Von der Besinnung auf eine Sichtweise – Der entschleunigte Blick
Entschleunigung – ein von vielen als mittlerweile inflationär gebrauchter, oft ironisch abgetaner Modebegriff dem Abfallkorb der leeren Worthülsen übergeben. Kann man – sollte man aber vielleicht erst nach Durchsicht folgender Zeilen machen.
Ich habe mich um 2002 herum entschieden, den Begriff der Entschleunigung adjektivisch in ein Begriffspaar einzubauen, das ganz entscheidend für meine Tätigkeit als Kunsthistoriker, Kunstvermittler und Autor ist: Das Schauen, Hinsehen, Betrachten. Tätigkeiten, die – ernst genommen – Zeit brauchen, um wirksam werden zu können. So kam ich auf den entschleunigten Blick.
Entscheidend war für mich die Auseinandersetzung mit der eigenen Zeitbezogenheit vor dem Hintergrund der vor allem digital erfolgenden Beschleunigung aller Lebensbezüge. Nach meinem Empfinden verloren wir damals immer mehr Lebensqualität an eine leichte Verfügbarkeit. Eine Art fast food der Wahrnehmung machte sich breit. Allerdings derart kalorienreduziert, dass der Blick zwar allüberall an schillernden Oberflächen hängenblieb, der Hunger nach einem wahrnehmenden Erleben allerdings immer größer wurde.
Sich wiederholende Schlüsselsituationen erlebte ich dann mit Besuchergruppen in der großen Guggenheim-Ausstellung 2006 in der Bundeskunsthalle in Bonn. Die Besuchermassen wurden durch unzählige, von uns geführte Besuchergruppen immer wieder stauartig verdichtet, sodass es wiederholt zu längeren Aufenthalten vor Einzelwerken kam. So galt es aus der Not eine Tugend zu machen. Ich nutzte die Zeit also, um mit den Gruppen eine konzentrierte, auf Austausch basierende Betrachtung zu erproben. Dabei war immer wieder zu beobachten, dass sich die Besucherinnen und Besucher ihrer eigenen Beobachtungsgabe bewusst wurden und sich im Austausch miteinander die Werke – behutsam moderiert natürlich – ein Stück weit selbst erschlossen.
Nach diesen Erfahrungen unter extremen Bedingungen reifte ein älterer Gedanke: Dem flüchtigen, schnellen und oberflächlichen Blick ein anderes Format mit einem anderen Anspruch hinzuzugesellen. Das wurde dann Der entschleunigte Blick, ein explizit der Betrachtung und dem Dialog verpflichtetes Kunstvermittlungsformat.
25. April 2024 || ein Beitrag von Olaf Mextorf, Kunsthistoriker
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