Von Mythen, Science-Fiction Filmen und künstlicher Intelligenz
Akademiereferentin Karin Dierkes sprach mit Matthias Ganter, Diözesan- und Dombibliothek, Medienzentrale, Köln, und Professor Dr. Bert Heinrichs, Professor für Ethik und Angewandte Ethik am Institut für Wissenschaft und Ethik (IWE) über Mythen, Science-Fiction Filme und künstliche Intelligenz.
Fragen an Matthias Ganter:
Die Literatur kennt Menschen und Figuren, die nicht „von dieser Welt“ sind. Wo und wie berühren vergangene Mythen unsere digitale Zeit?
Erstaunlicherweise finden wir viele Hoffnungen und Befürchtungen, die heute auf die digitalen Mittel projiziert werden, in uralten mythischen Erzählungen wieder. Diese Mythen sind im Lauf der Jahrtausende immer wieder in verschiedenen Kunstsparten adaptiert worden: in Literatur, Theater, bildender Kunst, Musik … und im Film. Die Phantasie von beseelten Dingen und, dass Menschen selbst menschenähnliche Wesen herstellen, die ihnen aber auch über den Kopf wachsen und sich gegen sie wenden können, ist offenbar ein hartnäckiger Menschheitstraum. Die jüdische Kultur des Mittelalters etwa brachte die Figur des Golem hervor, und mit dieser hängt auch zusammen, dass wir heute humanoide Maschinen „Roboter“ nennen: das Theaterstück „R.U.R.“ des tschechischen Autors Karel Čapek aus dem Jahr 1920, das von künstlichen Menschen handelt, die „Roboter“ heißen, verarbeitet nämlich das Golem-Motiv. Im Zeitalter der „Künstlichen Intelligenz“ scheint der Traum oder Alptraum vom künstlichen Menschen nun tatsächlich im Bereich der „seriösen“ Wissenschaften realisierbar zu sein. Aber hier stellt sich die Frage, ob das wirklich stimmt oder ob es sich doch eher um Science-Fiction handelt.
Können Filme die Beschäftigung mit dem „digitalen Wandel“ unterstützen? Welche Themen werden in Filmen aufgegriffen?
Filme vereinigen viele künstlerische Ausdrucksformen wie Bilder, Schauspiel, Literatur und Musik. Und Filme haben schon früh Bilder, Stimmungen und Gedankenexperimente zu noch gar nicht realisierten technischen Möglichkeiten geliefert. Daher spielen sie eine große Rolle für die gesamtgesellschaftliche Reflexion neuer Entwicklungen. Manche filmischen Bilder und Motive sind so prägend, dass wir den Eindruck bekommen, endlich bringe die Technologie das auf die Bühne der Realität, was wir schon längst aus Science-Fiction-Filmen kennen. Hier zeigt sich Medienkompetenz als gesellschaftliche Schlüsselkompetenz: wir sollten schon die Vorstellungen, die von Digitalität und Künstlicher Intelligenz medial in Umlauf gebracht werden, mit kritischer Distanz einschätzen, um uns einigermaßen angemessen dazu verhalten zu können.
Die Zukunft ist immer schon unterwegs in „Science-Fiction Filmen“, die unglaublich faszinieren und maßlos erschrecken können. Haben Sie einen Lieblingsfilm, der in die Zukunft schaut, und weshalb schätzen Sie diesen?
Mein Lieblingsfilm zur Künstlichen Intelligenz ist der Science-Fiction-Thriller „EX MACHINA“ aus dem Jahr 2015. Er verhandelt vielschichtig, visuell faszinierend, spannend und immer wieder überraschend grundlegende Themen des digitalen Zeitalters. Ein Informatiker hat im geheimen Labor eine Roboter-Frau entwickelt und will nun mit Hilfe eines Mitarbeiters testen, ob sie tatsächlich über ein Bewusstsein verfügt, das sie Menschen gleichstellen würde. In dem Film steckt sehr viel, das ich beim ersten Sehen noch gar nicht bemerkt habe, das sich aber auch nicht überdeutlich aufdrängt. Nicht ganz so komplex aber dafür ungeheuer witzig und zugleich eine ernsthafte und sachkundige Auseinandersetzung mit dem Thema ist der Film „ICH BIN DEIN MENSCH“ von 2021. Darin wird das in Erzählungen und Filmen häufig gezeigte patriarchale Geschlechterverhältnis (Mann beobachtet künstliche Frau aus übermächtiger Position) umgedreht. Eine Wissenschaftlerin lässt sich dazu überreden, einen nach ihren Vorlieben programmierten männlichen Roboter als Lebenspartner zu testen…
Matthias Ganter arbeitet seit 2006 in der Diözesan- und Dombibliothek Köln – Medienzentrale. Seine Schwerpunkte sind die Beratung zum Einsatz von Filmen in der kirchlichen Bildungsarbeit, im Schulunterricht und in der Seelsorge, die Publikation von Hintergrundinformationen und didaktischen Arbeitshilfen und die Mitwirkung an Veranstaltungen.
Auf das Thema Film hatte sich Matthias Ganter schon im Lauf des Studiums der Germanistik, kath. Theologie und Geschichte (MA) in Freiburg i.Br. spezialisiert.
Zum Thema der Tagung ist von ihm 2021 die Arbeitshilfe „Digitalität, Ethik und Religion im Film“ erschienen, sie ist kostenfrei erhältlich zum Download (PDF) und als Heft in der Diözesan- und Dombibliothek – Medienzentrale.
