StadtRäume der Zwischenkriegszeit im Rheinland und in Europa

Europa ist mehr als die Europäische Union mit ihren Institutionen in Brüssel oder Straßburg. Das wird vor allem dann erkennbar, wenn es innerhalb Europas zu grenzüberschreitenden Begegnungen und zur Zusammenarbeit kommt. Im direkten Kontakt werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede direkt erlebbar. Das gilt insbesondere für die Beschäftigung mit der Geschichte Europas, werden doch die Bilder in den Köpfen der Menschen sehr stark von nationalen Sichtweisen geprägt. Hier können sich durch den inhaltlichen Austausch interessante Lernprozesse ergeben, die unmittelbar in die Gegenwart hineinwirken. Das europäische Zusammenwachsen ist ein herausragendes Friedensprojekt, das die Erfahrungen des 20. Jahrhunderts verarbeitet. Das friedliche Miteinander demokratisch verfasster Staaten war zeitweilig unmöglich – mit fatalen Folgen für ganz Europa.

Gemeinsam mit Vereinen und Institutionen aus den europäischen Partnerstädten Leverkusens konnten der Jülicher Geschichtsverein 1923 e.V. (JGV) und der Opladener Geschichtsverein von 1979 e.V. Leverkusen (OGV) von 2020 bis 2023 das Projekt „StadtRäume/UrbanSpaces“ (StaR/UrbS) realisieren, das sich mit der Kulturgeschichte von Städten in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen beschäftigte. Die Jahre zwischen den Enden des Ersten Weltkrieges und den Anfängen des Zweiten Weltkrieges, die im deutschsprachigen Europa gemeinhin als „Zwischenkriegszeit“ bezeichnet werden, werden von der Geschichtswissenschaft ganz unterschiedlich gedeutet, je nach Blickwinkel unter anderem als „Urkatastrophe“ oder als „Höllensturz“, insgesamt aber als Phase besonders ausgeprägter politischer und wirtschaftlicher Instabilität und Krisenhaftigkeit.

Das Projekt „StadtRäume“ setzte ein vorausgegangenes Projekt fort, bei dem in internationaler Kooperation die Zeit des Ersten Weltkrieges aus alltagsgeschichtlicher Perspektive erkundet und in zwei Ausstellungen sowie in einem umfangreichen Buchprojekt dokumentiert werden konnte. An dem darauf aufbauenden StadtRäume-Projekt nahmen Vereine und Institutionen aus den Städten Bracknell (Vereinigtes Königreich), Ljubljana (Slowenien), Oulu (Finnland), Racibórz/Ratibor (Polen), Villeneuve d‘Ascq (Frankreich), Jülich, Leverkusen und Schwedt/Oder (alle Deutschland) teil.

In den acht europäischen Städten wurde die Geschichte der Phase 1918–1939 aufgearbeitet. Dabei wurde die Stadt als sozialer Raum verstanden, der sich unter den Bedingungen der materiellen Gegebenheiten (Architektur, Infrastruktur, Institutionen von Politik und Wirtschaft etc.) herausbildet und beständig verändert, indem das Agieren der Stadtgesellschaft, ihr Stadtbewusstsein und die Stadtentwicklung im Allgemeinen gemeinsam betrachtet wurden.

Aus der historischen Forschung heraus sind unter anderem rund 100 Filmclips entstanden, die auf YouTube frei zur Verfügung stehen und in verschiedenen Formen kombiniert werden können, so dass sich mit ihnen unterschiedliche Geschichten über die stadtgeschichtliche Entwicklung zwischen 1918 und 1939 filmisch darstellen lassen. Die Variationsbreite bezieht sich auf die Inhalte, so dass die Geschichte einer Stadt oder im bi- oder multilateralen Vergleich eine europäische Entwicklung durch die Kombination einzelner Clips zu einem Film dargestellt werden kann. Aufgrund der Mehrsprachigkeit der Clips sind selbst bi- oder multilinguale Kombinationen möglich. Vor allem lässt die Kombinationsvielfalt unterschiedliche Vermittlungsmöglichkeiten zu.

Die Entwicklung der Filmclips wie der anderen Produkte (Ausstellungen, Publikationen, Veranstaltungen etc.) wurde durch regelmäßige Workshops vorangetrieben, die neben dem fachlichen Austausch auch dem persönlichen Kennenlernen über die Landesgrenzen hinweg dienten. Dabei wurden aus allen Projektstädten auch Jugendliche und junge Erwachsene einbezogen, die inhaltliche Impulse gaben und selbsttätig die Verbreitung der Projektarbeit auf verschiedenen Social-Media-Kanälen übernommen haben. Für alle Beteiligten wurde Europa ein Stück weit greifbarer. In einem Folgeprojekt „StadtRäume 2.0“ soll die Projektarbeit bis 2026 fortgesetzt werden. Dann soll verstärkt der Frage nachgegangen werden, warum die demokratischen Ansätze nach dem Ersten Weltkrieg in Staaten wie Deutschland scheiterten und was wir daraus für die Gegenwart lernen können.

Weitergehende Informationen finden sich unter https://star-urbs.eu/.

7. Juni 2024 || ein Beitrag von Guido von Büren, Kunsthistoriker, Mitarbeiter am Museum Zitadelle Jülich, Vorsitzender des Jülicher Geschichtsvereins

Guido von Büren