Miteinander essen
Wir stehen in der für Christinnen und Christen wichtigsten Woche des Jahres. Dem Kern des Glaubens soll unsere ungeteilte Aufmerksamkeit gelten. Endlose Strukturdebatten, die sich auf allen Ebenen ziemlich festgefahren haben, treten wenigstens für diese Tage zur Seite. Dem Wesentlichen gilt es auf die Spur zu kommen. Aber was führt uns in die Mitte? „Das Wesen des Christentums ist … miteinander essen“ gibt der Bibelwissenschaftler Franz Mußner (*1916 †2016) kurz und bündig zur Antwort. Darum ist der Gründonnerstag – das Gedenken an Jesu letztes Abendmahl – auch mehr als nur ein Vorspiel zur Passion.
Bei einem ausgiebigen Mahl kommt schließlich das ganze Leben auf den Tisch. Und wenn alles gut gegangen ist, zehren wir noch recht lange von dem, was uns da aufgetischt wurde. Es hat uns wirklich genährt, konnte Leib und Seele aufrichten. Über das, was wir gemeinsam zu uns nehmen, vertieft sich unsere Gemeinschaft. Das Wesentliche versammelt sich dann oft in ein paar einfachen Zeichen und Gesten. Sie geben den Worten letztes Gewicht. Sie prägen das ein, was bleibt über den Moment hinaus. Genau das haben auch Paulus und die Evangelien in ihren Berichten vom letzten Abendmahl festgehalten. Jesus folgt den uralten Riten seines Volkes. Den Exodus, diesen Weg in die Freiheit des Gottesvolkes setzt er fort und hängt daran das ganze Gewicht seiner Person.
‚Jesus nahm das Brot‘ – Seine Hände greifen das auf, was wir zum täglichen Leben nötig haben. Mit dem starken Arm Gottes, der aus dem Sklavenhaus Ägypten herausgeführt hat, nimmt er sich unser an. Das harte Brot unserer Mühsal macht er sich zu eigen. In seiner Hand kann sich das harte und Erstarrte lösen. Falsche Zwänge treten zurück. Seine Hand lockt den Duft der Freiheit aus dem gewöhnlichen Brot hervor. Wandlung beginnt immer mit Berührung.
‚Jesus segnete das Brot‘ – In den biblischen Sprachen werden dafür Wörter verwendet, die vom Wesenskern des Segens handeln. Das ‚Gute zusagen‘, die Fülle des Lebens, den wahren Frieden, umfassendes Wohlergehen zusprechen – all das in seinem ganzen Reichtum und seiner letzten Tiefe. Wo immer in der Heiligen Schrift vom Segen Gottes die Rede ist, steckt darin ein Versprechen. Es geht weit über das hinaus, was in der Reichweite meiner Erwartungen und Gedanken liegen könnte. Denn der Segen verspricht mir, dass ich mit meinem kleinen Leben teilhabe an Gottes unglaublichen Plan. Alles soll Heilung erfahren und gut werden, so wie es im Ursprung bei Gott war. Segen wandelt, indem er mich selbst zum Segen macht.
‚Jesus brach das Brot‘ – Wie zerbrechlich unser Leben auch in einer Welt hochentwickelter Technik und Medizin bleibt, bekommen wir in diesen von Krisen geschüttelten Zeiten deutlich zu spüren. Die letzte Pandemie sitzt uns noch im Nacken. Auf Schritt und Tritt begleitet Menschen die Erfahrung, dass etwas Vertrautes zerbricht, dass Zusagen gebrochen werden, dass Mächtige anderen das Rückgrat zu brechen versuchen, wo sie sich den aufrechten Gang nicht ausreden und verbieten lassen. Christus weiß darum, dass sich unser Leben aus vielen Bruchstücken zusammensetzt. Für uns lässt er sich am Kreuz zerbrechen. Indem der Gottessohn unsere Gebrochenheit in sein Leiden und Sterben einsammelt, wandelt er sie in Heil. Zerrissenes und Zerstückeltes kann endlich ein Ganzes werden.
‚Jesus gab ihnen das Brot‘ – Wer sich isoliert und verschließt, hört über kurz oder lang auf, ein lebendiger Mensch zu sein. Das Leben wird überall dort weitergegeben und vermehrt, wo wir den Mut zur Liebe haben. Sie bringt es fertig, dass wir uns aneinander verschenken, verausgaben für unser Gegenüber, uns selbst preisgeben. Ein richtiges Mahl lebt vom Teilen und Mitteilen. Die Kommunion kommt zustande, weil Christus sich ausliefert in unsere Hände, weil seine Liebe wirklich bis zum Äußersten geht und nichts zurückbehält, reine Gabe wird. Auf dass wir werden, was wir empfangen: eine solche Gabe, die sich mitteilt, die sich wie Christus selbst einsetzt, ja aufs Spiel setzt. Dann werden wir nicht länger einander zum Opfer fallen, sondern lassen uns einspannen in das freie Geben und Nehmen der Liebe Gottes. Wandlung geschieht durch Hingabe. Denn diese führt mich über mich selbst hinaus.
Im heiligen Mahl geschieht das Wesentliche. Darum feiern wir es immer und immer wieder. Auf dass uns in Fleisch und Blut übergeht, was wir hier empfangen.
Meister des Friedrichsaltars | Letztes Abendmahl – Tafelbild | um 1440/50 | Wiener Belvedere (gemeinfrei – privat)
28. März 2024 || ein Beitrag von Pfarrer Dr. Axel Hammes, geistlicher Berater der Thomas-Morus-Akademie Bensberg