Der Investor und sein Kloster – Ausverkauf in Pontigny?
Zugegeben: Die Meldung schreckte mich auf. Die ehemalige Klosterdomäne Pontigny verkauft? Den kleinen Ort, wenige Kilometer nordwestlich von Auxerre, kenne ich gut. Immer wieder bin ich mit Gruppen dort gewesen. Unser Ziel war die großartige Klosterkirche, eine Architektur von wunderbarer Strenge und Klarheit. Eben zisterziensisch.
Ein historischer Ort
Die Zisterzienser kamen 1114 hierher. Sie gründeten in Pontigny ihr zweites Tochterkloster. Damit gehört Pontigny zu den vier Primarabteien des Ordens. Vom Mutterkloster Citeaux und ihren vier Töchtern aus überzogen die Zisterzienser ganz Europa mit einem monastischen Netzwerk. Im Mittelalter gehörten zur Filiation von Pontigny 43 weitere Klöster. Schon dies macht den kleinen Ort inmitten von Feldern und den Weinbergen des Chablis bedeutsam. Aber zudem ist hier die einzige Klosterkirche einer Primarabtei erhalten. Nach Aufhebung der Konvente im Zuge der französischen Revolution blieben in Citeaux, La Ferté, Morimont und Clairvaux meist nicht einmal Ruinen der Sakralräume.
Vor vielen Jahren bin ich einmal in Morimont über matschige Kuhweiden gestapft, um die spärlichen Reste der einst glanzvollen Abtei in Augenschein zu nehmen. In Clairvaux, dem der hl. Bernhard einst als Abt vorstand, konnte man ebenfalls kaum mittelalterliches Gemäuer besichtigen. Aber es war spannend, jedenfalls für meine damals noch recht kleinen Kinder, die ansonsten den Besuch von Klöstern für verzichtbar hielten. Da Clairvaux seit der Revolution als Gefängnis dient, musste man am Eingang Handy und Pass abgeben. Man folgte einem Guide mit unglaublich vielen Schlüsseln, von denen auch ausgiebig Gebrauch gemacht wurde. Pontigny ist ganz anders. Die Kirche liegt seit Jahrhunderten wie eine gestrandete Arche auf den Feldern. Das Innere ist lichterfüllt und lässt atmen.
Nach dem ersten Schrecken über die Verkaufsmeldung machte ich mir klar: Es geht natürlich nicht um dieses wunderbare Bauwerk. Die Kirche steht nicht zur Disposition, sondern bleibt Kathedrale der Mission de France. Diese 1941 gegründete Gemeinschaft mit dem von Pius XII. verliehenen Status einer Diözese hatte sich 1954 in Pontigny niedergelassen und in den Klostergebäuden ein Seminar betrieben. Heute hat die Mission de France nur noch ein bescheidenes Haus in der Rue de l‘ Abbé Tauleigne, nicht weit von ihrer Kathedrale. Die Klosterdomäne war 1968 an die ADAPT verkauft worden – mit Ausnahme der Kirche. Die ADAPT bereitete in Pontigny nun Menschen mit körperlichen Behinderungen auf ihre Wiedereingliederung in Gesellschaft und Beruf vor. Die Klostergebäude und teilweise neu errichteten Annexbauten waren für Besucher nicht zugänglich. Erst nachdem das Anwesen 2003 an die Région Bourgogne verkauft worden war, weil die Reha-Einrichtung nach Auxerre umzog, konnte ich das ehemalige Kloster erstmals betreten. Der Verein „Freunde von Pontigny“ veranstaltete dort Ausstellungen. Doch was ist überhaupt an historischer Bausubstanz geblieben?
Tritt man aus dem Seitenportal im nördlichen Querhaus hinaus, so steht man im einzig verbliebenen Flügel des Kreuzgangs. Doch der stammt nicht aus dem Mittelalter, sondern wurde in der Barockzeit errichtet. Aufschwung und Repräsentationsbedürfnis des 17. und 18. Jahrhunderts bezeugen auch die Portalanlage mit flankierenden Pavillons, das Haus des Priors und die Orangerie, die zu einem heute verschwundenen Abtspalais mit Gartenparterre gehörte. Mittelalterlich ist einzig der große Konversenbau. Konversen nennt man die Laienbrüder, deren manuelle Arbeit für den wirtschaftlichen Betrieb eines Klosters unverzichtbar war. Sie lebten in von den Chormönchen strikt getrennten Bereichen. So war auch in Pontigny der auf der Westseite des Kreuzgangs gelegene Konversenbau von diesem durch die sogenannte Konversengasse abgegrenzt. Das Gebäude aus dem 12. Jahrhundert birgt eindrucksvolle gewölbte Säle. Im Erdgeschoß befand sich einst das Refektorium, darüber das Dormitorium der Laienbrüder. Auch dieses bedeutende Gebäude aus der Frühzeit der Zisterzienser wurde nun 2020 zusammen mit ca. 9,5 Hektar Land und insgesamt etwa 5000 Quadratmetern Gebäudefläche zum Kauf angeboten. Der Regionalrat wollte oder konnte die 200.000 €, die der Unterhalt der Liegenschaft jährlich kostete, nicht mehr aufbringen. Der Preis wurde auf 1,8 Millionen € festgesetzt. Zwei sehr unterschiedliche Interessenten legten ihre Projekte vor.
