Struktur und Strukturen: Gedanken zu kirchlichen Reformprozessen

Von Wegen und Foren ist derzeit viel die Rede in der Kirche. Am vergangenen Wochenende fanden sich die Mitglieder des Synodalen Weges zu fünf Regionenforen zusammen und setzten dort ihre Beratungen fort. Im Erzbistum Köln beginnt derweil eine interessante Phase auf dem Pastoralen Zukunftsweg. Im September und Oktober werden auf zahlreichen Seelsorgebereichsforen Vorschläge zur strukturellen Neugliederung des Erzbistums vorgestellt, die noch in diesem Jahr in einem Zielbild zusammengefasst werden sollen.

Weg und Forum – zwei offensichtlich beliebte Sozialformen für ganz unterschiedliche Reformprozesse. In der Begriffswahl kommt sowohl die Bewegung als auch die Versammlung zum Ausdruck, die man sich nun für die Kirche wünscht.

Ein zentraler Punkt auf beiden Wegen und in allen Foren – wie wohl auch bei vielen vergleichbaren Reformprozessen in anderen Bistümern – ist die Frage nach den kirchlichen Strukturen. Hier zeigt sich dem interessierten Beobachter ein durchaus paradoxes Bild: Einerseits kritisiert der Kölner Erzbischof Kardinal Woelki eine aus seiner Sicht „überbetonte Konzentration auf Strukturfragen“ und fordert „die Evangelisierung und damit Jesus Christus in den Mittelpunkt zu stellen und kirchliche Erneuerung nicht allein in der Reform von Strukturen zu suchen.“ Andererseits wird aber mit Blick auf den von ihm initiierten Zukunftsweg deutlich, dass es ohne eine tiefgreifende Veränderung von Strukturen offenbar nicht mehr geht. Natürlich: Es handelt sich bei den beiden Wegen um ganz unterschiedliche Strukturen. Aber die Frage bleibt: Wann ist eine kirchliche Struktur reformbedürftig, wann würde aber die Strukturreform zu einer Deformation der Kirche führen?

Dag Heinrichowski SJ, ein junger Jesuit aus Hamburg, der derzeit am Pariser Centre Sèvres Theologie studiert, bietet mit einer lesenswerten Literaturempfehlung im theologischen Feuilleton Feinschwarz.net einen Fingerzeig: In der 70 Jahre alten Schrift „Wahre und Falsche Reform in der Kirche“ (frz: „Vraie et fausse réforme dans l’Eglise“) des Dominikaners Yves Congar, einem Denker der sogenannten Nouvelle Théologie, entdeckt Heinrichowski anregende Gedanken für die heutigen Reformprozesse.

Congar (1904 – 1995) war ein früher Förderer der ökumenischen Bewegung, vertrat Vorstellungen eines „kollegialen Papsttums“ und kritisierte klerikalen Pomp. Der Vatikan untersagte die Verbreitung des zu Congars wichtigsten Werken gerechneten Buchs über wahre und falsche Reform und belegte den Autor mit einem zweijährigen Lehr- und Veröffentlichungsverbot. Erst während des Pontifikats Papst Johannes XXIII. wurde Congar rehabilitiert.

Heinrichowski macht in Congars umstrittenen Werk die Unterscheidung zwischen der Struktur und den Strukturen (la Structure, les structures) der Kirche als zentralen Gedanken aus: „Die Struktur bezieht sich gleichsam auf den Kern der Kirche, auf das, was keiner Reform bedarf. Die Strukturen hingegen müssen sich erneuern, sie sind die Formen, aus denen sich die Kirche regelmäßig häuten muss“. Die Entscheidung, was nun konkret zur unveränderlichen Struktur, und was zu den wandelbaren Strukturen gehöre, sei „selten einfach“ räumt Heinrichowski ein. Daher brauche es bei allen Reformprozessen vor allem eines: Geduld.

Bilder
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Yves Congar OP beim Zweiten Vatikanischen Konzil in Rom (1964), Wikipedia, gemeinfrei

13. September 2020 || empfohlen von Dr. Matthias Lehnert, Akademiereferent Forum PGR