Eine Buchempfehlung von Prof. Dr. Martin Korte

Buchempfehlung von Prof. Dr. Martin Korte

 

Schnelles Lesen, langsames Lesen: Warum wir das Bücherlesen nicht verlernen dürfen
Maryanne Wolf
2019, Penguin Verlag

„Warum es geht: es gibt keine allgemein verbreiteten, altbewährten Lehrpläne dafür, wie man Kindern beibringt, mit online-Informationen umzugehen und sie dabei gleichzeitig zu lehren, Gedrucktes zu lesen, sowie in ganzen Sätzen zu sprechen. Das ist unkartiertes Gelände.“ (Lisa Guernsey und Michael Levine, aus:  Tap, Click, Read, 2015)

Das digitale Zeitalter bringt ein Paradoxon mit sich: Während die Arbeitsplätze immer vom Informationsaustausch abhängen, sind gute Lesefähigkeiten wichtiger denn je – und doch sind Kinder und ihre Familien zunehmend von neuen Werkzeugen und digitalen Ablenkungen umgeben, die den Akt des Lesens und Kommunikation beeinträchtigen, die Lesekompetenz nimmt sogar ab.

Das hier vorgestellte Buch geht entsprechend der Frage nach, warum es immer noch Sinn macht Bücher zu lesen. Es geht Frau Wolf, Neurowissenschaftlerin und Sprachforscherin, nicht darum sich ein Leben ohne digitale Medien vorzustellen. Aber sie macht deutlich, dass das reflektierte, langsame lesen eines realen Buches einen enormen Gewinn für das menschliche Denken mitbringt. Vor allem dringt sie darauf, dass wir uns mit den kognitiven, sozio-ökonomischen und moralischen Auswirkungen der gegenwärtig verfügbaren Medien auseinandersetzen und auf die bestmögliche Zusammenführung ihrer Eigenschaften in den Lern- und Denkstrukturen künftiger Generationen hinarbeiten.

Der Vorschlag den sie hat, stammt gedanklich von Nikolaus von Kues (Cusanus: „Die belehrte Unwissenheit“), der glaubte, der beste Weg zwischen zwei gleichrangigen, aber widersprüchlichen Optionen bestehe im „Zusammenfall der Gegensätze“ wie er es nannte – wozu es nötig ist, sich nach Kräften zu bemühen, beide Seiten wirklich zu verstehen, dann in „belehrender Unwissenheit“ einen Schritt darüber hinaus zu tun und abzuwägen, ob nicht beide Wege gegangen werden können. Wir brauchen also ein zweifach kompetentes Gehirn: Bücher reflektiert lesen und online recherchieren, mit sozialen Medien interagieren und kommunizieren. Als Leitfaden kann hier der Mehrspracherwerb dienen: am besten lernen Kinder bei Eltern mit verschiedenen Muttersprachen, wenn Eltern jeweils ihre Sprache mit den Kindern reden – man hält die Sprachen also getrennt. Kinder lernen so, den Sprachcode schnell umzuschalten, je nachdem, ob die Mutter oder der Vater zu ihnen spricht (Code-Switching). Das blitzschnelle umschalten können, macht die Kinder kognitiv flexibler – und genau diese Trennung von on- und offline brauchen wir – vor allem aber brauchen wir weiter Bücher, in ihrer wissenden und/oder phantasievollen Art und Weise zum eigenen Denken anregen.

Anlässlich der Frankfurter Buchmesse (20. bis 24. Oktober 2021) haben wir uns im Redaktionsteam über die Bücher ausgetauscht, die wir gerade lesen und/oder empfehlen können. Für uns ist Lesen eine der schönsten Beschäftigungen, auch – oder vor allem gerade – im digitalen Zeitalter. Die Lektüre eines Romans am Feierabend wirkt entschleunigend und entspannend.
Außerdem geben uns die Geschichten Einblick in das Leben anderer. Wir schauen über unseren Tellerrand, die Menschen fremder Länder, anderer sozialer Schichten oder divergierender Einstellungen kommen uns näher. Das entfaltet unser Verständnis füreinander.

Daraus ist die Idee entstanden, Personen, die mit der Akademie verbunden sind, nach einer Buchempfehlung für unseren Blog „Akademie in den Häusern“ zu fragen. Zusammengekommen sind 14 besondere Beiträge: Romane, Biografien und Kochbücher, Klassiker und neu erschienene Werke, die wir Ihnen in den nächsten zwei Wochen in unserem Blog vorstellen.

Wir wünschen Ihnen eine inspirierende Lektüre.

Haben Sie ein Buch, das Sie gerne in unserem Blog empfehlen möchten? Schreiben Sie uns an:

11. Oktober 2021 || eine Buchempfehlung von Dr. Martin Korte, Professor für Neurobiologie, TU Braunschweig

Denken lernen, lernen lernen, vergessen vergessen – im Zentrum der Forschung von Prof. Dr. Martin Korte stehen die zellulären Grundlagen von Lernen und Gedächtnis sowie die Vorgänge des Vergessens. Er ist Buchautor (zuletzt „Hirngeflüster – Wie wir lernen, unser Gedächtnis effektiv zu trainieren“, DTV, 2021), hält regelmäßig Vorträge vor einem breiteren Publikum und ist als Experte in der Sendung „Bin ich schlauer als…“ mit Günther Jauch im Fernsehen zu erleben.

Prof. Dr. Martin Korte, TU Braunschweig

In der Akademie ist Prof. Dr. Martin Korte vom 5. bis 6. Februar 2022 (Sa.-So.). Gemeinsam mit Prof. Dr. Stephan Clemens, Biologe an der Universität Bayreuth, wird er bei der Akademietagung „Das Zeitalter der Naturwissenschaften – Welches Denken leitet Handeln und Entscheiden im 21. Jahrhundert?“ Referent sein.