Auferstandener_Impuls von Pfarrer Axel Hammes-Frohe Ostern 2022

In seinem Ende der Anfang

„Siegertypen“ sehen wahrlich anders aus als der Auferstandene, den uns der Maler Giovanni Bellini (*1430 †1516) präsentiert. Vom hellen Leuchten der Ostersonne kann nicht die Rede sein. Die Spuren, die Christi Kampf um Leben und Tod hinterlassen haben, haften nicht nur äußerlich an seiner Gestalt. Sie sind ihm ins Gesicht geschrieben, in den Spiegel seiner Seele. Nur ansatzweise kann man erahnen, was diese Augen alles gesehen haben. Wie einer, der gerade noch einmal davongekommen ist, tritt uns Jesus entgegen. Wird sein Mund gleich um Hilfe bitten, der sich auf dem Bild selbst erst ganz zaghaft geöffnet hat? Wie will der nur den Triumphzug ins neue Leben anführen? Es ist dieser so feinsinnig gemalte Moment des Übergangs zwischen den Welten, der fasziniert und tief berührt.

Denn ganz behutsam findet auch die helle Kehrseite des Ostergeheimnisses Eingang in die Komposition des Bildes. Die Dornenkrone geht fließend über in die Lichtstrahlen um das Haupt Jesu. Er ist bekleidet mit einem strahlend weißen Gewand mit edlen Borten. Doch an entscheidender Stelle lässt es eine Lücke, gibt es in Form eines überdimensionalen Tropfens den Blick frei auf die Seitenwunde, auf den Todesstoß am Kreuz. Die linke Hand umfasst ein kostbares Buch wie eine Agenda: das Buch des Lebens. Alles ist darin schon immer verzeichnet gewesen. Er hat es nie ganz aus der Hand gegeben. Aber es bleibt verschlossen. So undurchschaubar sind für uns die Pläne Gottes, solange wir auf dieser Seite der Wirklichkeit verweilen.

Und doch geht Segen von ihm aus. Dazu hat er den rechten Arm angewinkelt und die Hand erhoben. Er überwältigt uns nicht mit der geballten Wucht seiner Göttlichkeit. Was alles menschliche Maß sprengt, setzt er um in die dezente Zeichensprache der Liebe, die stärker ist als der Tod. Kein Wunder, dass Christus in den Ostererscheinungen niemals auf Anhieb erkannt wird. In einem Gedicht aus dem zweiten Teil seines Stunden-Buches hat Rainer Maria Rilke (*1875 †1924) dafür folgende Worte gefunden:

Du bist die Zukunft, großes Morgenrot
Über der Ebene der Ewigkeit.
Du bist der Hahnschrei nach der Nacht der Zeit,
der Tau, die Morgenmette und die Maid,
der fremde Mann, die Mutter und der Tod.

Du bist die sich verwandelnde Gestalt,
die immer einsam aus dem Schicksal ragt,
die unbejubelt bleibt und unbeklagt
und unbeschrieben wie ein wilder Wald.

Du bist der Dinge tiefer Inbegriff,
der seines Wesens letztes Wort verschweigt
und sich den Andern immer anders zeigt:
dem Schiff als Küste und dem Land als Schiff.

Nur der kann echte Zukunft schenken, der das Vergangene nicht vergessen machen muss. Christus hebt wirklich alles auf in seinen ewigen Frieden. Die alten Wunden werden nicht einfach zugedeckt. Denn er teilt mit uns sein neues Leben, das dem Tod abgerungen ist; er spendet eine Freude und einen Trost, die aus dem Leiden geboren sind; er weckt Hoffnung, die auch an seiner totalen Verlassenheit nicht unterging. Gerade in Zeiten von Krieg, Pandemie und Kirchenkrise könnte die Osterbotschaft uns zum Segen werden: Die wahre Stärke geht nicht aus von strotzender Kraft, sondern von der Verletzlichkeit der Liebe.

Bild: Giovanni Bellini, Segnender Christus, um 1465, Musée du Louvre Paris, gemeinfrei
Gedicht: „Du bist die Zukunft“ aus: Rainer Maria Rilke, Das Stunden-Buch: Zweites Buch: Das Buch von der Pilgerschaft, 1901.

Osterfreude

Texte & Gedanken an den Kar- und Ostertagen

Pfarrer Dr. Axel Hammes, Subsidiar in Bensberg und Bergisch Gladbach, wird die Kar- und Ostertage mit Texten in unserem Blog „Akademie in den Häusern“ gestalten. Ein regelmäßiger Blick in unseren Blog lohnt sich!

17. April 2022 || ein Beitrag von Pfarrer Dr. Axel Hammes, Lehrbeauftragter für Neues Testament und Homiletik in Köln, Bonn und Lantershofen; Geistlicher Begleiter; bis 2021 Spiritual am Collegium Albertinum in Bonn, seit Anfang 2022 Subsidiar in Bensberg und Bergisch Gladbach