Eisen, Glas und Blütenpracht
Aus dem trubeligen Brüssel hinaus führt der Weg durch weitläufige Grünanlagen und großzügige Weite. Unzählige Menschen zieht es jährlich zu diesem ganz besonderen Ort, zu dem man erst gelangt, wenn man das besondere Hindernis des Ticketerwerbs überwunden hat. Gehört man also zu den Glücklichen, die in den Genuss dieses Besuchs kommen dürfen, öffnen sich die prachtvollen Tore.
Vollkommen unvermittelt findet man sich im Gewächshaus wieder, einem prächtigen, überwältigend großen Glasbau mit ausgewachsenen Bäumen in großen Töpfen, die entweder mit fächerartigen Palmblättern oder mit leuchtenden Zitronen den Eindruck vermitteln, dass man Belgien längst verlassen hat. Doch dieser Eindruck ist im Vergleich zu dem, was noch kommen soll, ein ganz bescheidener.
Der Weg führt wieder hinaus, dieses Mal weg von der Hauptstraße, die den Besucher eben noch aus dem Lärm in die Ruhe entlassen hat. Natürlich hat die königliche Familie ihre Orangerie nicht mitten in die Stadt gesetzt. Tatsächlich befindet sie sich in der Großzügigkeit einer endlosen Gartenanlage. Der barocke Schlossgarten ist passé, der englische Landschaftsgarten hat die Führung übernommen, und die Gründe für den Triumphzug desselben liegen auf der Hand: Geschwungene Wege, gesäumt von farbenprächtigen blühenden Büschen und sattgrünen Bäumen in verschiedenen Höhen und Teiche und Seen mit malerisch unregelmäßiger Uferlinie geben vor, ganz zufällig in dieser perfekten Natürlichkeit entstanden zu sein. In der Landschaft verteilen sich Bänke und ab und zu ein kleines Gebäude oder gar eine Ruine. Und mitten in diesem Garten liegen die Gewächshäuser majestätisch und schimmernd als eigene kleine Stadt. Sie sind ein Produkt der Möglichkeiten der Industrialisierung. Vorbild war der Crystal Palace, der 1851 die erste Weltausstellung beherbergte, ein Projekt des Prinzgemahls Prinz Albert von Sachsen-Coburg und Gotha. Entworfen wurde das 600 Meter lange Gebäude von dem Gartenarchitekten (mit einiger Erfahrung im Bau von Gewächshäusern) Joseph Paxton.
Und die Industrialisierung kam ihm zu Hilfe: Gusseisen hatte das aufwändigere Schmiedeeisen abgelöst, und es war sogar die Produktion von gebogenen Glasscheiben möglich geworden. 1874 bis 1895 nun entstanden die Gebäude in Laken – sie haben eine Gesamtfläche von 2,5 Hektar. Die riesigen Fensterfronten werden von mächtigen Säulen im dorischen Stil unterteilt, die Eingänge sind von Dreiecksgiebeln bekrönt. Diese klassizistische Erinnerung an die Antike verliert sich aber, blickt man auf jene Teile der Orangerie, die nur noch aus Eisen und Glas bestehen.
Viele Meter strecken sich die Wände in die Höhe, unterteilt von den im Jugendstil geschwungenen Eisenelementen, die sich im obersten Abschnitt in einzelne Kuppeln gliedern – ein bisschen erinnern sie an die Kuppeldächer der berühmten Kirche San Marco auf dem Markusplatz in Venedig. Und die Augen werden vielleicht noch größer, betritt man schließlich diesen Palast und findet sich eingehüllt in den betörenden Düften und atemberaubenden Farben der floralen Vielfalt, die im Mai in voller Blüte steht. Links und rechts ist kein Meter unbepflanzt, eine Blüte steht neben der anderen und hinter jeder Pflanze blitzt das Glas des umgebenden Palastes hervor und erinnert daran, wo man sich eigentlich befindet.
Der spektakulärste Eindruck ergibt sich aber sicher erst mit dem Blick nach oben, wo die Glasdächer (Satteldächer, Tonnengewölbe und schließlich gigantische Kuppeln) den Blick in den Himmel freigeben. Wer nun denkt, dass man mit 20 Minuten eigentlich genug Zeit investiert hat – denn in welchem Gewächshaus hat man sich denn schon viel länger aufgehalten? – der wird überrascht sein. Über eine Stunde lang flaniert man die verschiedenen Gänge entlang, macht kleine Schleifen in angrenzende Räume und Nischen, entdeckt Modelle und weiß leuchtende Skulpturen im antiken Stil, die zwischen den Blüten hervorlugen.
Ganz zum Schluss des sogenannten „Kleinen Rundgangs“ kommt man in das Zentrum des Palastes, jenes Gebäudes, das sich schon von außen als das imposanteste angekündigt hat, schließt es in der Mitte der riesigen Glaskuppel doch mit einer mächtigen Krone ab. Drinnen, im Jardin d’hiver, befindet sich ein imposanter Säulenumgang, der von mächtigen Palmen gesäumt wird, die an mancher Stelle fast das Kuppeldach streifen.
Die königlichen Gewächshäuser sind ein ganz besonderer Ort. Wer sie einmal besucht hat, wird sie so schnell nicht wieder vergessen.
7. Mai 2024 || ein Beitrag von Akademiereferentin Judith Graefe
Als eines der größten Gewächshäuser der Welt, das sowohl aufgrund seiner Architektur als auch wegen der umfassenden Sammlungen tropischer und subtropischer Pflanzen begeistert, ist unbedingt einen Besuch wert!
Kommen Sie mit nach Belgien!
15. Mai 2024 (Mi.)
Blüte und Stengel
Jugendstil in Brüssel und Laken
Erkundung mit Melanie Karolzyk & Judith Graefe
Bilder: Judith & Nico Graefe