Hilfe leisten für die Ukraine – ein Bericht von Beatrix Leclaire, Assistentin in der Thomas-Morus-Akademie Bensberg
Als ich angesprochen wurde einen Artikel für den Blog der Akademie zu schreiben, habe ich zunächst zögerlich reagiert. In einem zweiten Impuls möchte ich hier nun gerne meine Eindrücke der letzten Tage teilen. Ich konnte dabei sein, Hilfsgüter – vor allem Medikamente – für ein Krankenhaus in Kiew an die polnisch-ukrainische Grenze zu bringen.
Mit diesem Beitrag möchte ich vor allem zeigen, wie viele Menschen in der aktuellen Situation helfen, egal wie, egal wo. Denn jeder kann etwas dazu beitragen.
Donnerstag, 3. März 2022
9.00 Uhr
Ich werde von einer Bekannten, die für die Ukraine gesammelt hat, angefragt, ob mein Mann am Freitag an die polnisch-ukrainische Grenze fahren würde, um die Medikamente, Hygieneartikel, Verbandsmaterial etc. hinzubringen. Da wir im Vorfeld schon darüber gesprochen hatten, dass wir gerne helfen würden, haben wir spontan zugesagt. Für mittags war geplant, die Transporter zu laden. Mein Mann war vor Ort um zu helfen. Bald war klar, dass ein weiterer Transporter erforderlich ist. Da unser Bus aufgrund einer anstehenden Reparatur nicht eingesetzt werden konnte, musste ein weiterer Transporter gesucht werden. Gegen 14.30 Uhr traf mein Mann zum Beladen der Transporter ein, vor Ort sind bereits viele Menschen, die Sachen gebracht haben und beim Beladen helfen. Der Transporter ist schnell voll und es gibt noch etliche Pakete, die mein Mann kurzerhand in unser Auto lädt, um sie zu der Sammelstelle in Köln – dem Privathaus eines Arztes – zu bringen. Auf der Fahrt telefonieren wir miteinander und mein Mann ruft alle Freunde an, ob nicht irgendwo noch ein Transporter zu bekommen ist. Es ist 17.30 Uhr und wir befürchten schon, es wird nichts. Dann ruft ein Freund an und teilt mit, dass sein Nachbar uns einen Transporter zu Verfügung stellen würde. Einfach so! Wir freuen uns riesig. Aber es fehlt noch ein zweiter Fahrer. Wir entscheiden, dass ich mitfahre. Um 20.30 Uhr steht der Transporter zur Verfügung und mein Mann fährt mit meinem Sohn zur Sammelstelle, um diesen zu laden. Dort sind viele Menschen, die die Medikamente sortieren und listen. Der Transporter wird bis zur letzten Ecke beladen. Um 23.00 Uhr sind beide wieder zu Hause. Während dieser Zeit bereiteten meine Tochter und ich alles vor, damit wir beide mitfahren können.
Freitag, 4. März 2022
Am Freitag um 8.30 Uhr haben sich alle getroffen: 3 Transporter, 7 Menschen, darunter ein Arzt und ein Pole, der in Köln arbeitet und 100 km von der ukrainischen Grenze wohnt. Wir fahren im Konvoi los und kommen gegen 23.00 Uhr nach ca. 1.300 km bei ihm Zuhause an. Seine Frau empfängt uns herzlich und nach einem leckeren Essen gehen wir alle schlafen.
Samstag, 5. März 2022
Nach dem Frühstück fahren wir 100 km von unserer Unterkunft zur Grenze. Um 10.00 Uhr sind wir am vereinbarten Treffpunkt, aber der LKW hängt noch an der ukrainischen Grenze fest. Wir fahren weiter zu einem Einkaufszentrum, wo viele Fahrzeuge ankommen, um Pakete abzuladen. Als wir die Halle betreten, erkennen wir, dass es zu einem Auffanglager umfunktioniert wurde. Innen stehen dicht an dicht Liegen mit Menschen, vor allem Frauen mit Kindern und Ältere, die meisten mit einem Koffer oder Rucksack, manche haben ihr Haustier auf dem Arm, mit allem was sie auf der Flucht mitnehmen konnten und noch besitzen. Es ist unfassbar und schwer zu sehen, was die Menschen hier ertragen müssen. Sie sind zwar in Sicherheit, mussten aber vor dem Krieg fliehen und alles zurücklassen. Draußen kommen viele Transporter an mit allen möglichen Länderkennzeichen, die Hilfsgüter abladen. Es kommen Busse, um Menschen weiter zu transportieren und viele Autos, um Bekannte, Verwandte abzuholen oder einfach eine Fahrgelegenheit anzubieten. Während wir warten, nutzen wir unsere Kontakte bis hin zur Botschaft, um den LKW durch die Grenze zu bringen, aber nichts bewegt sich. Um 17.00 Uhr entscheiden wir wieder die 100 km zurück zu unserer Unterkunft zu fahren. Wieder werden wir herzlich empfangen und bewirtet. Der neue Plan ist, sofern wir nichts hören, morgens um 6.00 Uhr wieder zurück zur Grenze zu fahren oder bei einem Arzt auf der polnischen Seite die Medikamente und alles andere abzuladen, damit sie dort abgeholt werden können. Gegen 22.30 Uhr wollen wir gerade schlafen gehen, da kommt die Meldung, dass der LKW über die Grenze ist. Wir machen uns fertig und fahren wieder los. Als wir am Treffpunkt ankommen, ist der LKW nicht da. Wir erfahren, dass er zwar die ukrainische Seite passiert hat, aber nunmehr an der polnischen Grenze festhängt. Ein Transporter fährt zur Grenze und versucht den LKW frei zu bekommen – leider ohne Erfolg.
