Was fehlt, wenn die Christen fehlen?
Auf die Frage, was fehlt, wenn die Christinnen und Christen fehlen, gibt es nahezu automatische Antworten: Kirchengebäude würden fehlen, Kolpingverbände, Katholiken- und Kirchentage, Pfingstmontage, Blogs wie diesen hier, theologische Zeitschriften oder bestimmte Bräuche wie Osterfeuer oder Martinsumzüge.
Trotzdem sind solche Antworten nur oberflächlich und nehmen die tiefere Frage nicht ernst. Denn eine Religion muss mehr bieten als Vereinsformen, Rituale, bestimmte Berufe oder Festtage. Besser: All diese Ausdrucksformen müssen aus einem bestimmten tieferen Grund her entstehen und ihn ausdeuten.
Religionen, und so auch das Christentum, leben aus großen Versprechen. Und die Wucht ihrer Versprechen macht sie so faszinierend. Gleichzeitig markiert die Größe, ja: die Großmäuligkeit ihrer Versprechen auch die Fallhöhe, der die Glaubwürdigkeit dieser Versprechen ausgesetzt ist. Wie schnöde, wenn ein religiöser Mensch zu billig, zu schnell, zu unerlitten das Große verheißt und dann schon am Kleinen versagt.
Was fehlt, wenn die Christen fehlen, das sind diese ihre großen Versprechen. Sie lassen sich aufspüren in ihrer Sprache. Christen deuten die Welt mit anderen Worten; und diese Worte können sie (und natürlich auch andere!) zu mutigen und riskanten Biografien motivieren.
Zum Beispiel treffen Christen Frau Krämer oder Herrn Yilmaz – und sie denken: Schau an: Meine Schwester. Mein Bruder.
Oder sie gehen durch einen Wald, wandern an einem Fjord oder durchstreifen ihre City – und sie denken: Das hier, das mich so inspirierend umgibt, das ist Schöpfung. Das gehört nicht mir.
Oder sie finden sich wieder in einer Beziehung, in der sie selbst schuld sind an einer wirren und unglücklichen Verknotung. Und sie sagen: Es gibt Vergebung. Bitte verzeih mir. Lass uns einen Neuanfang versuchen.
Und natürlich, das größte unter ihren großen Verheißungen: Sie stehen am Grab eines lieben Menschen – und sie sagen zu sich wie zu den Anderen: Der ist nicht für immer fort.
Wenn Christinnen und Christen fehlen, dann fehlen nicht alle Moral, aller Anspruch, alles Engagement oder aller Zusammenhalt. Das ist Unsinn. Aber es fehlen bestimmte Worte. Bestimmte Verheißungen. Bestimmte Horizonte. Bestimmte Ermutigungen.
In der geprägten Zeit des Advents tut es gut, innezuhalten – und zu schauen auf das, was da Weihnachten passiert: Gott wird Mensch und kommt in die Welt.
Wie viele glauben noch daran oder wissen darüber? Schon bald werden weniger als 50% der Deutschen einer christlichen Kirche angehören. Im Redaktionsteam fragen wir uns, was fehlt, wenn die Christen fehlen? Und das haben wir auch andere gefragt, ihre Antworten lesen Sie in unserem Blog „Akademie in den Häusern“.
Inspiriert zu dieser Frage hat uns Prof. Dr. Matthias Sellmann und sein Buch mit dem Titel „Was fehlt, wenn die Christen fehlen?“. Seine Antwort auf die Frage lesen Sie am vierten Advent.
1. Advent mit Dr. Andreas Püttmann
Bild von Matthias Sellmann © Martin Steffen
19. Dezember 2021 || ein Beitrag von Prof. Dr. Matthias Sellmann, Gründer und Leiter des Zentrums für angewandte Pastoralforschung (ZAP)