Auf ein Wort mit… Dr. Michael Hartlieb
Lieber Michael, seit 2013 bis zum Sommer diesen Jahres warst Du als Referent für Theologie und Philosophie in der Akademie tätig, nun lebst und arbeitest Du in Zürich. Wie hast Du den Umzug vom Rheinland und dem Bergischen in die Schweiz erlebt?
Der Umzug an sich ist eigentlich ganz hervorragend und problemlos abgelaufen, spannend und nervenaufreibend war eher der Weg dahin: Durch die coronabedingten Grenzschließungen war eine Einreise in die Schweiz bis Mitte Juni nicht möglich, auch nicht mit einem Arbeitsvertrag und den besten Gründen. So waren wir gezwungen, unsere neue Bleibe in der Schweiz allein über das Internet und Videochats mit potenziellen Vermietern zu suchen. Mit Google Maps haben wir auch viel gearbeitet, um mögliche Arbeitswege und vor allem auch Schulwege zu ergründen. Der erste Besuch in unserem neuen Wohnort Aesch ZH vor den Toren Zürichs war also erst im Juni, und er hielt eine große Überraschungen bereit: «Hier ist es ja viel bergiger, als es virtuell am Rechner den Anschein hatte!». Für mich als Rennradfahrer ist das natürlich eine sehr erfreuliche Tatsache!
Vielleicht noch ein Wort zum Umzug: Dass die Schweiz ein Nicht-EU-Land ist, merkten wir vor allem an den zahllosen Dokumenten, die für die Übersiedelung zu erstellen oder auszufüllen waren. Darunter auch Inventarlisten über unseren kompletten Hausstand (!), denn alle Einkäufe jünger als ein halbes Jahr und über einem gewissen Freibetrag sind für den Zoll interessant. Allein diese Anforderung hat uns einige Tage gekostet …
Erzähl uns, was nun Deine neuen Aufgaben sind? Womit beschäftigst Du Dich? Was hat Dich bisher an Deinem Arbeitsalltag überrascht?
In Zürich bin ich seit 1. August am Theologisch-Pastoralen Bildungsinstitut der deutschschweizerischen Bistümer für die „Theologische Grundbildung“ verantwortlich. Was für ein Wortgeklingel, werden Sie jetzt vielleicht denken! Dahinter verbirgt sich die Aufgabe, die theologischen (Weiter-)Bildungsmaßnahmen für Erwachsene in der Deutschschweiz zu entwickeln, zu koordinieren und letztlich auch durchzuführen. Das von mir nun betreute Angebot richtet sich einerseits an Menschen, die sich in einem modularisierten System zu Religionslehrerinnen und -lehrer ausbilden lassen wollen, und andererseits an Menschen, die den „Studiengang Theologie“ neben Beruf und Familie für ihre persönliche weitere Ausbildung besuchen wollen. Daneben gibt es auch verschiedene Matineereihen mit theologischen Themen, die von uns betreut bzw., weiterentwickelt werden.
Ich bin jetzt seit vier Wochen mit meinen Aufgaben betraut und mache mich immer noch vertraut mit den zahlreichen beteiligten Personen, Institutionen und Aufgaben. Sehr überzeugend und angenehm finde ich hier, dass der in der Schweiz oft negativ gemeinte „Kantönligeist“ dafür sorgt, dass pastorale Projekte stark danach ausgerichtet werden, was sie für die Region und die Menschen erreichen. Hier wird nicht von oben herab dekretiert, sondern alle fordern ein starkes Mitspracherecht für sich und ihr Anliegen ein. Absolut einmalig ist in der Schweiz sowieso das sog. „duale System“ in der Kirche, das zu in Deutschland undenkbaren Verhältnissen in Gemeinden und Bistümern führt. Es gibt hier eine historisch bedingte, und wieder je nach Kanton unterschiedliche, Trennung in staatskirchenrechtliche und kirchenrechtliche Organe. In aller Kürze heißt das, dass öffentliche Gremien darüber entscheiden, wie das Geld für die pastorale Arbeit ausgegeben wird. Das ist natürlich nicht selten konfliktreich: Das Geld sitzt in den Gemeinden, und dort wird also auch entschieden, was damit geschehen soll, welcher Pfarrer angestellt wird usw. Generalvikariate mit hunderten von Mitarbeitern wie in Köln wären hier völlig undenkbar und auch unerwünscht.
Welche Dinge vermisst Du in Deiner neuer Heimat? Sicherlich die rheinische Gelassenheit, oder?
Da dieser Bericht vielleicht auch von Schweizerinnen und Schweizern gelesen wird, sei mir ein gewisser diplomatischer Grundton an dieser Stelle gestattet 😉 Ich vermisse … nichts. Doch: Die rheinische Art der Gesprächsführung am Telefon. Man unterhält sich über Gott und die Welt, wird von völlig Fremden nach drei Minuten über Eheprobleme informiert, weiß nach fünf Minuten, wo sich das Lieblingsrestaurant befindet … Meiner bisherigen, kurzen (!) Erfahrung nach ist man hier ein wenig zurückhaltender. Auch vermisse ich den Kölner Dom, so verrückt das für einen gebürtigen Unterfranken klingt. Aber: Ich vermisse absolut nicht die teilweise völlig kaputte Infrastruktur in NRW, dagegen ist die Schweiz ein Wunderland an Sauberkeit und Aufgeräumtheit. Gerade im Blick auf die Schule unserer Söhne und ihre Ausstattung habe ich in der Schweiz das Gefühl, auf einem völlig anderen Stern zu leben. Ernsthaft: Deutschland ist trotz der engagierten Aufbrüche in den vergangenen Jahren ein absolutes Entwicklungsland, was das angeht.
Was wünschst Du der Akademie?
Die Akademie behalte ich in liebevoller Erinnerung als einen Ort, an dem ich ungeheuer reiche Bildungserfahrungen sammeln konnte, großartige Menschen kennengelernt habe sowie mich in jeder Hinsicht als Person weiterentwickelt habe. Ich wünsche der Akademie dementsprechend, dass sie dieses förderliche Klima weiterhin aufrechterhalten kann und für Menschen mit Interesse an der Welt und ihrer Gegenwart und Zukunft eine Heimat bietet. Mut zur Zukunft und ihrer Gestaltung! Das wünsche ich der Akademie.
Lieber Michael, herzlichen Dank für die Beantwortung der Fragen.
Wir wünschen Dir und Deiner Familie alles Gute in der neuen Heimat. Danke sagen wir für die gute und wertschätzende Zusammenarbeit, für Dein großes Wissen, Dein Engagement und Deinen Einsatz und für Dein immer offenes Ohr als Mitarbeitervertreter, Kollege und Freund.
6. September 2020 || ein Interview mit Dr. Michael Hartlieb, Theologe
Von 2013 bis Juli 2020 war Dr. Hartlieb Akademiereferent und zuständig für die Bereiche Theologie und Philosophie.