erkennen
Festlicher Jahreswechsel in Bensberg
Bild:
16. Dezember 2022 || ein Beitrag von Judith Graefe, Akademiereferentin Erkundungen