Demonstration – Vision – Kommunion
Demonstrationen bringen etwas auf die Straße, damit es öffentlich und damit unübersehbar wird. Für gewöhnlich werden Plakate hochgehalten. Sie sollen Protest oder auch Solidarität griffig auf den Punkt bringen. Formeln wollen sie unter den Passanten verbreiten, die sich leicht und schnell einprägen. Wir bekommen zu lesen, was wir in Zukunft unbedingt tun müssen oder besser lassen sollten. Wer sich an einer Demonstration beteiligt, möchte in der Regel nicht einfach nur etwas zur Schau stellen. Davon soll auch ein Anstoß ausgehen, der sichtbare und spürbare Veränderungen in Gang setzt.
An Fronleichnam geht unsere Katholische Kirche demonstrieren, und zwar in unseren Breiten immer noch ziemlich flächendeckend. In einer feierlichen Prozession führen die Gemeinden so ziemlich alles mit, was das sakrale Inventar zu bieten hat. Dabei sollen Fahnen, Leuchter, Weihrauch, Baldachin, Gewänder und Vortragekreuz allesamt auf das aufmerksam machen, was in Zentrum des Zuges steht: das eucharistische Brot in der Monstranz. Dieses goldene Gerät strahlt uns an wie die Sonne auf Erden, um den Leib des Herrn aller Welt zu zeigen. Die Hostie kann durch das beidseitige Glas sowohl von vorne wie von hinten betrachtet werden. Katholiken demonstrieren so ihren Glauben an den, der sich mit Leib und Blut hingegeben hat für das Leben der Welt. Aber sie lassen sich ihren Herrn auch selbst im Sakrament vor Augen halten und gehen bewusst hinter ihm her.
Alles begann 1209 mit der Vision einer Ordensschwester. Die Augustinerchorfrau Juliana von Lüttich schaute eine verdunkelte Stelle auf dem Mond. Sie berichtete, dass Christus selbst ihr die Bedeutung dieses Bildes entschlüsselt habe. Es fehle in der Kirche noch ein eigenes Fest zur besonderen Verehrung der Eucharistie. Das wurde erstmals 1247 im Bistum Lüttich eingeführt. Die erste Prozession zum Fest Fronleichnam fand dann 1264 rund um die Kölner Kirche St. Gereon statt. Dabei enthält der aus dem Mittelhochdeutschen abgeleitete Name für das Fest das zentrale Programm: wir erweisen dem „Leib des Herrn“, der lebendig in unserer Mitte ist, die Ehre.
Aus der Feier der Eucharistie geht die Prozession hervor. Weil wir das Wort des Herrn gehört haben und sein Sakrament empfangen haben, setzen wir uns mit ihm in Bewegung. Christus ging in der Kommunion in uns ein. Wir tragen nun leibhaftig den in uns, der uns trägt. Wie zuvor Brot und Wein sollen wir verwandelt werden. Diesen geistlichen Prozess vollziehen wir nach in der Prozession: Jeder von uns ein Korn für das Brot des Lebens, ein Traube am wahren Weinstock, ein unverzichtbares Glied am Körper der Gemeinde. Wir wandeln durch die Straßen, um immer mehr in das überzugehen, was wir empfangen, den Leib Christi.
Kein Sakrament empfange ich nur für mich selbst. Der Herr des Lebens schenkt mir sichtbar seine Liebe, damit ich zum Segen werde für andere. Darum wollen wir an diesem Tag zeigen, dass wir unseren Herrn und seine Gaben nicht für uns behalten, sondern unter die Leute bringen. In meiner Kindheit und Jugend habe ich noch Prozessionen erleben dürfen mit vier Außenaltären, verteilt auf die vier Himmelsrichtungen. Das empfand ich als sprechendes Zeichen für unseren Auftrag. Möglichst alle Geschöpfe soll der Segen des Herrn erreichen, den seine Gemeinde schon empfangen hat. An Fronleichnam macht sich die Kirche auf den Weg, um diesen Segen zu verbreiten, bei allen Menschen guten Willens zum Heil der ganzen Welt.
Zu Fronleichnam 1938 verfasste Edith Stein – die Patronin unserer Hauskapelle – unter der Überschrift „Ich bleibe bei Euch … “ ein großes Gebet, aus dem einige Strophen die eigene Betrachtung abrunden sollen:
Du senkst voll Liebe Deinen Blick in meinen
Und neigst Dein Ohr zu meinen leisen Worten
Und füllst mit Frieden tief das Herz.
Doch Deine Liebe findet kein Genügen
In diesem Austausch, der noch Trennung läßt:
Dein Herz verlangt nach mehr.
Du kommst als Frühmahl zu mir jeden Morgen,
Dein Fleisch und Blut wird mir zu Trank und Speise
Und Wunderbares wird gewirkt.
Dein Leib durchdringt geheimnisvoll den meinen,
Und Deine Seele eint sich mit der meinen:
Ich bin nicht mehr, was einst ich war.
Du kommst und gehst, doch bleibt zurück die Saat,
Die Du gesät zu künft’ger Herrlichkeit,
Verborgen in dem Leib von Staub.
[Edith-Stein-Gesamtausgabe 20, Freiburg i. Br. 2007, 181]
30. Mai 2024 || ein Beitrag von Pfarrer Dr. Axel Hammes, geistlicher Berater der Thomas-Morus-Akademie Bensberg