Literarisches Gipfeltreffen
Exilliteratur in Oostende 1936
Im Sommer 1936 trafen sich im beliebten belgischen Seebad Oostende einige der bedeutendsten deutschsprachigen Autoren und Autorinnen, die – drei Jahre nach Hitlers Machtergreifung – aus ihren Heimatländern geflohen waren: der feinsinnige Erfolgsschriftsteller Stefan Zweig, der „rasende Reporter“ Egon Erwin Kisch, der umtriebige Literaturförderer Hermann Kesten, der Revolutionsdichter Ernst Toller, der Kulturkritiker Arthur Koestler, der begnadete Erzähler Joseph Roth und die in der Weimarer Republik gefeierte Irmgard Keun. Sie alle suchten am Strand der Nordsee und in den Bistros Oostendes Zuflucht.
Irmgard Keun und Joseph Roth verliebten sich ineinander, während sie um die Wette tranken und Meisterwerke der Exilliteratur verfassten. Stefan Zweig, der bereits im Sommer 1914 in Oostende dem bewunderten belgischen Poeten Émile Verhaeren und dem „Maler der Masken“ James Ensor seine Aufwartung gemacht hatte, blickte 1936 in Begleitung seiner künftigen, zweiten Frau Lotte Altmann, voller Wehmut auf die „Welt von Gestern“ zurück. Egon Erwin Kisch und seine Gattin Gisela diskutierten ebenso wie Ernst Toller und seine Frau, die umschwärmte Schauspielerin Christiane Grautoff, mit dem einstigen Berliner Pressezar Willi Münzenberg in legendären Cafés wie dem „Flore“ oder dem „du Parc“ über tagesaktuelle und literarische Entwicklungen. Sie alle ließen sich von der Atmosphäre im mondänen Oostende zu beeindruckenden Erzählwerken anregen und warfen immer wieder ängstliche Blicke auf das politische Pulverfass, das in Europa zu explodieren drohte – bevor sie sich am Ende des Sommers wieder in alle Welt zerstreuten. Die Ferienakademie stellt sie und ihre Werke an teils historischen Stätten in Oostende vor.
Ihre Reiseleiter/innen
Freitag, 13. September 2024
Busreise von Bensberg (9.00 Uhr) und Köln (9.45 Uhr). Auf der Fahrt stimmt eine Einführung in die Kultur- und Literaturgeschichte Belgiens sowie in die Exilliteratur auf die nächsten Tage ein.
Literarische Stadtansichten in Leuven
Ein Zwischenstopp in Leuven bietet einen Einblick in die wechselvolle Geschichte der Hauptstadt der belgischen Provinz Flämisch-Brabant mit ihrem berühmten gotischen Rathaus.
Leben und Schreiben im Exil – Ein- und Überblicke I Bild-Vortrag und Gespräch
Stefan Zweig, Joseph Roth, Irmgard Keun, Hermann Kesten, Egon Erwin Kisch galten in Deutschland und Österreich als genau Beobachtende, die sprachgewandt und sensibel menschliche Beziehungen in ihrer Dynamik zum Ausdruck bringen konnten. Was aber bedeuteten für sie selbst die Erfahrungen des Exils? Welche Spuren finden sich davon in ihren Werken? Welche Verbindung hatten sie zu (Exil-)Verlagen und Literaturschaffenden an anderen Orten?
Samstag, 14. September 2024
Literarische Stadtrundgänge und poetische Leseszenen in Oostende
Im Laufe des morgendlichen Spaziergangs durch Oostende werden städtische Sehenswürdigkeiten besichtigt und an markanten Punkten einschlägige (Exil-)Texte rezitiert.
„Schreiben wie Film“ – Irmgard Keuns Exil-Romane I Bild-Vortrag und Gespräch
Abends wendet sich ein Vortrag Irmgard Keun zu, die zu Beginn der 1930er Jahre mit ihren Romanen, wie „Das kunstseidene Mädchen“, fulminante Erfolge feierte, da es ihr gelang, das Lebensgefühl (damals) junger Menschen literarisch zu gestalten. Nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten flüchtete sie nach Oostende, wo sie einige ihrer Exil-Romane verfasste, wie „Nach Mitternacht“ und „Kind aller Länder“ – die zu lesen und zu besprechen es sich lohnt.
In der Mittagszeit besteht die Möglichkeit zum selbstständigen Bummeln durch Oostende oder einem Besuch im James-Ensor-Haus.
Symbol wechselhafter Geschichte – das Fort Napoleon
Nachmittags führt eine Tour zum Fort Napoleon, das auf mehr als zwei Jahrhunderte Geschichte zurückblickt. 1811 von Napoleon zur Verteidigung gegen die Engländer gebaut, nutzten deutsche Soldaten die wehrhafte Festungsanlage im Ersten und Zweiten Weltkrieg. 2000 wurde dort ein Museum eröffnet, das seine Gäste in diese stürmischen Zeiten entführt.
Joseph Roth als Chronist vergangener Zeiten und verlorener Welten I Bild-Vortrag und Gespräch
Nach dem Abendessen steht Joseph Roth im Mittelpunkt, ein mitreißender Erzähler, der es wie kaum ein anderer verstanden hat, die „alte Welt“ der europäischen Monarchien authentisch darzustellen. In seinen Meisterwerken („Radetzkymarsch“ u.a.) lässt Roth eine bewegte Zeit (wieder) aufleben, in der sich der Untergang schon lange angekündigt hat und die sich doch durch ihren Charme auszeichnet. Roths Exil-Werke („Beichte eines Mörders“, „Die Legende vom heiligen Trinker“ u.a.) zeugen auch von seinem persönlichen Schicksal.
Sonntag, 15. September 2024
Gelegenheit zum Besuch eines katholischen Gottesdienstes.
Belgische Kunst seit 1830 – das Mu.ZEE
Das Kunstmuseum aan Zee, kurz Mu.ZEE, bietet einen umfassenden Einblick in die belgische Kunst seit dem 19. Jahrhundert. Der 2016 neu eröffnete Museumsflügel ist den beiden berühmtesten Künstlern der Stadt gewidmet: James Ensor und Léon Spilliaert.
Stefan Zweig und die Welt von Gestern I Bild-Vortrag und Gespräch
Durch den beeindruckenden Film „Vor der Morgenröte“ (2016) und die Neuverfilmung der „Schachnovelle“ (2021) sind die letzten Lebensjahre Stefan Zweigs im Exil wieder ins Bewusstsein gerückt worden. Seine „Sternstunden der Menschheit“, viele Erzählungen sowie der (Exil-)Roman „Ungeduld des Herzens“ gelten als einfühlsame Porträtierung der Zeit von der „Wiener Moderne“ über die „Goldenen Zwanziger“ bis hin zu den verhängnisvollen 1930er und 1940er Jahren, ähnlich wie seine epochalen Erinnerungen „Die Welt von Gestern“.
Nach der Mittagspause geht es zurück ins Rheinland. Fahrt nach Köln (Ankunft ca. 18.45 Uhr) und Bensberg (Ankunft ca. 19.30 Uhr).
Änderungen im Programmverlauf und in der Organisation bleiben vorbehalten.