Augustinus, Norbert, Friedrich. Die Kölner Kirche als frühe Förderin des Prämonstratenserordens
Am 28. August 430 verstarb der lateinische Kirchenvater Augustinus von Hippo. Seine Anfang des 5. Jahrhunderts entstandene Schrift „Vom Gottesstaat“ (De civitate Dei) gilt als die theosophische Begründung der rund 1.000 Jahre vom Mittelalter bis in die Neuzeit gültigen europäischen Ständeordnung. Augustinus‘ „Bekenntnisse“ (Confessiones) sind eine der beeindruckendsten Autobiographien der Weltliteratur und bieten beispielsweise noch der modernen Sprachforschung Ansatzpunkte. Weniger bekannt ist Augustinus als Verfasser eigener Ordensregeln. Die in verschiedenen Versionen überlieferten „Regula recepta“ unterscheiden sich in einigen Punkten deutlich von der bekannteren, aber rund 100 Jahre jüngeren Regula des Benedikt von Nursia, auf die sich die benediktinischen Orden zurückführen.
Heute existieren noch mehrere hundert augustinische Orden und Kongregationen. Die Gemeinschaften wurden vor allem zwischen dem 11. und 13. Jahrhundert gegründet, darunter die Dominikaner oder die in Köln immer noch recht bekannten Alexianer. Vielleicht liegt es an diesem zeitlichen Hiatus von immerhin einem halben Jahrtausend bis zur Verbreitung und Diversifizierung des augustinischen Lebensideals, dass es sich weniger im kollektiven Gedächtnis festsetzen konnte; die benediktinische Lebensform wurde von iroschottischen Mönchen immerhin schon ab dem 6. Jahrhundert auf dem Kontinent verbreitet. Vielleicht hat es aber auch damit zu tun, dass alle Augustinerkongregationen dem herkömmlichen Bild des Mönchtums als einer von Stille und Zurückgezogenheit geprägten, gegebenenfalls sogar, wie im Falle der Kartäuser, Formen des Eremitentums integrierenden Lebensform nicht ohne weiteres entsprechen. Denn ein Unterschied zum Benediktinertum besteht in der den Augustinern eigenen Verbindung von zönobitischem Mönchtum und Weltpriestertum, also von sich separierendem Gemeinschaftsleben und der vita activa in Pastoral bzw. Caritas. In diesem Beitrag zur „Akademie in den Häusern“ soll an die vor 900 Jahren von der Kölner Kirche geförderte Gründung des Augustiner-Reformzweigs der Prämonstratenser durch Norbert von Xanten erinnert werden.
Norbert von Xanten (1080/85 – 1134) wurde als niederrheinischer Adelsspross schon in sehr jungen Jahren Mitglied des vornehmen St. Viktor-Stifts in Xanten. Die traditionell hochrangige Verbindung des Xantener Stifts mit der Kölner Kirche verschaffte ihm eine Dienststelle beim Kölner Erzbischof Friedrich I. von Schwarzenberg. Dieser führte Norbert wiederum am Hofe Kaiser Heinrichs V. ein. Norbert wurde dessen Ratgeber und nahm sogar 1110/11 am Romzug des Kaisers teil. Norbert machte also in jungen Jahren bereits eine glänzende Karriere, die ihm ein beständiges Leben in Reichtum, Ansehen und Wohlstand in Aussicht stellte.
Aber wie es in einer richtigen Heiligenvita nunmal geht – es kam anders. Die Legende berichtet von einem wörtlich blitzartigen Erweckungserlebnis, das Norbert im Jahre 1115 traf. Nach einer zuvor schon eingetretenen Entfremdung vom Kaiser wegen dessen rigider Investiturpraxis (Einsetzung der Bischöfe durch den weltlichen Herrscher) zog er sich für kurze Zeit in die von Erzbischof Anno II. gegründete Reformabtei Siegburg zurück und ließ sich noch im selben Jahr 1115 im Alten Kölner Dom von Erzbischof Friedrich zum Priester weihen. Norberts anschließender Versuch, sein altes Stift in Xanten von einem asketischeren und kontemplativeren Leben zu überzeugen, scheiterte. So begann er ein Leben als Wander- und Bußprediger, was allerdings den Argwohn der Amtskirche auf ihn zog, da eine solche Lebensweise dem Anstand eines adligen Kanonikers nicht entsprach und wie in jenen Zeiten üblich immer auch den Verdacht des Häretikertums erregte. Norbert musste sich deshalb sogar vor dem päpstlichen Legaten Kuno von Praeneste auf einer Synode in Fritzlar verantworten. Das Ergebnis dieses 1118 gegen ihn gerichteten Disziplinarverfahrens aber war, dass sich Norbert umso mehr in sein anderes Leben begab. Er verzichtete auf die Pfründe am Xantener St. Victorstift und verschenkte seinen Besitz an Arme. In den folgenden zwei Jahren war er sehr erfolgreich wieder auf Wanderpredigerschaft und konnte endlich mit Unterstützung des Laoner Bischofs Barthelemy de Vir in einer im Wald von Coucy auf einer Wiesenlichtung vorgefundenen Kapelle („pratum demonstratum“, daher leitet sich der Name Prémontré, Prämonstratenser für den neuen Orden ab) mit 13 Gefährten eine Gemeinschaft gründen. Die Gemeinschaft nahm die Augustinerregel an und wurde schließlich 1126 durch Papst Honorius bestätigt.