Die Projekte
Die Stiftung Francois Schneider plant einen Hotelkomplex mit kulturellen Akzenten. Der ehemalige Werbemanager und vielseitige Industrielle Francois Schneider hatte 2013 bereits in Wattwiller am Fuße der Vogesen, wo er eine Mineralwasserfabrik betreibt, ein Zentrum für zeitgenössische Kunst mit Themenschwerpunkt „Wasser“ eröffnet. Das Motto für Pontigny soll nun das „Brot“ werden, garniert mit weiteren kulinarischen Angeboten. Museen für zeitgenössische Kunst und die Geschichte der Zisterzienser sind auch geplant. Als zweiter Kaufinteressent trat die Priesterbruderschaft St. Petrus auf, die in Pontigny ein Seminar eröffnen wollte. Die im Gegensatz zu Lefevre und seinen Anhängern papsttreuen Petrusbrüder hatten sich 1988 von der Priesterbruderschaft St. Pius abgespalten. Die Gründung erfolgte bezeichnenderweise im Zisterzienserkloster von Hauterive in der Schweiz. Ihre Affinität zum zisterziensischen Mönchstum scheint eng zu sein, ließen sie sich doch bereits vor Jahren in der Burg von Fontaine-les-Dijon nieder. Die dortige Konventskapelle soll sich der Überlieferung nach genau im Geburtszimmer des hl. Bernhard von Clairvaux befinden. Ihr Dossier für den Regionalrat schmückte die Priesterbruderschaft mit Fotos von Blumen und Bienen sowie Seminaristen bei der Messfeier im außerordentlichen Ritus, bei der Gartenarbeit und beim geselligen Kickerspiel in Soutane. Außerdem stockte sie die geforderte Summe um 300.000 € auf. Vergeblich, wie sich zeigte.
Am 11. Dezember 2020 wurde die Entscheidung getroffen: Die Domäne Pontigny geht an den privaten Investor. Die Meldung erweckte wenig Aufmerksamkeit in deutschen Medien. In Frankreich allerdings kritisierte man die Entscheidung als „spirituellen Ausverkauf“. So zitierte auch DOMRADIO.DE in einem der raren deutschsprachigen Beiträge zu diesem speziellen Immobiliengeschäft. Aber, so möchte man fragen, hätte denn die Priesterbruderschaft Pontigny wieder zu einem spirituellen Ort gemacht? Wenn Spiritualität Selbstheiligung bedeutet, dann sicher. Ein Ort der Frömmigkeit, zweifelsohne. Aber weitgehend unzugänglich. Ein Priesterseminar ist traditionell kein Ort offenen Austausches.
Der Geist von Pontigny
Dabei war Pontigny zu Beginn des 20. Jahrhunderts einmal genau dies gewesen: Ein Ort offenen Austausches. Der Philosoph Paul Desjardins (1859-1940) hatte die Domäne, die seit 1842 dem Erzbischof von Sens gehört hatte, 1906 gekauft. Die dort angesiedelten Pères des Saint Edmé waren nach Amerika gegangen, als sich das schließlich 1905 in Frankreich erlassene Gesetz zur Trennung von Kirche und Staat ankündigte. Im ehemaligen Dormitorium brachte Desjardins seine Bibliothek unter. Von 1910 bis 1939 lud er für jeweils zehn Tage Intellektuelle und Künstler nach Pontigny ein. Diese „Dekaden“ wurden nur während des Ersten Weltkriegs ausgesetzt. Damals musste der Konversenbau als Lazarett dienen. Ab 1922 kamst wieder illustre Gäste wie Francois Mauriac, Roger Martin du Gard, Walter Benjamin, T.S. Eliot, Jean-Paul Sartre oder André Malraux nach Pontigny. Heute noch wird einer der Räume „Chambre d‘ André Gide“ genannt. Das ehemalige Kloster verbreitete weithin geistvollen Glanz.
Diese Zeiten waren dahin, als sich die deutschen Besatzer 1940 im Konversenbau einquartierten. Nur noch das Grab Desjardins auf dem neben der Kirche gelegenen Friedhof erinnert heute an die Dekaden. Die Priesterbruderschaft St. Petrus hätte Pontigny wohl kaum wieder zu einem Ort geistiger Begegnung gemacht. Wie sie sich ihre Wirksamkeit vorstellen, illustriert das Eyecatcher-Foto auf ihrer Homepage: Ein junger Priester in Soutane lagert auf einer grünen Wiese inmitten von Schafen mit ihren Lämmlein. Eine fade Idylle. Der Regionalrat entschied sich für den Hotelkomplex mit gehobener Gastronomie. Man erhofft sich vom Investor Impulse für Wirtschaft und Tourismus.
Trotzdem werde ich wohl auch in Zukunft mit meinen Gruppen auf dem großen Platz gegenüber dem Kloster picknicken. Bei Regen manchmal unter dem schützenden Dach der Markthalle. Seit vielen Jahren tue ich das. Bei schlichtem Weißbrot und einfachem Landwein fühlt man sich den ersten Zisterziensern von Pontigny über die Jahrhunderte hinweg ein wenig verbunden. Aber vorher besuchen wir die großartige Klosterkirche und anschließend – vielleicht – das Café der Fondation Schneider.
Titelbild: L’abbaye de Pontigny Auteur : GIRAUD Patrick, Wikicommons; CC-BY-SA-1.0
Die Klosterkirche (Foto: Andrewrabbot CC BY-SA 3.0)
Der Kreuzgang (Foto: Thomon CC BY-SA 4.0)
Das Haus des Priors (Foto: Thomon CC BY-SA 4.0)
Der Konversenbau (Foto: Thomon CC BY-SA 4.0)
9. Januar 2021 || ein Beitrag von Dr. Elisabeth Peters, Kunsthistorikerin