Frauen und Ämter: Es ist an der Zeit, über „Macht“ zu sprechen.
Auch in der Kirche wird in unzähligen Spielarten Macht ausgeübt, ausgespielt, missbraucht, aber auch schlicht nicht genutzt. Die Rede vom Amt, das sich als Dienstamt versteht, meint hier die Steuerungs- und Entscheidungskompetenz, die jemand aufgrund seiner Position innehat. Es geht um die tatsächliche formale Autorität (Potestas). In der katholischen Kirche ist sie an die Weihe gebunden, die Männern vorbehalten ist.
In diesem Zusammenhang ist auch die so genannte „Frauenfrage“ zu betrachten. Der kirchliche Gesetzgeber definiert, dass das Agieren in Persona Christi qua Weihe unlöslich mit dem Mannsein verbunden ist. Hier wird die Menschwerdung Gottes in Christus auf den männlichen Jesus reduziert und Mannsein als wesentlich und unveränderbar für die Repräsentation, d. h. die Stellvertretung und Darstellung der Person Jesu, behauptet.(1) Schöpfungstheologisch wird die gleiche Würde von Mann und Frau gelehrt. Sie wird von anderen als Menschenrecht auf Gleichberechtigung eingefordert, im eigenen System jedoch umgedeutet und ab einem bestimmten Punkt in Bezug auf Rechte ausgeblendet. Dies beschädigt sowohl die Glaubwürdigkeit des Amtes als auch der Botschaft.
Nun geraten Papst und Bischöfe in demokratischen und pluralen Gesellschaften zunehmend unter Zugzwang, mehr Partizipation zu ermöglichen und in diesem Zusammenhang mehr Frauen „Verantwortung“ zu übertragen.
Nüchtern betrachtet bleibt festzuhalten,(2) dass die derzeit deutlich wahrnehmbare Besetzung von Führungspositionen durch Frauen (bis hin zu scheinbar gleichberechtigten Doppelspitzen auf der Position des Generalvikars) den Eindruck erweckt, diese hätten teil an der Leitung der Kirche. Dies ist einerseits zutreffend und andererseits falsch. Ordinariatsrätinnen z.B. haben die Möglichkeit, aufgrund gewisser ihnen übertragener Vollmachten zu agieren. Das ist innerhalb eines im organisationstechnischen Sinne hierarchisch-bürokratischen Systems mit der Verfügungsgewalt über gewisse Ressourcen – und damit Macht – verbunden.
Den übergeordneten Rahmen dieses Systems bestimmt jedoch allein der Bischof. Die Macht von weiblichen und männlichen Laien insbesondere in höheren Leitungspositionen steht und fällt mit der Selbstbindung und somit mit der Haltung und der freien Entscheidung des Amtsträgers.(3)
Dort, wo im Rahmen dieser Selbstbindung Teilhabe von Laien an Leitung gewollt ist, werden zunehmend Frauen als Führungskräfte auf oberen Ebenen eingesetzt. Das ist zunächst einmal gut. Etliche Frauen agieren hier wie alle guten Führungskräfte ausgesprochen kompetent. Sie nutzen die Möglichkeiten des Systems und seine Gestaltungsräume. Sie arbeiten an einer alternativen Führungskultur. Die fördert Diversität in ihren Teams. Sie etablieren eine ehrlich-konstruktive Feedbackkultur. Sie eröffnen Lern- und Experimentierräume. Sie ermöglichen, aus Fehlern zu lernen. Sie vernetzen sich. Sie agieren souverän. Sie werden als machtvolle Führungskräfte sichtbar und mischen sich ein. Sie gehen das Risiko ein, als Frau in einem männlich geprägten (patriarchalen) System zu führen. Das kann sich lohnen, für die Frauen selbst und für alle, denen sie als gute Führungskraft dienlich sind. Ab einer gewissen Größenordnung kann es sogar positive Auswirkungen auf die Organisation und ihre Kultur haben.
Aber: seien Sie, liebe Frauen in Führungspositionen, sich immer bewusst, dass Ihre Macht nur eine zugestandene, abgeleitete ist! Rainer Bucher nennt drei Dinge, die Frauen in kirchlichen Führungspositionen meistern müssen: „Sie müssen viel können, […] die Institution verlagert ihre eigenen Entwicklungsprobleme zumindest teilweise auf Sie und Sie sind abhängig vom Pakt mit fördernden Klerikern.“(4)
Für jene, die dazu ja sagen, gilt es, die Möglichkeiten verantwortungsvoll zu nutzen und Kirche zu gestalten. Der entscheidende Maßstab dafür ist, ob Macht gottverbunden und menschensensibel, also im besten Sinne lebensdienlich eingesetzt wird. Dieses Kriterium gilt für Frauen wie Männer in gleichem Maße.
Dazu eine kritische Anmerkung: Geschlechtergerechtigkeit, die nicht weit über den Zugang von Frauen zu den oben beschriebenen unzureichenden Strukturen hinausgeht, würde vermutlich ein Pyrrhussieg: für die Frauen, für das Evangelium, für alle Beteiligten. Damit wird nicht geleugnet, dass durch die Perspektive der Frauen das System Kirche zum Positiven verändert werden kann, was aber schwer abzuschätzen ist. Die in knapp zweitausendjähriger Geschichte ausgefeilte monarchisch-patriarchale Struktur hat neuere Entwicklungen im Konfliktfall immer in ihrem Sinne be- oder verhindert. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass dies auch bei einer Öffnung der bisherigen Weiheämter für Frauen der Fall wäre. Im schlechtesten Fall hätte man einfach nur die Zugänge zur Monarchie geändert.