Sonntag, 6. März 2022
Um 2.00 Uhr Sonntag-Nacht entscheiden alle, wir fahren wieder zum 100 km entfernten Quartier zurück. Die anderen wollen schlafen und morgens um 8.00 Uhr wieder am Treffpunkt sein. Die Enttäuschung ist groß und die Zeit läuft. Mein Mann und ich entscheiden, wir brauchen einen Plan B, da wir am Sonntagabend spätestens zu Hause sein müssen. Wir können unsere Ladung bei unserem polnischen Gastgeber in einen VW-Bus umladen und machen uns um 4.00 Uhr morgens auf den Rückweg. Die anderen gehen schlafen. Wir wechseln alle drei Stunden ab und nachdem jeder zwei Mal gefahren ist, sind wir am Sonntag um 16.30 Uhr wieder zu Hause. 3000 km waren wir an diesem Wochenende unterwegs. Um 14.00 Uhr haben sich die anderen gemeldet und uns informiert, dass sie die Medikamente und alles andere in den ukrainischen LKW verladen haben. Gestern erreichte uns die Nachricht, dass der LKW in der Nacht von Sonntag auf Montag um 4.00 Uhr den Bestimmungsort in der Ukraine erreicht hat. Es sind Medikamente, die in normalen Zeiten für 6 Monate das Krankenhaus versorgen würde und die dringend gebraucht werden. Wir sind alle froh, dass es funktioniert hat.
Wir haben viele Menschen gesehen und getroffen, die helfen, ob beim Sammeln, beim Verladen, bei der Versorgung der Geflüchteten. Ein Bekannter, der uns einfach einen Transporter zur Verfügung gestellt hat, Menschen, die uns Unterkunft gegeben haben, viele Menschen – auch durch die Unterstützung unserer Kinder (15. 17 und 20 Jahre alt), unserer Kollegen, die diesen Transport möglich gemacht haben. Ganz viele Transporte aus allen Ländern fahren zur Grenze und bringen Hilfe in Form von Sachgütern. Das ist beeindruckend zu sehen, wie alle helfen – jeder wie er kann. Die Menschen in der Ukraine brauchen unsere Hilfe. Und auch diejenigen, die über die Grenzen fliehen. Und sie werden es noch eine Weile brauchen, außer Putin schafft es das Land einzunehmen. Dann werden die Grenzen geschlossen sein, keiner kommt raus und wir können auch nichts mehr in die Ukraine bringen – ggf. nur unter noch schwereren Bedingungen. In diesem Sinne hoffe ich, dass wir vielleicht nochmals fahren können. Und wir schauen hier, wo und wie wir unterstützen können. Es geht um die Zukunft für uns alle, damit unsere Kinder in Frieden und Demokratie aufwachsen – und nicht Angst vor einem Krieg haben müssen! Denn Putin bedroht nicht nur die Ukraine, sondern uns alle. In diesem Sinne: NO WAR – STOP PUTIN – STAND WITH UKRAINE!
Es fühlt sich seltsam an, sich an einem solchen Zeitpunkt überhaupt mit etwas anderem als der aktuellen Lage in der Ukraine zu beschäftigen. Man kommt im Kopf kaum hinterher, die täglich neuen Entwicklungen sind verstörend. Der Krieg verschiebt unser Koordinatensystem. Wir befinden uns in einer Situation zwischen Resignation und Schockstarre, so beschreibt es Stephan Grünewald in seinem Artikel „Wie ticken die Deutschen“.
Das Blog-Redaktionsteam möchte in ganz unterschiedlichen Beiträgen den Krieg in der Ukraine in den Blick nehmen.
Bildnachweis:
Egor Lyfar, Unsplash, gemeinfrei
10. März 2022 || ein Beitrag von Beatrix Leclaire, Assistentin in der Thomas-Morus-Akademie Bensberg