Mein Sehnsuchtsort | Das Eilean Donan Castle in Schottland
1990, Klassenraum der 5. Klasse. Ich erinnere mich noch, dass die Wände mit diversen Postern dekoriert waren. An die Motive erinnere ich mich nicht mehr. Mit einer einzigen Ausnahme: Das Eilean Donan Castle. Gesagt hat mir dieser Ort nichts, schulisches Thema war er auch nicht, aber irgendwie hat sich das Poster in meinem Gedächtnis festgesetzt, nicht vorne und leicht abrufbar, sondern irgendwo weit hinten…
Elf Jahre später sollte mir ein Kommilitone von einem mit zwei Freunden geplanten Trip nach Schottland erzählen. „Schottland?“, dachte ich, „in Schottland war ich noch nicht“. Die Möglichkeit tat sich auf, die drei zu begleiten, also flog ich 2001 zum ersten Mal nach Schottland.
Es war eine studentische Reise. Mit Rucksack, Zelt und Schlafsack bepackt sollte es in Edinburgh losgehen. Ein Besuch im Edinburgh Castle natürlich inklusive. Ein beeindruckender Ort und das letzte Stück Kultur für ein paar Tage. In Edinburgh nämlich ging es per Bus in die Highlands. Es war trocken, nicht wirklich warm, aber kaum windig, so sollte es also schon klappen. Und dann querfeldein mit einem atemberaubenden Blick nach dem anderen. Das, was Jahre später ein regelrechter Trend werden sollte, haben wir schon damals ausprobiert und für gut befunden: Absolute Entschleunigung, Auszeit in der Natur, den Geräuschen von Feld und Wald und Wasserläufen lauschen und Digital Detox (letzteres lag natürlich auch an der katastrophalen Akkulaufzeit und der Abwesenheit von Steckdosen). Die schottischen Highlands sind nicht nur leere Hügellandschaft, sie sind vor allem bewohnt von Schafen. Die Tatsache, dass diese in riesigen Geländen eingezäunt waren, ließ auf die Anwesenheit der dazugehörigen Menschen schließen, aber von denen haben wir tagelang niemanden gesehen. Nach einigen Tagen in dieser fast surreal friedlichen Umgebung sind wir schließlich doch ziemlich nass geworden, so dass eine Strecke per Bus ganz traumhaft erschien. Eine einsame Straße mit einer noch einsameren Bushaltestelle war eine regelrechte Einladung. Wohin, war eigentlich egal, vorne auf dem Bus stand „Eilean Donan Castle“, wird schon was sein.
Wir waren sehr beschäftigt, ständig die Position unserer Schuhe auf der Heizung des menschenleeren Busses zu wechseln, als – scheinbar plötzlich – einer der schönsten Orte auf der Welt auftauchte und durch die regennassen und beschlagenen Scheiben besonders verwunschen aussah. Das Eilean Donan Castle.
Eilean Donan bedeutet „Donans Insel“, ein Verweis auf den Heiligen Donnán von Eigg, ein Kelte, der im 6. Jahrhundert den Märtyrertod fand. Ihm soll ein Kloster an derselben Stelle errichtet worden sein, von dem heute selbst die Archäologen nichts Eindeutiges mehr finden können. Im 13. Jahrhundert dann wurde die Burg errichtet, sicher als Verteidigung gegen Wikingereinfälle. Ein Jahrhundert später siedelte der Clan MacCrae in der Nähe, die Burg wurde Stammsitz des Clans. Einige Jahre diversen Attacken ausgesetzt, wurde das Eilean Donan Castle im Jahr 1719 fast vollständig von den Jakobiten zerstört. Der Wiederaufbau im 20. Jahrhundert hat sich so nah wie möglich am ursprünglichen Erscheinungsbild orientiert – der Schlüssel hierzu war ein Traum mit der exakten Erscheinung des historischen Gemäuers des lokalen Steinmetz Farquhar MacRae.
All das war mir damals nicht bekannt, aber trotz der dichten jahrhundertelangen Geschichte, schien es mir ein Ort zu sein, an dem die Zeit stehen geblieben ist.
Erst auf dem Rückflug ist mir das Poster im Klassenraum wieder eingefallen. Ohne es zu merken, habe ich wohl jahrelang einen Lieblingsort mit mir herumgetragen, und das bevor ich ihn wirklich gesehen hatte.
20. August 2023 || ein Beitrag von Judith Graefe, Akademiereferentin Erkundungen