Findet er die Antwort?
In Bayern nennen sie ihn den „Schlampertoni“, im Rheinland verehrt man ihn als „Schussels Tünn“: Die Rede ist vom heiligen Antonius von Padua. Er gehört zweifelsohne zu den bekanntesten Heiligen der katholischen Kirche.
Als „Mann, der Verlorenes wiederfindet“ bezeichnet Michael Köhlmeier den heiligen Antonius im Titel seiner 2017 bei Hanser erschienen Novelle, die sich seit einiger Zeit in meiner persönlichen Bibliothek der Zukunft befindet. Das schmale Bändchen könnten auch Menschen, die der volkstümlichen Heiligenverehrung skeptisch gegenüberstehen, an einem ungestörten Sonntag mit Gewinn lesen.
Ein wortgewandter Bettelmönch aus gutem Hause
Im ausgehenden 12. Jahrhundert kam Antonius als Spross einer portugiesischen Adelsfamilie in Lissabon zur Welt. Früh trat er dem jungen Orden der Franziskaner bei und wurde bereits zu Lebzeiten für seine außergewöhnliche rhetorische Begabung berühmt. Die Kirche setzte den Minderbruder daher zur Bekämpfung der sich ausbreitenden katharischen und waldensischen Armutsbewegungen ein. Nach zahlreichen kräftezehrenden Predigt- und Missionsreisen, die ihn bis nach Marokko führten, starb Antonius am 13. Juni 1231 (also heute vor 790. Jahren) nur wenige Jahre nach Franziskus von Assisi in Arcella bei Padua. Bereits elf Monate später sprach ihn Papst Gregor IX. heilig – „auf stürmisches Verlangen des Volkes“, wie es heißt. Nicht einmal Johannes Paul „santo subito“ II. und Mutter Teresa können da mithalten.
Dass Antonius, den Papst Pius XII. 1946 zum Kirchenlehrer erhob, im Volk vor allem als Schutzheiliger der verzweifelt suchenden bekannt ist, würde ihn sicher verwundern. Dabei greift der Titel von Köhlmeiers Novelle noch zu kurz: Keineswegs – so der feste Glaube seiner frommen Verehrer und Verehrerinnen – hilft der heilige Antonius nur dabei, Verlorenes wiederzufinden. Er wird auch bemüht, um nie Besessenes und heiß Ersehntes zu erlangen, etwa die große Liebe fürs Leben. Aus diesem Grund werden sogar Single-Wallfahrten nach Padua organisiert.
Auf der Suche – nach einer Antwort
Der österreichische Schriftsteller Michael Köhlmeier, der schon des Öfteren mythische und märchenhafte Sujets zum Gegenstand seines Schaffens gemacht hat, sieht in der Legende des heiligen Antonius noch eine ganz andere, philosophischere und fundamentalere Suchleidenschaft: Antonius soll die Ursache alles Bösen finden. Im Zentrum der Novelle steht der Kampf des Heiligen mit der Theodizee-Frage: Wieso lässt Gott das Böse geschehen? Ja, was veranlasst diesen Gott sogar, den armen Hiob auf eine derart grausame Probe zu stellen?
Ich bin gespannt, welche Antworten Köhlmeiers Antonius auf diese Menschheitsfragen findet. Und ich möchte lesen, wie Köhlmeier das Leben des Heiligen und sein Ringen in der für ihn charakteristischen sparsamen Sprache entfaltet. Kann Köhlmeier, wie Christoph Schröder in der Süddeutsche Zeitung urteilte, den mittelalterlichen Heiligen wirklich überzeugend „in seiner ganzen Menschenfreundlichkeit als Kontrapunkt gegen die Hassprediger, Demagogen und Religionskrieger der Gegenwart“ stellen? Köhlmeier erzähle „eine Geschichte über das, was im Leben wichtig ist“, wirbt der Hanser Verlag. Ich bin neugierig, was dies für den Autor und seinen Heiligen wohl sein mag.
Vielleicht beginne ich noch heute, am Tag des heiligen Antonius, mit der Lektüre von Köhlmeiers Novelle, die sich – so Carsten Otte im Tagesspiegel – „bereits jetzt wie ein Klassiker“ lese …
Literaturhinweis
Michael Köhlmeier: Der Mann, der Verlorenes wiederfindet. Hanser, München 2017
2019 als Taschenbuch erschienen bei dtv.
Bildnachweise:
Der heilige Antonius mit Jesuskind und Lilie, Statue in Notre Dame des Oliviers, Murat, Frankreich. Bild von DDP on Unsplash, gemeinfrei
13. Juni 2021 || ein Beitrag von Dr. Matthias Lehnert, Akademiereferent