Clara Schumanns Konzert- und Urlaubsreisen in die Schweiz
Clara Schumann 1859 (Kohle, Eduard Bendemann 1859 – gemeinfrei)
1856 stürzt sich Clara Schumann nach Roberts Tod in einen Konzert-Marathon quer durch Europa. Mit ihren 37 Jahren ist sie auf dem Höhepunkt ihrer pianistischen Fähigkeiten. Die Musik ist ihr Leben. Zudem ist für sie das Konzertieren eine materielle Überlebensfrage: wie sollte sie als junge Witwe auf andere Weise ihre sieben Kinder versorgen?
Sie nimmt ihre Karrieren-Pläne selbst in die Hand, und dank ihrer vielen Freunde – allen voran Johannes Brahms – gelingt es ihr, die oft umständlichen Reisen, die Aufenthalte an fernen Orten und die Sorge um ihre Kinder unter einen Hut zu bringen. In den deutschen Musikzentren spielt sie oft und meist sehr erfolgreich, vor allem in ihrer Heimatstadt Leipzig (zusammen mit Mendelssohn als Dirigenten).
Dazu zählen die vielen Auslandreisen bis nach Russland, doch am häufigsten führt sie die Solisten-Karriere nach London. Nebst Ungarn, Holland und Belgien ist für sie auch die Schweiz eine willkommene Bühne.
Nach den belastenden Monaten vor und nach Roberts Tod erholt sich Clara am milden Vierwaldstättersee: in Gersau (am Fuß der Rigi) findet sie für einige Wochen Entspannung, zusammen mit zwei ihrer Kinder, mit Brahms und dessen Schwester.
Gersau: Luftaufnahme Pilot W. Mittelholzer 1919 (gemeinfrei)
Doch die Zeit für Urlaubstage ist begrenzt – «die Pflicht ruft»! 1857 bereist die Konzertpianistin viele deutsche Städte und erreicht im Dezember die Schweiz, wo sie 7 Konzerte bestreitet (in Zürich, Bern, Basel und Winterthur). – In Bern und Basel streicht sie für Ihre Auftritte erkleckliche Gagen ein und meint in Ihrem Tagebuch: «So honett sind sie in Deutschland nicht…»
* Konzertauftritte O Aufenthalte (Urlaub, Kuren)
Über ihr erstes Berner Konzert mit Mendelssohns g-moll Konzert, einer Beethoven-Sonate und Stücke von Robert Schumann schreibt der begeisterte Kritiker im «Bund»: «Clara Schumann wusste durch ihre herrlichen Leistungen die Achtung des Auditoriums in immer lauterere Bewunderung zu steigern. In der That, sie ist der Grössten eine, und was ihr Spiel besonders charakterisiert, ist die tiefe Wahrheit und Innigkeit der Empfindung, wie sie vornehmlich im Vortrag Beethovens zu Tage trat.»
Diese Schweizer Tournee hat in Winterthur beim Zusammentreffen mit dem dortigen Stadtorganisten und Komponisten Theodor Kirchner ihren Anfang genommen, einem Freund, der seine Stellung der Vermittlung Robert Schumanns verdankt. Nach zwei Konzerten in Basel gibt Clara hier am 20. Dezember ein Rezital mit Beethoven, Schumann, Mendelssohn, Chopin und Scarlatti, am Tag zuvor spielte sie in Zürich Roberts «Symphonischen Etüden», «Wagner zu lieb», wie sie im Tagebuch notiert. Wagner habe sich in Zürich ihr gegenüber sehr galant gezeigt (zu seiner Musik wird sie später eher auf Distanz gehen).
1858 bereist sie wiederum die Schweiz von Genf bis Winterthur, wo sie eine Soirée mit Theodor Kirchner gibt:
Konzertprogramm (Quelle unbekannt – gemeinfrei)
Ihre Schweizer Konzerte generieren eher dürftige Presse-Kommentare. – Trotzdem lässt 20 Jahre später die Konzert-Ankündigung der NZZ für das Konzert vom 25. Januar 1879 in Zürich eine Art «Argerich-Effekt» vermuten: «Einem einzigartigen und nicht so bald sich wiederholenden Kunstgenuss sehen die Musikfreunde Zürichs entgegen: es genügt der Erwähnung, dass der gefeierte Gast des Abends vom 25. Januar Frau Dr. Klara Schumann sein wird (…) Nicht viele Städte dürfen sich rühmen, die allverehrte und begehrte Künstlerin zu hören.» Und der darauf folgende Konzert-Bericht über die vorsorglich promovierte Pianistin tönt nicht minder euphorisch: «Das aber müssen wir hervorheben, dass uns das Schumann’sche Klavier-Quintett nach wie vor in so vollendeter und mustergültiger Weise geboten worden ist (…) Hier vereinigen sich Reichtum und Originalität der Empfindung, bewusste Geschlossenheit und Kraft des Ausdrucks…» (NZZ vom 1. Febr. 1879). – Als Roberts Botschafterin spielt sie immer wieder sein a-moll-Konzert op. 54, den Carnaval op. 9 und das Klavierquintett op. 44.
