Auf ein Wort mit … Mary Hallay-Witte

Liebe Frau Hallay-Witte, Sie sind die Leiterin des Instituts für Prävention und Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt (IPA) e.V. in Bonn. Dieses Institut ist Kooperationspartner der Thomas-Morus-Akademie bei der Fachtagung „Wenn sexualisierte Gewalt trifft und traumatisiert … Ursachen, Folgen und Aufarbeitung in Institutionen und Familien“ am 8. bis 10. August 2023 (Di.-Do.) in der Thomas-Morus-Akademie in Bensberg.

Dieses Institut gibt es noch nicht sehr lange. Wie ist es zur Gründung dieses Institut gekommen?

Die Idee und eine erste Konzeption zur Gründung eines Institutes gab es bereits 2013. In dieser Phase, in der seit 2010 die (Erz-)Diözesen auf der Grundlage der ersten Rahmenordnung der deutschen Bischofskonferenz zur Prävention von sexualisierter Gewalt die kirchliche Präventionsarbeit das erste Mal strukturiert und flankiert durch eine Rahmenordnung in den (Erz-) Diözesen auf den Weg brachten, kam die Idee auf. Es gab damals bereits den Bedarf, der letztlich in unserem Satzungszweck Ausdruck findet bzw. aus dem sich unsere Aufgaben ableiten. Es gab unterschiedliche Anläufe, aber es dauerte in der Tat bis September 2019 bis sich diese Idee dann im IPA realisierte und wir die Arbeit aufnehmen konnten, die ersten Konzeptionen umzusetzen und das IPA aufzubauen. Ziel ist es heute durch Vernetzung und Kooperation mit verschiedenen interessierten gesellschaftlichen, politischen, wissenschaftlichen, kirchlichen Gruppierungen und Einrichtungen Standards zur Prävention, Aufarbeitung und Intervention zu erarbeiten. So setzen wir durch unsere Arbeit Impulse im innerkirchlichen als auch im gesamtgesellschaftlichen Diskurs. Dabei setzen wir auf die nationale und internationale Vernetzung und unterstützten die (Erz-)Diözesen bei der Entwicklung von einheitlichen Standards und in der Ausbildung. Insbesondere bedurfte es der systematischen Unterstützung Arbeit der diözesanen Präventionsbeauftragten und ihrer Bundeskonferenz. Die Erfahrungen der ersten Jahre entstanden in der schieren Praxis.

Das Institut ist auch ein An-Institut an der Universität Bonn. Welche Chance bietet diese Kooperation mit einer Universität?

Die Überlegung, dass das Institut die Form eines An-Institutes annimmt, war Teil der ersten Konzeptionen. So war es ein weiterer Schritt zur Umsetzung der Ideen aus 2013. Die Chancen, die darin liegen sehen wir z.B. in der Beteiligung an der interdisziplinären Lehre. Wir arbeiten auch daran, Formate der beruflichen Qualifikation zu entwickeln. Ein weiteres Ziel war es die kirchlichen Praxiserfahrungen zu systematisieren, zu reflektieren und insbesondere mit der Wissenschaft zu verbinden, systematisch aufzubereiten und anderen gesellschaftlichen Institutionen zur Verfügung zu stellen. Wichtig ist auch, die Prävention von sexualisierter Gewalt in die universitäre Ausbildung für die relevanten Berufsfelder zu integrieren.

Das Thema Prävention und Aufarbeitung haben sich im kirchlichen Umfeld die einzelnen Bistümer auch gestellt und eigene Präventionsabteilungen gegründet. Warum bedarf es da noch Ihres Instituts?

Seit 2010 haben sich die Präventionsarbeit, die Interventionsarbeit und die Ansätze zur Aufarbeitung stetig weiterentwickelt und administrativ ausgefaltet. Es gibt ganz unterschiedliche Einbindung in die Verwaltungsstrukturen der (Erz-) Diözesen. Wir verstehen uns als Dienstleister, denn wir bieten z.B. Fachtagungen und Fortbildungen an, beraten Einrichtungen und Institutionen bei der Erstellung von institutionellen Schutzkonzepten. Ein Beispiel: Wir bieten eine mehrteilige Fortbildung für Präventionsbeauftragte und andere hauptamtlich Beschäftigte z.B. bei den Diözesen, bei den Maltesern oder Caritas, aber auch für außerkirchliche Institutionen an. So fördern wir die Vernetzung, den Erfahrungsaustausch und bieten eine Qualifizierung für diese Zielgruppen an, die es sonst so nicht gäbe.

