Die Weltkirche
Das Gemeindeleben in der ORTSKIRCHE verlangt vielen Christinnen und Christen in den letzten Wochen und Monaten viel ab. Missbrauchsfälle, Finanzprobleme, Leitungsstrukturen, Kommunikationsdefizite sind Überschriften, die die Menschen beschäftigen bis erschüttern. Aktuell werden gemeindliche Strukturen, die gewachsen sind und die Gremien verlässlich durch viele Jahre und Jahrzehnte getragen haben, im Erzbistum verändert. „Zusammenfinden“ heißt der neue Ansatz. Dabei wird die größer werdende Differenz von Leitung und Basis im Erzbistum erneut spürbar.
Akademiereferentin Karin Dierkes hat sich vor der Tagung „Instrumentalisierung der Weltkirche?“ (17. bis 18. Juni in Bensberg) mit Elisabeth Neuhaus, Vorsitzende des Vereins „Saat für Hoffnung“, über die „Weltkirche“ ausgetauscht.
Liebe Elisabeth Neuhaus, WELTKIRCHE ist in diesen Tagen gefühlt „weit weg“ – oder ist die Weltkirche näher und für unser Tun und Wirken relevanter als wir denken?
Weltkirche ist für mich besonders in globalen wie regionalen Krisen konkret und wichtig: wenn Christen und Christinnen Menschen in Not durch weltweite Solidarität im Gebet, durch Spenden und vielfältige Aktionen unterstützen. Das geht von der Corona Hilfe für Menschen in Indien über das Engagement für eine gute Lösung in Äthiopien bis hin zur Unterstützung für die Ukraine.
Wer über Ortskirche und Weltkirche spricht, spricht auch über Macht. Reformen, die wir uns lokal für unsere Gemeinde und die deutsche Kirche wünschen und fordern, werden mit dem Argument gestoppt, dass diese in der Weltkirche nicht umsetzbar, gewünscht oder nachvollziehbar sind. So wird die Weltkirche instrumentalisiert, Spielräume der Ortskirchen verschwinden, die Macht, die in der der Struktur liegt, wird spürbar. Erlebst du das auch so?
Ich erlebe eine Ambivalenz von gepredigter Veränderung und struktureller Verhinderung. Das ist durchaus üblich bei Veränderungsprozessen, nicht nur in der Kirche.
Meines Erachtens bietet diese Krise eine Chance, Katholizität im Sinne einer Relecture in einem neuen Verhältnis von Vielfalt und Einheit zu gestalten. Manchmal habe ich den Eindruck, dass Verantwortliche befürchten, Kirche zerbricht, wenn die Zentrale sie nicht (nach ihrer Fasson) zusammenhält. Wir benötigen einen mutigen Dienst an der Einheit, der binäres Denken von richtig und falsch überwindet und das so hoch gepriesene katholische „sowohl als auch“ in unterschiedlichen Facetten des Glaubens und seinen Sozialformen zu sehen und sich daran zu freuen weiß. Das wäre Macht als Ermächtigung dessen, was der Geist wirkt. Klar, so etwas ist immer mit Risiko behaftet. Aber das ganze Evangelium ist eine hochriskante Sache.
Du hast vor einigen Jahren den Förderverein „Saat für Hoffnung“ gegründet. Was will dieser Verein erreichen, wofür setzt er sich ein – und warum kann er ein Beispiel für das inspirierende Erleben von Weltkirche sein?
Vor Jahren waren eine Freundin und ich etliche Wochen in Indien. Zunächst in Kerala, um zumindest ansatzweise einen Eindruck zu bekommen von der Art und Weise, wie dort Kirche gelebt wird, wo viele unserer indischen Priester und Ordensleute ihre Heimat haben. Dann waren wir im Norden und Nordosten. Wir erlebten dort wieder andere Mentalitäten, Kulturen und somit verschieden Facetten, Kirche zu sein. Dort haben wir viel diakonisches Handeln der Christinnen vor Ort erlebt, eine Solidarität von Hindus, Christen und Moslems, die sich aus einer tiefen Verortung in ihrer eigenen Spiritualität für Frauen und Familien in Not einsetzten. Der gegenseitige Respekt vor der jeweils anderen Art, mit Gott unterwegs zu sein, hat mich neben den hoch wirksamen Selbsthilfeprojekten sehr beeindruckt.