Fragen an Prof. Dr. Bert Heinrichs:
Der Ausdruck „Künstliche Intelligenz“ spricht Computern „Intelligenz“ zu, wenn auch „künstliche“. Was für eine Intelligenz ist gemeint?
Obwohl wir den Begriff „Intelligenz“ häufig verwenden, erweist er sich bei näherem Hinsehen als schwierig und komplex. Ganz grob kann man vielleicht sagen, dass Intelligenz die Fähigkeit beschreibt, Probleme zu lösen. Ein Beispiel dafür ist, in einer Schachpartie den besten Zug zu finden. Das können Computerprogramme mittlerweile besser als Menschen – sogar als Schachgroßmeister. Zur Intelligenz gehört aber auch, Antworten auf neue, bislang unbekannte Probleme zu finden. Darin sind Computer nach wie vor nicht gut. Ein Schachprogramm kann nur Schach spielen. Während es sich bei menschlicher Intelligenz also um eine generelle Fähigkeit handelt, ist künstliche Intelligenz – zumindest bislang – sehr speziell ist.
Computer können lernen, wird gesagt. Wie funktioniert das? Wie lernt ein Computer so zu arbeiten, dass er das menschliche Handeln unterstützt? Und: Unterscheidet sich das „Lernen“ von Menschen und Computern?
Lernen und Intelligenz gehören eng zusammen. Die Fähigkeit, Probleme zu lösen, baut auf der Fähigkeit auf, aus Erfahrung zu lernen. Computer benötigen dazu enorme Mengen an Daten. Sie können darin Muster finden, die für Menschen verborgen bleiben. Umgekehrt sind Menschen gerade darin gut, anhand sehr weniger Beispiele zu lernen. Dies deutet darauf hin, dass menschliches und maschinelles Lernen unterschiedlich funktionieren.
Der Politologe Mark Leonard schreibt „In der Vormoderne galt Gott als die letzte Quelle der Autorität. Im Liberalismus war es das Individuum. Aber in der Zukunft wird der Algorithmus souverän sein.“ Was erwidern Sie ihm? Hat er Recht?
Ich tue das, was Philosophinnen und Philosophen oft tun – ich antworte mit einer Frage: Was bedeutet „souverän“? Vom Ursprung her bedeutet „Souveränität“ Unabhängigkeit. Bezogen auf Computer könnte also Unabhängigkeit von menschlicher Steuerung gemeint sein. Tatsächlich beobachten wir seit langem Automatisierungsprozesse durch Computer und diese Entwicklung wird sich durch den Einsatz von KI sicher fortsetzen. In einem anspruchsvolleren Sinne deutet der Begriff „Souveränität“ aber auf eine Eigenständigkeit des Begründens hin: Souverän in diesem Sinne ist jemand, der sein Handeln unabhängig von anderen begründen kann. Davon sind Algorithmen noch sehr weit entfernt und es ist derzeit unklar, ob sie diese Form der Souveränität jemals erreichen werden.
Seit 2015 hat Bert Heinrichs eine Professur für Ethik und Angewandte Ethik am Institut für Wissenschaft und Ethik (IWE) der Universität Bonn inne und ist Leiter einer Arbeitsgruppe für Neuroethik und Ethik der KI am Institut für Neurowissenschaften und Medizin: Ethik in den Neurowissenschaften (INM-8) des Forschungszentrums Jülich.
In seiner Forschung beschäftigt er sich mit ethischen Problemstellungen, die durch die moderne neurowissenschaftliche Forschung aufgeworfen werden. Dazu gehören zunehmend auch Fragestellungen im Zusammenhang mit Methoden der künstlichen Intelligenz. Darüber hinaus arbeitet er zu bioethischen Problemen, zur Geschichte und Theorie der Angewandten Ethik sowie zur Philosophie von G. E. Moore.
Im Sommer erscheint von ihm der Band „Künstliche Intelligenz“ in der Reihe „Grundthemen Philosophie“ beim Walter de Gruyter Verlag, Berlin (zs. mit J.-H. Heinrichs und M. Rüther).
Akademietagung in Bensberg: Haben wir die Intelligenz unter Kontrolle?
Die künstliche Intelligenz macht große Fortschritte. Schon heute sind KI-Anwendungen kaum noch aus dem Alltag wegzudenken. In den kommenden Jahren wird ihr Einfluss weiter zunehmen. Während die neuen technischen Möglichkeiten einige Menschen begeistern, stehen andere der „KI“ eher skeptisch gegenüber oder empfinden sie sogar als Bedrohung.
Was verbirgt sich eigentlich hinter diesem Begriff? Welche Unterscheidungen gilt es zu machen, um eine differenzierte Einschätzung von Chancen und Risiken zu ermöglichen? Welche Probleme werfen die heute schon verfügbaren KI-Anwendungen tatsächlich auf und wie sollte man damit umgehen? Diese und weitere Fragen stehen im Zentrum der Veranstaltung.
12. bis 13. November 2022 (Sa.-So.)
Faszination und Schrecken der Denkmaschine
Künstliche Intelligenz in Wissenschaft, Literatur und Film
Akademietagung in Bensberg
7. April 2022 || die Gespräche führte Karin Dierkes, Akademiereferentin für Theologie und Philosophie