Mit Blick in die Zukunft: Wo sehen Sie die größten Herausforderungen bei diesem Thema in Kirche und Gesellschaft?

Ich bin immer wieder überrascht, sobald es in einem Bereich der Gesellschaft, sei es der Sport, in der Kunst, beim Film zu einer Aufdeckung von sexuellem Missbrauch kommt, es immer noch die gleichen Dynamiken von Abwehr und Zurückweisung der Betroffenen gibt. In den sozialen Medien, die eigentlich als überholt geltenden Mythen noch vehement vorkommen. z.B. „Wenn die Frauen sich in die Row Zero begeben, müssen sie wissen, dass so etwas passieren kann.“ Wenn ich da an die jüngsten Enthüllungen um die Band Ramstein denke. Früher gab es die Schuldzuschreibung, der Rock war zu kurz etc. Deshalb sehe ich es wirklich als die größte Herausforderung an, bis sich das Verständnis darüber, dass niemand Kinder und Jugendliche missbraucht, dass Frauen und Männer ein Recht auf den Schutz davor haben sexualisierte Gewalt zu erleiden, sich bis in den hinterletzten Winkel der Gesellschaft durchsetzt und wenn es passiert den Betroffenen zugehört und geglaubt wird.

Sexualisierte Gewalt ist eine seit Jahren große Herausforderung und die aufgedeckten Fälle von Gewalt scheinen kein Ende zu nehmen. Sehen Sie trotzdem Hoffnungszeichen, dass sich die gesellschaftliche Situation von durch sexualisierte Gewalt betroffenen Menschen verbessert oder es gar nicht mehr dazu kommt?

Aus meiner Sicht zeigt die steigende Zahl von Betroffenen, dass diese sich trauen, über ihr Leid zu sprechen, dass diese erkennen, was ihnen passiert ist, dafür eine Sprache finden und es Stellen gibt, an die sie sich wenden können und ihnen geglaubt wird. Aus meiner Sicht gibt es Hoffnung. Denn die jüngsten Debatten, sei es um den Film, sei es um den Sport, sie es die MeToo Bewegung zeigen, dass nicht mehr darüber geschwiegen wird. Die unterschiedlichen Betroffenenräte zeigen mir, dass es eine Veränderung gibt. Ich hoffe, wenn es Kindern und Jugendlichen heute passiert, dass sie viel früher wissen, wo sie Hilfe finden und viel früher der Missbrauch gestoppt wird. Und nicht erst als Erwachsenen im späten Erwachsenenalter ihr Schweigen brechen. Es ist jedoch bei weitem noch nicht genug. Aber ich werde nicht aufgeben, mich in diesem Bereich zu engagieren. Denn jede/r einzelne Betroffene ist eine Betroffene/r zu viel.

Liebe Frau Hallay-Witte, wir danken Ihnen für dieses Gespräch! Wir freuen uns auf unsere gemeinsame Veranstaltung.

Das Interview führte Andreas Würbel, Akademiereferent.

8. bis 10. August 2023 (Di.-Do.)
Wenn sexualisierte Gewalt trifft und traumatisiert…
Ursachen, Folgen und Aufarbeitung in Institutionen und Familien

Fachtagung in Zusammenarbeit mit dem Institut für Prävention und Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt und der Dr. Axe-Stiftung

 

Einmal im Monat erscheint „Auf ein Wort mit…“ und stellt interessante und engagierte Personen vor, mit denen die Akademie auf unterschiedliche Weise verbunden ist. Gesprochen wird über Gott und die Welt, über Kunst und Kultur, über Aktuelles aus Gesellschaft und Kirche ….

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6. August 2023 || ein Gespräch mit Mary Hallay-Witte, Leiterin des Instituts für Prävention und Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt (IPA) e.V. in Bonn

Mary Hallay-Witte, Leitung IPA