Die Geschichte einer Flucht | Die Geschichte von Mohamad
Mohamad Mohamad ist fasziniert von meinem Hund. Er lächelt und lässt seine Hand durch das weiche Fell des Pudels fahren. Ich kenne meine Greta. Sie weiß sofort, wo es ihr gut ergeht. Sie bleibt still sitzen und genießt.
Mohamad ist 22 Jahre alt. Er stammt aus Kobane. Das ist eine Stadt im kurdischen Teil Syriens unmittelbar an der syrisch-türkischen Grenze. Kobane geriet 2014 in das Licht er internationalen Öffentlichkeit, als IS-Milizen die Region eroberten und mehrere zehntausend Kurden über die Grenze in die Türkei flüchteten. Darunter auch Mohamad mit seiner Familie. „Vor dem Krieg ging es den meisten gut. Uns auch. Mein Vater hat als Techniker gearbeitet. Er hat Brunnen gebohrt“ erzählt er. Auf der Flucht lebten sie in Autos oder notdürftig hergerichteten Traktoranhängern. Die Türken versorgten sie mit Wasser und Nahrung. Doch die Türken haben kein Interesse an einem starken kurdischen Gebiet. Nachdem der IS von den Alliierten vertrieben worden war, kehrte auch Mohamad mit seiner Familie in die Heimat zurück. Doch die war inzwischen weitgehend zerstört. „Manche hatten Glück und ihr Haus stand noch halbwegs“ sagt er. Andere hingegen blickten nur noch auf einen Haufen Trümmer. Wie sollst du da leben?
Mohamad entschließt sich, nach Europa zu gehen. Sein Freund Mahmoud lebt inzwischen in Deutschland. Nach einer jahrelangen Odyssee hat der es bis nach Köln geschafft. Hier hat er inzwischen eine Duldung. Freunde und Verwandte geben Mohamad Geld, mehrere tausend Euro. Das Geld wird er brauchen, denn alles kostet. Beziehungen, Schutz, Unterkunft, ein Platz auf einem Boot. Ein mafiöses, zutiefst verbrecherisches System, in dem die Not von Menschen wie Mohamad eiskalt ausgenutzt wird. Mohamad sucht nach Worten, während er erzählt und Mahmoud übersetzt. Ich ahne, welche Unmenschlichkeit und Gewalt er unterwegs erlebt haben muss. Darüber kann auch sein Lächeln nicht hinwegtäuschen.
Über Libyen schafft Mohamad es nach Algerien. Von hier aus gehen Schiffe über das Mittelmeer nach Spanien. Er findet jemanden, der ihm einen Platz auf einem Boot vermitteln will. „Das ist ein großes Risiko“, erklärt er. „Manche nehmen dein Geld und verschwinden einfach damit.“. Die eigentlichen Schlepper blieben im Dunkeln. Das seien in der Regel Algerier, erklärt er. Sie beschäftigten wiederum Mittelsmänner, die die Boote vollmachten und das Geld kassierten. „Manche Flüchtlinge warten Wochen oder sogar Monate. Ich habe vier Wochen in einem Haus gewartet, mit zehn Menschen in einem Zimmer. Wir durften nicht rausgehen, nicht die Fenster aufmachen.“ Dann sei der Anruf gekommen. Sofort Tasche packen und kommen. „Du musst wissen, dass ich nicht schwimmen kann. Fast keiner kann das. Wir haben nach Schwimmwesten gefragt, aber sie haben uns gesagt, dass wir keine tragen dürfen.“ Warum? Frage ich. Mohamad zuckt mit den Schultern. „Vielleicht wollen sie, dass keiner überlebt, wenn das Boot untergeht.“
Mohamad erzählt, dass er sich heimlich eine Schwimmweste unter seinem T-Shirt angezogen habe. „Es ist keinem aufgefallen. Als wir unterwegs waren, habe ich sie so gut ich konnte mit dem Mund aufgeblasen.“ Er zeigt ein Video. Dicht gedrängt sitzen Menschen auf einem Schlauchboot. Es sind nur Männer zu sehen. Sie lachen und manche singen sogar. Der Wind zerzaust die Haare. Mohamad kommt ins Bild, er lächelt. Eine unwirkliche Szene.
