Wo ist eigentlich… Rainer Maria Kardinal Woelki?
Berge oder Meer?
„In die Berge oder ans Meer – wo fahren Sie denn lieber hin?“ Eine fast schon klassische Kennenlernfrage beim Daten. Da ich nicht date, kann ich sie hier ja vielleicht mal beantworten und sage frech: „Weder noch“.
Beides – Berge und Meer – finde ich faszinierend schön, und kann mich deshalb bei dem, wohin ich lieber fahre, nicht entscheiden. Ich genieße einfach die freie Zeit, die mir dann geschenkt ist. Urlaub, Ferien, ganz gleich wo – das sind Schlüsselworte, die einen aufatmen lassen. Sehnsüchte erwachen im Inneren. Was gesucht wird, steht meist im Kontrast zum Gewohnten. Ich kann aufstehen, wann ich will. Ich kann den Tag einteilen, wie es mir gefällt. Ich darf ohne schlechtes Gewissen im Urlaub in den Tag hineinleben, weil es mir guttut und der Terminkalender weit weg ist. Ich habe Muße, die wandernden Wolken zu beobachten, auf einer Wiese liegend die Gipfel der Berge, die mich umgeben, zu betrachten oder ein Stück barfuß im Sand am Meer zu laufen. Was für ein Gefühl von Freiheit! Was für wunderbare Düfte: das frisch gemähte Grass zu riechen, das Heu, den Geschmack von Meersalz auf den Lippen zu schmecken.
Wann kann ich das schon mal alles so ganz absichtslos auf mich zukommen lassen? Ich kann tun, was mir Freude bereitet, ohne dass jemand hinter mir her ist und etwas von mir möchte. Urlaub ist für mich eine Zeit, einzuüben, gelassener zu werden, wieder neu zu lernen, für mich selbst da zu sein, die Hände einmal in den Schoß zu legen, auszuruhen und Zeit zu haben – für sich selbst, aber auch für Gott.
Wie von selbst, wird es dann mit der Zeit ruhiger in mir. Und manchmal fühle ich mich dann leicht und beschwingt, möchte hüpfen und singen, über den eigenen Schatten springen. Ich werde sensibler für die Schönheit von Blumen und Blüten, nehme ganz neu das Zwitschern der Vögel wahr und fühle das leise Wehen des Windes in meinem Gesicht – weniger mit dem Verstand als mit den Sinnen und der Seele. Dann bin ich mit einem Mal wieder bei mir selber und bei Gott – und kann ihn für all das loben und preisen. Was für eine göttliche Erfahrung – ganz gleich ob am Meer oder in den Bergen.
Foto vom Kardinal: © Erzbistum Köln/ Robert Boecker
Bild: Berge und Meer: © SantonjaCubas, Getty Images
23. Juli 2024 || ein Beitrag von Rainer Maria Kardinal Woelki, Erzbischof von Köln