Weit häufiger als für Konzertauftritte besucht die Schumann die Schweiz als Urlauberin, oft auch für Kuraufenthalte, um ihre Rheuma-Attacken zu behandeln. Roberts a-moll- und Beethovens Es-Dur-Konzert setzen ihr tüchtig zu, ganz zu schweigen von der pianistischen Parforce-Leistung der Brahms’schen Kammermusik und dessen d-moll-Konzert.
Im Sommer 1862 beklagt sie sich auf der Rigi in einem Brief an Brahms über die frostigen Temperaturen und den Regen (so wie früher Mendelssohn und Wagner: die Schweiz erscheint in diesen Berichten als wahres Regenloch).
Noch zweimal wird Clara zur Rigi hochsteigen (drei Jahre vor der Eröffnung der Vitznau-Rigi-Bahn) und von Klosters aus schreibt sie an Brahms im Sommer 1875 wiederum über die Regentage, jedoch auch über die Freude am Incognito, über die schönen einsamen Plätze im Wald und die gute Luft.
Mit Begeisterung schildert sie ihm die Reise mit ihren Kindern im Sommer 1871 von Zürich nach Chur: «…die Schönste, die ich noch auf der Eisenbahn gemacht!» Umso qualvoller dann die Fahrt im offenen Postwagen über den Julierpass nach St. Moritz (so wie Wagner ca. 20 Jahre zuvor): «…einer der fürchterlichsten Reisetage, die ich noch je durchgemacht.» Die brennende Sonne und der Straßenstaub setzen ihr zu.
Ein Jahr zuvor fiel ein anderes Schweizer Reiseprojekts ins Wasser: am 15. August packte sie die Koffer für einen Aufenthalt in Brunnen (Vierwaldstättersee). Doch da las sie ein Blatt, «in welchem stand, dass die Schweizer französisch gesinnt seien und die Deutschen verschiedentlich insultiert hätten; das war mir dann doch zu unbehaglich…» (in Frankreich tobte der preussisch-französische Krieg).
Und Interlaken? – Aus dem kleinen Örtchen am Thunersee ist im 19. Jahrhundert ein mondänes Urlaubsparadies geworden (Mendelssohns Lieblingsort in der Schweiz).
So wie «man» sich heute in Gstaad oder Sils-Maria trifft, so fand man sich damals in Interlaken ein. Während der 9 Aufenthalte trifft die Pianistin hier viele Freunde und logiert üblicherweise in der Pension «Ober» (im Flecken «Matten»). Erstmals reist sie im Juli 1872 auf Einladung des Berner Philosophie-Professors Moritz Lazarus nach Interlaken. Man verbringt zusammen gemütliche Abende und genießt den nahen Wald mit Seeblick – und sie notiert: «Am 22. Endlich kamen die Kinder….Wie froh war ich, als ich sie hatte!…»
Interlaken 1870 (Blick gegen Süden – gemeinfrei)
Nach ihrem letzten Konzert im Herbst 1891 in Frankfurt ist Clara Schumann hier Stammgast.
Im Sommer 1894 weilt sie mit den Töchtern Marie (die sich hier übrigens später ein Haus bauen wird) und Eugenie und den 2 Kindern ihres verstorbenen Sohnes Ferdinand im Chalet Sterchi in Interlaken, und im Mai 1895 kündigt sie Brahms ihren nächsten Interlaken-Aufenthalt an, worauf er ihr aus Ischl antwortet: «Schade, dass Du Deine Liebhaberei für I. nicht die 3 Jahre getroffen hast, die ich in Thun war. Wie oft kam ich damals hinüber, wie oft würde ich erst jetzt kommen!»
Den geplanten Interlaken-Sommer 1896 erlebt Clara Schumann nicht mehr. Sie stirbt im Mai 1896 in Frankfurt.
Q u e l l e n :
Beatrix Borchard, Clara Schumann – Ihr Leben, Olma, Hildesheim 2015 (3.)
Berthold Litzmann, Clara Schumann. Ein Künstlerleben, 3. Band, Leipzig 1920
Brigitte François-Sappey, Clara Schumann, une icône romantique, Le Passeur, Paris 1923
Karls Höcker, Clara Schumann, dtv junior 1981 (3.)
Eugenie Schumann, Erinnerungen, Engelborns, Stuttgart 1925
Dokumente aus dem «Schumann-portal.de»
12. September 2023 || ein Beitrag von Josef Zemp, Studium der Romanistik und Musikologie in der Westschweiz und in Frankreich (Doktorat). Parallel dazu Berufsausbildung am Konservatorium (Cello und Klavier) – Cello-Diplom.
Geboren in einer Familie von Amateur-Musikern. Volksmusikforschung in Madagaskar, danach Unterricht am Gymnasium (französische Sprache und Literatur, Musik). Leitung von Weiterbildungskursen für Gymnasiallehrer. Publikationen in Feuilletons und Zeitschriften zur französischen Literatur. Vortragsreihen an Volkshochschulen zu Literatur und Musikgeschichte.
Vier facettenreiche Beiträge über Komponisten in der Schweiz haben wir in diesem Sommer in unserem Blog veröffentlicht. Unser Dank gilt Dr. Josef Zemp für die interessanten Berichte und den Geschichten hinter der Geschichte.