Mohamad wird mit den anderen durch die spanische Küstenwache festgenommen. Hierbei kommt es zu gewaltsamen Übergriffen. Die Behörden nehmen Mohamads Fingerabdrücke. „Sie haben uns gesagt, dass die Registrierung für ganz Europa gilt. Wir dürften weiterreisen, egal wohin wir wollten. Sie würden sich jedenfalls nicht um uns kümmern.“ Mohamad will weiter nach Deutschland. Dort will er einen Asylantrag stellen. Und dort lebt ja Mahmoud und ein paar andere, die er kennt. Er kommt in ein Aufnahmelager in Saalfeld. Dort wird ihm gesagt, dass er seinen Asylantrag in Spanien stellen muss, denn dort sei er in Europa eingereist. Es ergeht ein Abschiebebeschluss nach Spanien. Für Mohamad ein großer Schrecken. „In Spanien gibt es für Asylsuchende keine Unterstützung. Sie leben auf der Straße, viele von ihnen werden ausgebeutet, zum Beispiel auf Gemüseplantagen.“
In Deutschland gibt es das Kirchenasyl. Kirchengemeinden können Menschen wie Mohamad, die abgeschoben werden sollen für eine Zeit lang beherbergen. Das ist eigentlich eine Ordnungswidrigkeit, wird aber vom Staat geduldet. Die Zeit soll genutzt werden, um die Situation der Betroffenen noch einmal genau zu prüfen. Liegen vielleicht doch schwerwiegende Gründe vor, die ein Bleiben in Deutschland rechtfertigen? In der Zeit des Kirchenasyls sind die Gemeinden für den Unterhalt der Menschen verantwortlich. Zudem müssen sie eine Unterkunft stellen.
Es gibt gar nicht so viele Kirchenasyle in Deutschland. Im katholischen Erzbistum Köln sind es derzeit rund zehn. Das ist nicht viel. In NRW sind es knapp 290. Davon übernehmen evangelische Gemeinden weitaus die meisten. In Köln engagiert sich beispielsweise die evangelische Thomas- und Christuskirche am Stadtgarten sehr.
Mohamads Freud Mahmoud fragt Ralf Schmittem nach dem Kirchenasyl. Ralf und ich haben in den letzten Monaten einige Kirchenasyle in der katholischen Pfarrei St. Agnes organisiert. In beiden Kirchen arbeiten überdies zum Glück kundige Fachleute in der Caritas, der Diakonie oder im Netzwerk Kirchenasyl, die uns bei der Organisation helfen. Über sie läuft der Kontakt mit dem Bundesamt für Migration. Und sie helfen bei der Erstellung des Dossiers, das die Kirchengemeinde bei jedem neuen Fall erstellen muss und in dem Gründe aufgeführt werden, die gegen eine Abschiebung sprechen.
Vor ein paar Tagen ist Mohamads Abschiebefrist abgelaufen. Nun wird nicht mehr Spanien, sondern Deutschland für sein Asylgesuch zuständig sein. In ein paar Tagen sollte das entsprechende Dokument eintreffen. Dann wird Mohamad wieder nach Saalfeld zurückkehren. Wir sitzen in meiner Küche, essen und feiern ein bisschen. Es gibt Cesars Salad, provenzalisches Rindfleisch und deutsches Eis. Welche Ziele hat er? Mohamad zeigt mir ein Video. In Syrien hat er zuletzt in einer Schreinerei gearbeitet. Der Filmschnipsel zeigt, wie er Holzverzierungen an einer Wand anbringt. „Ich möchte eine Ausbildung als Schreiner machen.“ Ralf hat deswegen Kontakt mit der IHK geknüpft. Und mit Mohamad Deutsch gepaukt. Denn Ralf ist Deutschlehrer. „Ich möchte einfach in Frieden leben.“ Wir machen ein Foto. Greta, mein Hund ist zu Mohamad auf die Bank gesprungen. Er lächelt.
Die Welt ist seltsam und verrückt, denke ich, als ich das sehe. Es wäre besser, es gäbe keine Schlepper, keinen Mittelmeerwahnsinn, keine Mafia, keinen IS in Kobane, keine Bomben in Syrien, keine russischen oder türkischen oder sonst welche. Die Welt ist aber nicht so, wie ich sie gern hätte. Deswegen scheint es angebracht, sie wenigstens ab und zu mit ein paar Menschen mit Herz und Mut ein kleines Stück ins rechte Licht zu drehen.
Klaus Hagedorn, Koordinator der Flüchtlingshilfe und Kirchenasylbeauftragter im Erzbistum Köln, erläutert die Hintergründe und berichtet aus der Praxis. Anschließend ist Raum für Ihre Fragen und Diskussion.
Eine herzliche Einladung, sich diesem Aspekt christlicher Nächstenliebe zu widmen.
Die Teilnahme am Online-Akademieabend ist kostenlos.
18. Oktober 2023 (Mi.)
Ultima Ratio Kirchenasyl
Zwischen zivilem Ungehorsam und christlicher Nächstenliebe
Online-Akademieabend
18. September 2023 || ein Beitrag von Peter Otten, Pastoralreferent St. Agnes