Die Kölner Kirche, namentlich Friedrich I. von Schwarzenberg hatte die von Norbert nach den Klosterreformen des 11. Jahrhunderts nun auch auf eine adlige Chorherrengemeinschaft bezogene Erneuerungsbestrebung wohl von Anfang an gutgeheißen und damit auch direkt Norbert unterstützt. Darauf vermag schon dessen Priesterweihe durch den Erzbischof in Köln hinzuweisen. Zwischen Norbert und Friedrich muss ein enges persönliches Verhältnis bestanden haben. Mit Urkunde von 1117 oder 1118 gestattete der Erzbischof des Weiteren die Gründung einer „Kirche“ (ecclesia) in (Köln-)Dünnwald, die zumindest einem nachweisbaren Fall nach mit Kanonikern aus dem Norbert nahestehenden, reformnahen Augustinerstift Klosterrath (Rolduc) bei Aachen besetzt war.
Dass es sich bei der Dünnwalder Kirche ursprünglich um ein Augustinerchorherren-Stift gehandelt haben dürfte, geht schon aus der Gestalt des zeitgleich errichteten Kirchenbaus hervor. Das doppelt starke Pfeilerpaar im Westen der dreischiffigen Basilika dürfte die ehemalige Grenze zwischen dem vom Stift genutzten liturgischen Bereich und der innerhalb desselben Bauwerks zu integrierenden Pfarrkirche für das Weltpastoral markieren. Die Eigenheit der Augustinerchorherren-Gemeinschaften bestand ja in der Verbindung von Zönobiten- und Weltpriestertum. Beides musste auch im Kirchenbau gesondert berücksichtigt werden. Die räumliche und liturgische Trennung von Kleriker- und Laienbereich in ein und demselben Gebäude war im 11. und 12. Jahrhundert ein häufig anzutreffendes Phänomen, wie allein die Hinweise auf die Separierung von Priestermönchen und Konversen in den Zisterzienserklöstern oder die bis in die Neuzeit eben in dieser Art bestehenden liturgischen Ordnungen in den Kölner Stiften St. Kunibert und St. Aposteln belegen können.
Erzbischof Friedrich I. hatte aber noch mehr für die Norbertinischen Reformbestrebungen und selbst für die junge Prämonstratensergemeinschaft bereits vor deren Kanonisation getan. 1121 kaufte Friedrich die als heruntergekommen geltende Augustiner-Chorherrenniederlassung Steinfeld in der Eifel, die hernach als eines der ersten Klöster Norberts Ideen folgte und spätestens 1142 als „echt“ prämonstratensisch gelten konnte. Da Norbert im selben Jahr 1121 in Köln St. Gereon unter der Autorität des Erzbischofs Reliquiengrabungen durchführte, dürfte er vielleicht auch von der Gründung des Dünnwalder Klosterstifts vernommen haben. Immerhin war Dünnwald eine der ältesten geistlichen Gründungen im Rechtsrheinischen. Vielleicht war ihm Dünnwald sogar als potentieller Kandidat für ein norbertinisches Reformkloster in den Sinn gekommen. Fakt ist jedenfalls, dass die kleine Dünnwalder Gemeinschaft 1138 oder 1143 in ein Prämonstratenserinnen-Chorstift umgewandelt wurde. Besetzt wurde es mit Chorstiftsdamen aus Steinfeld.
Bildnachweis:
Kirchenvater Augustinus, Köln, Dom, 1846
© ClenX, CC BY-SA 4.0
Norbert von Xanten, Ausschnittsübermalung des ehemaligen Hochaltargemäldes (1540) von St. Nikolaus, Köln-Dünnwald, Mitte 17. Jahrhundert
© Markus Juraschek-Eckstein
Norbert erhält aus der Hand des Hl. Augustinus die Ordensregel, Vita Norberti, um 1140
© gemeinfrei
Wappen des Erzbischofs Friedrich I. von Schwarzenberg
© gemeinfrei
St. Nikolaus in Dünnwald
© Markus Juraschek-Eckstein
Klosterkirche Steinfeld
© Thomas Hummel CC BY-SA 4.0
28. August 2020 || ein Beitrag des Kunsthistorikers und Germanisten Markus Juraschek-Eckstein