Um Spenden zu generieren, haben wir einen bescheidenen Verein gegründet, der als e.V. werteorientiert arbeitet ohne weltanschaulich exklusiv zu sein. Wichtig ist uns, Frauen und Familien darin zu unterstützen, auf ihre Weise zu einem auskömmlichen Leben zu kommen. Dabei lernen wir immer wieder neu, nicht paternalistisch unsere Kriterien für ein gutes oder gelungenes Leben anzulegen, sondern die Kriterien derer, um die es geht, verstehen zu lernen.
Ich wage einen Blick in die Zukunft. Wo stehen Orts- und Weltkirche in 5 oder in 10 Jahren? Welche Relevanz wird Kirche vor Ort als Gemeinde und in der Welt als Weltkirche haben? Für was wird die Kirche stehen? Werden die großen innerkirchlichen Fragen unserer Zeit nach Weihe, Partizipation, Machtteilhabe u.a. bearbeitet und anders beantwortet sein?
Ich glaube die Wirksamkeit von Kirche wird davon abhängen, inwieweit sie von Menschen als relevanter Beitrag für ihr jeweiliges Leben erlebt wird, also das was das Evangelium mit „Leben in Fülle“ bezeichnet. Da, wo Kirche lebensdienlich handelt, redet, Gott und den Menschen feiert, wird sie fruchtbar. Wo sie das tut – das zeigt ein Blick in die Weltkirche – dort wächst sie auch. Das wird sich zunehmend ausdifferenzieren.
Zu den von dir genannten und etlichen anderen Themen wird sich die Weltkirche positionieren müssen, ob sie bei einem weltweiten „all fits one“ bleibt oder den Sprung wagt, dieselben Themen in verschiedenen Regionen unterschiedlich zu buchstabieren und gerade dadurch die gemeinsame Basis zu stärken. Ambiguitätsgestaltungskompetenz ist da gefragt.
Die deutschen Lösungsansätze zu den benannten Themen verbindlich für alle auf weltkirchliche Ebene zu heben wäre meines Erachtens ebenso gewalttätig wie ein Zementieren des Status quo oder Warten auf weltweite Mehrheiten. Wenn es nicht gelingt, zu einer akzeptierten Vielfalt zu kommen, kann es sein, dass eine zu große Sorge um die Einheit diese erst recht beschädigt und Abwendung, Spaltung und Gleichgültigkeit vielen als einziger (Aus)Weg bleibt. Das betrifft dann aber nicht nur die Kirche – die ja lediglich Werkzeug ist! – sondern beschädigt die Glaubwürdigkeit des Evangeliums. Das ist vermutlich nicht intendiert, aber es passiert. Und wenn das die Wirkung wäre, würde die Kirche ihren Auftrag ins Gegenteil verkehren – ob sie es will oder nicht.
Vielen Dank für das Gespräch, liebe Elisabeth, das wir mit dir, weiteren Referierenden und allen Teilnehmenden fortsetzen wollen:
Am Freitag und Samstag, 17. – 18. Juni 2022 beschäftigen wir uns in der Thomas-Morus-Akademie in eine Tagung mit der Weltkirche, Themen werden sein:
- Vom Filiale-Unternehmen zum Netzwerk, Die Kirche zwischen vermeintlicher Einheitsideologie und Dezentralisierung
- Das Ende der europäischen Vormachtstellung? Theologie, Mentalität, Machtzentren
- Die Weltsynode, Perspektiven eines globalen Katholizismus
- Wie ist eine solidarische Weltkirche möglich? Überlegungen aus der Sicht der Sozialethik
17. bis 18. Juni 2022 (Fr.-Sa.)
Instrumentalisierung der Weltkirche?
Reformen, Spielräume und aktuelle Debatten
Akademietagung in Bensberg
Wenn Sie Interesse haben, bitten wir Sie um Ihre Anmeldung bis Montag, 30. Mai 2022.
An dem Tag ist eine Stornofrist, die uns vom Kardinal Schulte Haus vorgegeben wird. Sollte die Teilnehmerzahl von 25 an diesem Datum nicht erreicht sein, müssten wir die Tagung absagen. Vielen Dank.
22. Mai 2022 || ein Gespräch mit Elisabeth Neuhaus, Vorsitzende des Vereins „Saat für Hoffnung“, Theologin und geistliche Begleiterin
Das Gespräch führte Karin Dierkes, Referentin für Theologie und Philosophie.