Auf ein Wort mit … Tobias Kläden
Lieber Herr Dr. Kläden, Menschen sind in ihrem Leben auf Resonanz angewiesen. Es bedarf der Rückmeldung durch die Umwelt und vor allem durch die Mitmenschen. Warum ist Resonanz so besonders wichtig?
Resonanz bedeutet, dass meine Umwelt – seien es andere Menschen, die Natur, aber auch Dinge – mich bewegt und berührt, dass sie mich affiziert. Sie ist nicht einfach das Material meiner Erfahrung, sondern bringt etwas in mir zum Schwingen, hat eine Bedeutung für mich. Die Welt draußen spricht sozusagen mit eigener Stimme zu mir – und ich kann darauf wiederum mit meiner eigenen Stimme antworten. So kommt es zu einem inneren Austausch, einer Anverwandlung, einem wechselseitigen Resonanzverhältnis, das mich verändert und im besten Fall bereichert. Ohne solche Erfahrungen würde unser Leben verkümmern.
Einer der Autoren, die die Bedeutung der Resonanz explizit in den Blick genommen hat, ist der Jenaer und Erfurter Soziologe Hartmut Rosa. Er spricht von der Notwendigkeit der „resonanten Weltbeziehungen“. Warum sind diese in der Gegenwart so wichtig geworden?
Nach Hartmut Rosa ist Beschleunigung das zentrale Merkmal des modernen Lebens. Moderne Gesellschaften können sich demnach nur dynamisch stabilisieren, durch Beschleunigung, Steigerung, den ständigen Zwang zur Optimierung. Beschleunigung wird auf jeden Fall dann problematisch, wenn sie zu Entfremdung, Burn-Out und Beziehungslosigkeit führt. Deswegen sind resonante Weltbeziehungen z.B. im Erleben von Liebe, Freundschaft, Kunst, Natur oder Religion so wichtig, weil sie dem entgegenwirken. Resonanz ist also der Gegenbegriff zu Entfremdung.
Auf der einen Seite hat das Thema eine gesellschaftsanalytische Perspektive. Sie sind jedoch auch Theologe und schauen auf das Thema Resonanz auch aus einer anderen Sichtweise. Welche Bedeutung hat Resonanz für Religion und Glaube?
Rosa unterscheidet verschiedene Formen von Resonanzbeziehungen: In den so genannten vertikalen Resonanzachsen kommen Menschen mit etwas in Berührung, das ihre ganze Existenz angeht oder umgreift. Dazu gehört auch die Religion. Hier können Menschen den Anruf des Göttlichen, des Numinosen oder Absoluten erfahren und darauf mit eigener Stimme antworten. Solche religiösen Resonanzbeziehungen führen zu Veränderung, sie transformieren mich, so wie andere Resonanzbeziehungen auch. Sie sind aber unverfügbar, sie können nicht instrumentell hergestellt (oder verhindert) werden.
Die Katholische Arbeitsgemeinschaft Freizeit und Tourismus schaut aus einer theologischen und kirchlichen „Brille“ auf die aktuellen Entwicklungen bei Reisen und im Urlaub. Auf welche Weise können Reisen auch Resonanzerfahrungen sein?
Es gibt den Begriff des Resonanztourismus. Dieser will sich von Phänomenen des modernen Massentourismus absetzen, der längst zum ökologischen und sozialen Problem geworden ist, und auf die Bedürfnisse der Reisenden nach Beziehung, nach authentischen Erlebnissen abzielen. Entscheidend ist danach, dass Reisende im Urlaub im Austausch mit ihrer Umgebung stehen, dass sie in Interaktion mit den Menschen und Dingen in den Urlaubsdestinationen kommen. Man kann aber sicher diskutieren, ob ein solcher Resonanztourismus überhaupt mehr ist als ein Nischenprodukt für eine bestimmte Klientel und ob er die Probleme des Massentourismus tatsächlich lösen kann.
Gibt es Erkenntnisse aus den Thesen Hartmut Rosas für das zukünftige Handeln der Kirche?
Rosas Resonanztheorie gibt uns Begriffe an die Hand, um z.B. Milieuverengungen oder Entfremdungsprozesse zwischen verschiedenen Gruppen von Gläubigen, zwischen Priestern und Lai*innen oder zwischen Haupt- und Ehrenamtlichen als Fehlen von Resonanzbeziehungen zu deuten. Sie kann uns aber nicht sagen, wie Resonanzbeziehungen herzustellen wären, denn sie sind eben unverfügbar.
Theologie und Kirche sollten den Resonanzbegriff nicht einfach unkritisch adaptieren. Jedenfalls kennt die jüdisch-christliche Tradition nicht nur Resonanzoasen, sondern rechnet auch mit dem fremden Gott, dessen Fremdheit bei aller gefühlten Resonanz immer größer bleibt. Resonanz wäre problematisch, wenn sie vor Erfahrungen von Fremdheit, von Verstörendem, von Trauer und Klage die Augen verschließen würde.
Herr Dr. Kläden, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Das Interview führte Andreas Würbel, Akademiereferent.
Dr. Tobias Kläden ist Theologe und Psychologe und arbeitet bei der Katholischen Arbeitsstelle für missionarische Pastoral (KAMP) der Deutschen Bischofskonferenz in Erfurt. Er ist zudem geschäftsführend tätig für die Katholische Arbeitsgemeinschaft Freizeit und Tourismus der Deutschen Bischofskonferenz, die regelmäßig mit der Thomas-Morus-Akademie Fachtagungen durchführt. So z.B. am 22. bis 23. November 2022 zum Thema „Gehen, Suchen, Innehalten … Wandern und Spiritualität“.
Er selbst ist zudem Referent bei der diesjährigen Veranstaltung zum Jahreswechsel in Weimar zum Thema „Resonanz. Räume. Gestalten. Beziehungen von Raum und Mensch in Ästhetik, Wohnen und Kultur“ am 27. Dezember 2022 bis 2. Januar 2023 (Di.-Mo.) in Weimar.
Einmal im Monat erscheint „Auf ein Wort mit…“ und stellt interessante und engagierte Personen vor, mit denen die Akademie auf unterschiedliche Weise verbunden ist. Gesprochen wird über Gott und die Welt, über Kunst und Kultur, über Aktuelles aus Gesellschaft und Kirche ….
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6. November 2022 || ein Gespräch mit Dr. Tobias Kläden, Theologe und Psychologe
Er arbeitet bei der Katholischen Arbeitsstelle für missionarische Pastoral (KAMP) in Erfurt.