Wo ist der Rubens?? In Paderborn!

„WO! IST! DER! RUBENS???!“ – diese Frage stellen wohl nicht wenige Besucherinnen und Besucher der Kölner Innenstadtkirche Sankt Peter. Zumindest hat die Pfarrei den verzweifelten Ausruf in genau dieser, größte Intensität ausdrückenden Schreibweise auf ihre Internetseite gestellt. Viele Leserinnen und Leser unseres Akademie-Blogs werden es wissen, aber mir war es bis vor einigen Monaten nicht bekannt: Die zwischen Verwaltungsgebäuden und einem weiteren Gotteshaus etwas eingezwängte spätgotische Kirche beherbergt nicht nur die Kunst-Station Sankt Peter, ein vom umtriebigen Jesuiten-Pater Friedhelm Mennekes SJ gegründetes Zentrum für zeitgenössische Kunst und Musik.

An der Stirnwand des südlichen Seitenschiffs hängt auch das letzte Bild des flämischen Barockmalers Peter Paul Rubens (1577-1640). Das großformatige Ölgemälde, das die Kreuzigung des Apostels Petrus ebenso plastisch wie drastisch in Szene setzt, bildet den denkbar stärksten Kontrast zum ansonsten karge Kirchenraum, in dem keine Bänke, aber dafür eine Altarskulptur des baskischen Bildhauers Eduardo Chillida stehen.

Fast gänzlich entkleidet und kopfüber wird der Apostelfürst von fünf Soldaten des römischen Kaisers Nero ans Kreuz genagelt. Auch wenn es sich unzweifelhaft um ein Meisterwerk handelt, das Rubens selbst zu seinen besten zählte, kann man gut nachvollziehen, dass die Gemeinde von Sankt Peter den Anblick dieser grauenhaften Szene nicht immer erträgt und sie etwa in der Weihnachtszeit verhüllt.

Dass das Bild aber nun schon seit einigen Monaten nicht mehr in der Kirche hängt, ist nicht den zartfühlenden Gemeindemitgliedern anzulasten. Sie hüten „ihren Rubens“ sorgfältig und erteilen Museen, die das Bild für eine Ausstellung ausleihen möchten, regelmäßig eine Absage. Nachdem napoleonische Truppen das Gemälde 1794 in den Louvre „entführten“ und es 1941 vor der Bombardierung in die Nähe von Bamberg evakuiert werden musste, hing es nach einem Intermezzo im Kölner Dom seit 2004 ununterbrochen an der besagten Stirnwand des Seitenschiffs. Im Oktober 2019 wurde es dann abgehängt, damit ein Restauratorenteam mithilfe von Infrarot- und Röntgenstrahlen prüfen kann, ob umfangreichere Konservierungsmaßnahmen nötig sind, um das Gemälde dauerhaft zu erhalten.

Damit ist die Frage also beantwortet: Der Rubens befindet sich aktuell auf der Empore der Kirche, wo ihn aber nur die Mitglieder des Expertenteams sehen können. Die Untersuchungen dauerten „eine zunächst unbestimmte Zeit“, heißt es auf der Internetseite der Gemeinde, die Rückführung „im Jahr 2020“ werde rechtzeitig bekannt gegeben.

Zwischenzeitlich nutzen die Gemeinde und das Team der Kunst-Station um seinen künstlerischen Leiter Guido Schlimbach den Kirchenraum für die Aktion RUBENS REPLACE, in deren Rahmen aktuell die Installation „Grauer Spiegel“ des Kölner Künstlers und Ehrenbürgers Gerhard Richter gezeigt wird. Diese über fünf Quadratmeter große, rückseitig grau eingebrannte Glasscheibe, hängt genau dort, wo üblicherweise „der Rubens“ bestaunt werden kann. In seiner fast zen-mäßig anmutenden Schlichtheit korrespondiert das Werk sehr harmonisch mit dem Kirchenraum und markiert so den Kontrast zum barocken Ölgemälde.

Wer nun aber nach einem langen Blick in den grauen Richter-Spiegel die Unmittelbarkeit der Kreuzigungsszene vermisst und ihre Rückkehr nicht einfach tatenlos abwarten möchte, dem kann geholfen werden. Erst kürzlich wies Dr. Elisabeth Peters in ihrem Blog-Beitrag „Rubens ganz nah“ auf die hochgelobte Ausstellung „Peter Paul Rubens und der Barock im Norden“ im Diözesanmuseum Paderborn hin. Diese zeigt anhand von zahlreichen Exponaten aus der eigenen Sammlung sowie über 120 Leihgaben aus internationalen Museen, wie groß der Einfluss des flämischen Malers auf die Kunst seiner Zeit und weit darüber hinaus war. Rubens sei ein „Influencer des Hochbarock“ gewesen, stellt der Deutschlandfunk bewundernd fest. Und in der FAZ attestiert Stefan Trinks der Schau, dass sie – wie es eben „Zeichen unvergesslicher Ausstellungen“ sei – eine vergessene Frage aufwerfe: Wie kam der Barock eigentlich in den Norden des deutschen Reiches?

Zwar konnten einige Stücke wie etwa die großformatige Darstellung eines Engels aus Michigan aufgrund der Corona-Pandemie nicht nach Westfalen überstellt werden. Dennoch bietet die letzte große Ausstellung in der ausgehenden Ära des Museumsdirektors Christoph Stiegemann einen umfassenden Einblick in das vielgestaltige Schaffen des Peter Paul Rubens und folgt seinen Einflüssen bis in die Kunst der Gegenwart. In diesem letzten Teil der Ausstellung findet sich auch, wie passend, ein Werk von: Gerhard Richter.

Wo ist der Rubens? Wo ist der Richter? Eine Antwort lautet in diesem besonderen Kunstsommer sicherlich: in Paderborn!

Hinweis
Die Thomas-Morus-Akademie Bensberg und das Erzbischöfliche Diözesanmuseum Paderborn laden vom 27. bis 29. September 2020 (So.-Di.) zu einer Akademietagung nach Paderborn ein. In diesem Rahmen finden eine exklusive Führung durch die Ausstellung sowie Vorträge des Kuratorenteams und der Restauratorin des Museums statt. Weitere Informationen und die Möglichkeit zur Anmeldung finden Sie hier auf der Internetseite der Akademie.

Bilder
Daniel in der Löwengrube, um 1615, National Gallery of Art, Washington, Wikipedia, gemeinfrei
Die Kreuzigung Petri, 1638, St. Peter (Köln), Wikipedia, gemeinfrei
Selbstbildnis, um 1630, Rubenshuis, Antwerpen, Wikipedia, gemeinfrei

25. August 2020 || von Dr. Matthias Lehnert, Akademiereferent