Joachim Raff – ein deutscher Romantiker aus der Schweiz
In Lachen am Zürichsee am 27. Mai 1822 geboren, verblüfft der kleine Joachim sein Umfeld durch außergewöhnliche Talente: er übersetzt aus dem Latein, liest Platon und vertritt mit 10 Jahren seinen Vater beim Sonntagsgottesdienst an der Orgel!
Lachen um 1830, mit Raffs Geburtshaus in der Mitte (©Raff-Gesellschaft)
Der brillante Mittelschüler im Kollegium Schwyz wendet sich bereits mit Klavierkompositionen an den renommierten Schott-Verlag, und als Junglehrer in Rapperswil schickt er weitere Stücke (op. 2-7) an Mendelssohn, der sie dem Haus Breitkopf und Härtel empfiehlt und Schumann zu einer Würdigung veranlasst: eine leichtfüßig perlende Klaviermusik fast wie Mendelssohns ‘Lieder ohne Worte’.
Das Basler-Rezital von Franz Liszt im Juni 1845 bringt die Wende in Raffs Leben: Tropfnass erreicht er zu Fuß und mit Verspätung die Stadt. Doch Liszt lässt den unbekannten Verehrer neben sich auf dem Podium Platz nehmen, gewährt ihm nach dem Konzert ein Gespräch und bietet ihm sogar eine Assistenzstelle an.
Franz Liszt in jenen Jahren (gemeinfrei)
Raff lebt nun in Köln als Klavierverkäufer und steht im Dienst von Liszt, dessen Entwürfe er ausfertigt, zum Teil orchestriert und viel für sein eigenes Komponieren lernt. Doch bald drängt es ihn nach Unabhängigkeit. Er versucht sein Glück in Stuttgart, wo er auf Hans von Bülow trifft, der ihn künftig als Freund fördern wird, doch als freier Musiker kennt er auch viele Entbehrungen. So verlässt er Stuttgart nach zwei Jahren und kehrt reumütig nach Weimar zu Franz Liszt zurück. Viele Liszt-Werke gehen künftig durch die Hand seines Assistenten und Raffs Handschriften gelten als kalligraphische Perlen:
Lied ‘Des Himmels glänzend Auge’: Autograph (© Raff-Gesellschaft)
Weimar beschert ihm neues Glück: die Begegnung mit Doris Genast (seiner künftigen Frau) und mit Joseph Joachim, dem bedeutendsten Geiger der Zeit, der ihm wie Bülow als Freund treu bleiben wird. Zudem macht sich Raff einen Namen als Musik-Essayisten, wobei er mit seiner Schrift «Die Wagnerfrage» den Liszt-Kreis gegen sich aufbringt. Er wendet sich von seinem Mentor ab und zieht mit 34 Jahren nach Wiesbaden, wo er ein bürgerliches Familienleben führt und sich ganz dem Komponieren widmet. Der internationale Kurort zieht ein kulturbeflissenes Publikum an und Raff erntet endlich Erfolge: Seine Erste Symphonie «An das Vaterland», eine Hommage an seine neue Heimat, gewinnt einen Preis und wird in Wien uraufgeführt. Mit Wagner kommt es in Wiesbaden zu einem Streit wegen Raffs Kritik am «Tristan». Wagner nennt ihn später einen «ungemein trockenen, nüchternen, auf seinen Verstand eingebildeten Menschen.»
Portrait von Joachim Raff 1856 (gemeinfrei)
Mit der Dritten Symphonie «Im Walde» gelingt ihm der internationale Durchbruch, ein Programm-Stück nach damaligem Geschmack. In Amerika spricht man von der «besten Symphonie der heutigen Zeit» und Hans von Bülow berichtet 1870 vom «kolossalen Erfolg» in Weimar. Dazu hier einige Programmpunkte dieses musikalischen Waldspaziergangs:
Blätterrauschen und Vogelflattern (s. Beethovens «Pastorale»!) zu Beginn, heitere Morgenstimmung mit süßen Melodien und Hornklängen, Themen, die aufgesplittet zwischen den Registern zirkulieren, weite Kantilenen als räumliche Tiefenwirkung, dann gegen Ende knallige Jagd-Rhythmen und schließlich aus weiter Ferne leise wahrnehmbare Hornstösse über dem Raunen des Orchesters, eine Erinnerung des Schweizers an die Naturtöne des Alphorns in luftiger Höhe:
(Notierung J. Zemp)
Raffs Ambitionen reichen über die momentanen Erfolge seiner Musik hinaus: Er meldet sich für die neue Direktoren-Stelle des «Hoch’schen Konservatoriums» in Frankfurt a.M. Ihm obliegt nun die Besetzung der Dozentenstellen. Clara Schumann, die «Argerich» jener Zeit, soll das Prestige des Instituts untermauern. Erst zögert sie, da sie Joachim Raff überhaupt nicht mag, doch ihr Freund Johannes Brahms ermuntert sie zum Schritt. Und so zieht sie mit 59 nach Frankfurt und wird hier 14 Jahre lang Meisterschüler unterrichten. Nebst der Arbeitsbelastung als Institutsleiter schafft Raff innert weniger Jahre noch bedeutende Werke wie die Jahreszeiten-Symphonien, Kantaten und das große Oratorium «Welt-Ende – Gericht – Neue Welt» auf Texte der Offenbarung des Johannes, dazu weitere Opern wie z.B. «Samson» (UA erst 2022 in Weimar).
