Lieblingslied Fastenzeit 2024

Queste pungenti spine

Vor etwa 10 Jahren hörte ich zum ersten Mal die kleine Cantata Spirituale von Benedetto Ferrari (1603-1681): Queste pungenti spine, ein Klagegesang, der der Maria Magdalena in den Mund gelegt wird. Darin sind, natürlich der Entstehungszeit des 17. Jahrhunderts entsprechend, viele Aspekte von Trauer und des Hineingenommenwerdens in das Heilsmysterium enthalten. Alles eine Frage der Liebe. Musikalisch wunderbar belegt durch das immer gleichbleibende Ostinato in der Begleitung sowie der bewegten Melodieführung in der Singstimme.

Text und Musik spiegeln das Ringen der Trauernden, das Ringen der Seele wieder: Die Liebende hat den verloren, den sie so sehr geliebt hat, der ihr Ansehen verliehen hat, der ihr Hoffnung schenkte. Maria Magdalena weint und weint und quillt geradezu über vor Tränen, aus Kummer vor dem Verlust des Geliebten. Dann aber verfällt sie gleichsam in einen Dialog zwischen Geist und Seele und reflektiert den Grund ihrer Tränen. In diesem Zwiegespräch mit ihrer eigenen Seele realisiert sie, dass in all ihren Tränen ihr eigener Schmerz, ihre Trauer, ihr Alleinsein zum Ausdruck kommt, ja dass sie sich sogar sich in sehnendem Verlangen ganz darin verloren hat.

Die Erkenntnis im Geiste ist der Trauer in der Seele voraus: Maria Magdalena begreift, dass sie, so lange sie um sich selbst weint, keine Erlösung finden kann: Wieviel größer müssen der Schmerz und die Qualen „ihres himmlischen Gebieters“ gewesen sein, der all das für uns Menschen erlitten hat. So erwächst in ihr ein geradezu mystisches Bild, dass doch der Strom ihrer Tränen sich mit dem Strom von Wasser und Blut verbinde, der aus der Seite Jesu Christi floss.

Erst wenn ihre Seele sich langsam diesem Heilsmysterium öffnen kann, wenn sie die tiefe Bedeutung des Leidens und des Sterbens Jesu Christi erkennt und ihren eigenen Schmerz mit dem seinen verbindet, dann wird ihre Seele nicht mehr nur um ihre eigene Trauer kreisen, dann erst hat sie verstanden, was wirkliche Liebe bedeutet.

LIEBLINGSLIEDER | UNSERE REIHE IN DER FASTENZEIT 2024

Wie wichtig ist Musik? Wie wichtig ist Luft zum Atmen?! Überlebenswichtig also. Wir können sie nicht greifen, aber wir fühlen sie, wir hören sie. Musik weckt Lebensfreude.

In der Fastenzeit sprechen wir mit ganz unterschiedlichen Menschen über ihre prägenden Songs und die dazugehörigen Momente, egal, ob Popsong, Schlager, Volkslied oder Evergreen. An jedem Fastensonntag veröffentlichen wir in unserem Blog ein persönliches Lieblingslied. Lesen Sie hier spannende Ausführungen, Wissenswertes und mehr über die Freude an Musik.

3. März 2024 || ein Beitrag von Sylvia Dörnemann, Sopranistin und Theologin, Bonn

Silvia Dörnemann