75 Jahre Bonner Republik – Anmerkungen eines Historikers

In diesen Tagen wird vor allem in Berlin und Bonn öffentlichkeitswirksam mit Festveranstaltungen an das 75. Jubiläum der Verabschiedung des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland im Bonner Parlamentarischen Rat erinnert. Staatstragende Worte des Bundespräsidenten und von Politikern sowie Medienbeiträge auf allen Ebenen erinnern an die glücklichen Umstände der Schaffung eines Grundgesetzes für ein demokratisch verfasstes Westdeutschland und an die erfolgreiche weitere Geschichte. Dass dabei sehr häufig rückblickend die positiv verstandene Begrifflichkeit von der „Bonner Republik“ benutzt wird, kann nicht überraschen. Diese Benennung grenzt sich ab von der so genannten „Berliner Republik“ seit dem Umzug der Regierung und des Parlamentes vom Rhein an die Spree. Man muss aber darauf hinweisen, dass die Formulierung „Bonner Republik“ auch schon vor 75 Jahren verwendet wurde – gerade auch in der internationalen Berichterstattung über die Entwicklung am Rhein. In den letzten Jahren hat sich auch auf der Ebene der Geschichts- und Politikwissenschaft die Beschäftigung mit dieser Bonner Republik intensiv verdichtet, was hier exemplarisch vorgestellt werden soll.

An der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität gibt es seit einigen Jahren einen eindrucksvollen interdisziplinären Forschungsverbund zur Bonner Republik, der durch Ringvorlesungen, Tagungen und entsprechende Publikationen hervorgetreten ist. Die Bonner Republik wird dabei als abgeschlossener Zeitraum verstanden, in dem „die Vorstellung einer spezifisch rheinischen Disposition und daraus resultierender positiver Einflüsse auf die Identitätsbildung der Bundesrepublik“ ein wesentlicher Teil des Bildes darstellt. Aber auch aktuell wurde das Thema wissenschaftlich aufgegriffen. Die Lehrstühle für Neuere Geschichte der Bonner Universität veranstalteten Anfang April 2024 eine hochkarätig besetzte Tagung unter dem plakativen Titel „Das war die Bonner Republik“, die „aktuelle Forschungsperspektiven 75 Jahre nach ihrer Gründung“ präsentierte. Dass bei dieser Veranstaltung nicht die sonst häufig favorisierte „Erfolgsgeschichte“ im Vordergrund stand, erwies sich als ausgesprochen anregend. Themen wie der Umgang mit dem Rechtsradikalismus, dem Nationalsozialismus oder der kolonialen Vergangenheit führten zu durchaus kritischen Bewertungen, die einer der Veranstalter, Prof. Dr. Friedrich Kießling, zugespitzt zusammenfasste in der Formulierung einer „dunklen Seite“ der Bonner Republik. Eine andere Perspektive unternahm ein Projekt des LVR-Instituts für Landeskunde und Regionalgeschichte in Bonn, das die Bonner Republik in Zeitzeugengesprächen regionalhistorisch aufleben ließ. Dabei waren vor allem Bonner Beteiligte aus der „zweiten“ oder „dritten“ Reihe als Gesprächspartner ausgewählt worden, um so einen eher alltags- und regionalgeschichtlichen Zugang zu ermöglichen. Die Ergebnisse dieses spannenden Projektes werden im Sommer 2024 in einem gleichnamigen Sammelband zugänglich gemacht.

Allen diesen hier nur knapp skizzierten wissenschaftlichen Bemühungen ist zu danken, dass ein wesentlich differenzierteres Bild der „Bonner Republik“ ermöglicht wird. Die aktuellen Gedenkreden und Medienbeiträge – soweit man das so pauschal sagen kann – blieben doch meist stecken auf der Ebene von Aneinanderreihungen anekdotenhafter Erinnerungsstücke und bekanntem Material zur vermeintlich gemütlichen und provinziellen Geschichte in der rheinischen Mittelstadt. Man kann nur hoffen, dass in der Politik und in der Medienlandschaft die wissenschaftlichen Forschungen intensiv registriert werden, um so ein neues Bild der alten Bonner Republik zu gewinnen und der interessierten Öffentlichkeit zugänglich zu machen!

24. Mai 2024 || ein Beitrag von Georg Mölich, Historiker, Köln

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