Die Überbelastung und die Querelen mit den Kuratoren des Instituts setzen ihm zu, er stirbt 1882 mit 60 Jahren an einem Herzinfarkt. Die Beisetzung ist ein Staatsakt und Frankfurt stiftet Joachim Raff ein gewaltiges Grab-Monument.
Joachim Raffs Grab im Frankfurter Hauptfriedhof (gemeinfrei)
Der kleine Ort Lachen bei Rapperswil am See ist Sitz der «Joachim-Raff-Gesellschaft», die sich seit 50 Jahren um die Verbreitung und Erforschung von Raffs Werken (über 200 an der Zahl) kümmert. Im Jahr 2022 zog eine wahre «Raff-Welle» durchs Land, man sprach hier witzigerweise von einer «Raff-Gier», seine Werke erfuhren einen gewaltigen Schub im Konzertbetrieb der Zentralschweiz. Zu nennen auch die vielen Kolloquien und Publikationen. Das Museum im Raff-Haus in Lachen steht für Interessierte offen.
Raff-Museum in Lachen am Zürichsee (© Raff-Gesellschaft)
Q u e l l e n :
Res Marty, Joachim Raff, Leben und Werk, MP Verlag, Altendorf CH, 2014
(eine monumentale, überaus reich bebilderte Biographie über den Komponisten und seine Epoche. Der Autor ist Präsident der «Joachim-Raff-Gesellschaft»)
Verschiedene Artikel der Raff-Gesellschaft oder aus Wikipedia
A u f n a h m e n :
SCHALLPLATTEN: Symphonien Nr. 3, 5, 8, 9 und eine Sinfonietta
CD’s: über 70 CD’s mit Werken von Raff
YOUTUBES:
Symphonien Nr. 1 «An das Vaterland» op. 96 (1861), Nr. 2 op. 140 (1866), Nr. 3 «Im Walde» op. 153 (1869, mit Partitur), Nr. 4 op. 167 (1871), Nr. 5 «Leonore» op. 177 (1872, mit Partitur), Nr. 6 op. 189 (1873), Nr. 7 «In den Alpen» op. 201 (1875), Nr. 8 «Frühlingsklänge» op. 205 (1876), Nr. 9 «Im Sommer» op. 208 (1878), Nr. 10 «Herbstzeit» op. 213 (1879), Nr. 11 «Der Winter» op. 214 (1876, mit Partitur)
Cello-Konzert Nr. 2
Klavier-Konzert op. 185 (1873, mit Partitur)
«Eine feste Burg ist unser Gott» (Ouvertüre)
Klavierquintett op. 202
Streichquartett Nr. 1 op. 77 (mit Partitur)
Die Opern «König Alfred (1850): Ouvertüre und Einzelteile, «Die Eifersüchtigen» (1872): Ouvertüre, «Samson» (1857): Vorspiel 3. Akt
3. Juli 2024 || ein Beitrag von Josef Zemp, Studium der Romanistik und Musikologie in der Westschweiz und in Frankreich (Doktorat). Parallel dazu Berufsausbildung am Konservatorium (Cello und Klavier) – Cello-Diplom.
Geboren in einer Familie von Amateur-Musikern. Volksmusikforschung in Madagaskar, danach Unterricht am Gymnasium (französische Sprache und Literatur, Musik). Leitung von Weiterbildungskursen für Gymnasiallehrer. Publikationen in Feuilletons und Zeitschriften zur französischen Literatur. Vortragsreihen an Volkshochschulen zu Literatur und Musikgeschichte.