Es bleibt die Frage, wie lange die Kirchenverantwortlichen auf diverse Berufungen von Frauen und Männern jeglichen Lebensstandes verzichten wollen. Sie müssen sich z.B. fragen lassen, warum (das ist eine andere Fragestellung als mit welchem Recht) sie kulturbedingte und damit eher unter- und nachgeordnete Rahmenbedingungen der Zulassung zur den bestehenden Ämtern über den Zugang von Millionen Menschen zur Eucharistie als DER substanziellen Quelle kirchlichen Lebens stellen. Sie müssen sich fragen lassen, nach welchen Kriterien sie manche biblische Überlieferungen kontextualisierend deuten und andere Deutungen enthistorisierend festschreiben. Hier ist eine echte Metanoia im Sinne einer Umkehr der Denkart erforderlich.
Perspektivwechsel: Metanoia – Umkehr der Denkart
Ein solcher Perspektivwechsel reicht weiter als die Frage der Zulassungsbedingungen zum Weiheamt: Welche Dienste und Ämter braucht die Kirche, um das Evangelium zukünftig in einer Art und Weise zu verkünden, die für die Menschen gerade auch in den von Demokratie, Gleichberechtigung und Freiheit geprägten Kulturen anschlussfähig ist und glaubwürdig sein kann? Dabei geht es um die rechte Resonanz der Kirchenverantwortlichen auf die Lebenssituationen der Menschen sowie auf die diversen Berufungen, die Gott unabhängig von Geschlecht, Alter, Bildung schenkt und die derzeit in der verfassten Kirche keinen offiziellen Platz bzw. keine Macht (Potestas) haben.
Die eigentliche Frage lautet dann: was brauchen Menschen der verschiedenen Kulturräume heute, um das Evangelium als Option, als lebensrelevantes und befreiendes Angebot wahr- und ernst nehmen zu können? Welche Aufgaben ergeben sich daraus? Welche Getauften und Gefirmten bringen die entsprechenden Kompetenzen mit? Hier ist die Frage der Berufung anzusiedeln. Welche Mittel (Ausbildung/ Ressourcen/ Potestas) brauchen diese Menschen, um ihren Dienst gut ausüben zu können? Was bedeutet das für eine neue Ämterarchitektur, welche die bestehenden Dienste ergänzt und damit in Fortschreibung der Tradition der Kirche deren dauerhaftem Wandlungs- und Reformbedarf gerecht wird.
Zum Schluss ein explizit frauenbezogener Impuls, inspiriert von Papst Franziskus. Bei der Pfingstvigil mit den Kirchlichen Bewegungen 2013 äußerte er: „Wie Johannes Paul II. und auch Benedikt XVI. gesagt haben, bedarf die Welt von heute so dringend der Zeugen. Nicht so sehr der Lehrer, als vielmehr der Zeugen.“ Unmittelbar zuvor hatte er von der Bedeutung seiner Großmutter für seinen persönlichen Glaubensweg berichtet. Sie war für seinen Glaubensweg eine relevante Zeugin und Katechetin. Sie war die erste Verkünderin des Glaubens. Vielleicht sollte die Kirche diesen Dienst der Erstverkünderin des Glaubens, der Zeugin der Auferstehung neu entdecken. Man hat die Funktion des Hausvaters in den Dienst des Episkopus und Presbyters transformiert. Höchste Zeit, den Verkündigungsdienst der Frauen aus dem Familienkontext heraus in den Dienst einer „Apostelin der Apostel“ zu transformieren und mit entsprechender Gestaltungsmacht (Potestas) auszustatten. Vielleicht heißt es dann irgendwann bezüglich eines solchen Amtes in Anlehnung an die bisherige Nr. 1577 des Katechismus u.a. „Jesus, der Herr, hat eine Frau ausgewählt, um den Brüdern die Auferstehung zu verkünden. Die Kirche weiß sich durch diese Wahl, die der Herr selbst getroffen hat, gebunden.“
Nachweis im Text:
(1) Vgl. Karlheinz Ruhstorfer, „Mitte des Glaubens?“, in: Herder Korrespondenz 8/2018, 25-28.
(2) z.B. Norbert Lüdecke, Zweites Vatikanum. War es wirklich eine Revolution?, in: Die Zeit 42/2012 oder Norbert Lüdecke, Die Übermacht definitiver Festlegungen – Partizipation nach Stand und Geschlecht, Vortrag am 13.02.2017 in Bochum
(3) unter Wahrung der auch für die Kirche geltenden staatlichen Rechtsnormen wie z.B. Teile des Arbeitsrechts. Noch deutlicher wird die Relevanz der Selbstbindung bei partizipativen Prozessen. Die einen Bischöfe fühlen sich im Rahmen des Rechts an in synodalen Prozessen entstandene Vereinbarungen gebunden und setzen sie in diözesanes Recht um. Für andere sind solche Prozesse ein Verrat an der gottgewollten heiligen Ordnung und gefährden die Kirche. Beide nehmen für sich die Autorität der Nachfolger der Apostel in Anspruch.
(4) Rainer Bucher, Wenn ausgerechnet die katholische Kirche Frauen fördert. Zur Signifikanz des Mentoringprozesses, Vortrag Münster, 25.9.2017.
Der Artikel ist in einer gekürzten Form in der Zeitung „Apostel“ der Arnsteiner Patres, Ausgabe 1/2020 erschienen.
Titelbild von Aaron Burden, unsplash, gemeinfrei
Foto von Elisabeth Neuhaus: privat
29. Mai 2020 || ein Beitrag von Elisabeth Neuhaus, Theologin und geistliche Begleiterin, Köln