Auf ein Wort mit … Prof. Dr. Armin Grunwald
Lieber Herr Prof. Grunwald, Sie sind Leiter des Instituts für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) in Karlsruhe. Wie kann ich mir Ihre Aufgabe dort vorstellen? Was sind beispielsweise „Technikfolgen“, die Sie abschätzen? Und in wessen Auftrag arbeiten Sie?
Vor allen Dingen ist meine Aufgabe, das Institut mit zurzeit über 140 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu leiten. Das bedeutet, mich um die interdisziplinäre Kommunikation von der Philosophie bis zu den Ingenieurwissenschaften zu kümmern, den internen Austausch und die Entwicklung neuer Ideen zu fördern, Probleme zu regeln, die Finanzierung im Blick zu behalten, das Institut in den Gremien zu vertreten und das natürlich auch im nationalen und internationalen Umfeld. Inhaltlich ist das immer ausgesprochen spannend, weil wir es meist mit neuen Entwicklungen in Wissenschaft und Technik zu tun haben, wie etwa zurzeit in der Robotik oder den Quantentechnologien. Technikfolgen zu untersuchen bedeutet, dass wir uns mit wissenschaftlichen Methoden auf den Weg machen, diese Technologien in einer zukünftigen Gesellschaft vorzustellen, etwa in Bezug auf Innovationen, den Arbeitsmarkt, Klima- und Umweltfolgen oder in Bezug auf menschliches Verhalten. Aber auch die Frage, wie heute Entscheidungen getroffen werden können, etwa zur Förderung oder Regulierung neuer Technologien, damit möglichst Chancen realisiert und Risiken vermieden oder minimiert werden, spielt eine zentrale Rolle. Die Themen geben wir uns teils in wissenschaftlicher Unabhängigkeit selbst, teils arbeiten wir für den Deutschen Bundestag, Ministerien auf Bundes- oder Landesebene, die EU-Kommission oder auch ganz hautnah vor Ort, so etwa zur Umgestaltung von Stadtvierteln Richtung nachhaltige Entwicklung.
Zudem sind Sie Professor für Technikphilosophie und Technikethik am Karlsruher Instituts für Technologie (KIT). Welche Themen behandeln Sie in Ihren Vorlesungen? Was ist Technikphilosophie?
Technikphilosophie ist, so kann man sagen, in der Industriellen Revolution entstanden. Vielfach gilt Karl Marx als der erste Technikphilosoph, der das Bild vom homo laborans, dem mittels Technik arbeitenden Wesen, prägte und eine erste Philosophie der Maschine entwickelte. Mittlerweile ist die Technikphilosophie ein anerkanntes Fach geworden und hat insbesondere anlässlich der Digitalisierung und KI neue Themenfelder erschlossen. Dabei steht nicht die Technik an sich im Mittelpunkt, sondern die Verhältnisse von Mensch und Technik, z.B. in der Robotik. Zu vielen technikethischen Fragen gibt es dort sehr enge Verbindungen. Entsprechend sind meine Themen in der Lehre auch Technikfolgenabschätzung und Ethik, so habe ich etwa jetzt im Sommer ein Seminar zum Umgang mit hoch radioaktiven Abfällen.
Sie kommen am Freitag 16. und Samstag 17. Juni 2023 gemeinsam mit Dr. Anna Puzio nach Bensberg. Dann wird es um die Frage gehen „Was ist der Mensch?“ Wir stellen uns die Frage vor dem Hintergrund einer mehr und mehr digitalen Welt, in der Kommunikation anders zu funktionieren beginnt, immer neue Medien dazukommen; ich denke an ChatGPT, ein System, das in einem Interview spontan gestellte Fragen beatworten und Predigten wie Magisterarbeiten schreiben kann. In was für einer Welt leben wir?
Vor allem würde ich sagen: in einer sehr interessanten und auch herausfordernden Welt, einer Welt voller neuer Ideen und Möglichkeiten, aber auch voller unbekannter Zukunft und ungelöster Widersprüche und Probleme. Während wir über ethische Dilemmata selbstfahrender Autos in Streit geraten – ein echtes Luxusproblem! – oder uns von ChatGPT erschrecken oder begeistern lassen, verhungern nach wie vor tausende Menschen täglich oder sterben an unsauberem Trinkwasser, schlechter Nahrung und mangelnder Hygiene. Diese krassen Ungleichzeitigkeiten sind manchmal schwer auszuhalten. Freilich hat sich nicht alles geändert: Nach wie vor wird Technik, auch KI-Systeme, von Menschen mit Interessen und Werten gemacht und in die Gesellschaft gebracht. Das Potential, den technischen Fortschritt zugunsten aller Menschen nutzbar zu machen statt nur für einige Schichten in industrialisierten Ländern, ist nach wie vor da, vielleicht war es noch nie so groß wie heute. Leider gilt gleichzeitig auch, dass dieses Potential immer noch wenig genutzt wird, so dass der technische Fortschritt meistens die Ungerechtigkeiten und Spaltungen vergrößert statt sie zu überwinden.
„Kontrollverlust“ ist der Titel der „Seite Drei“ der Süddeutschen Zeitung vom 17. April 2023. Künstliche Intelligenz (KI) wird in ihren Facetten vorgestellt. KI trainierte Systeme können beispielsweise Weltmeister im Schach schlagen, sie malen in allen Größenverhältnissen und Schattierungen korrekte Bilder nach verbalen Vorgaben, sie können die Faltung einzelner Proteine ermitteln. Wir staunen, freuen uns über Arbeitserleichterung … und erschauern über die Macht, die solche System erlangen können, wenn wir an Verhaltensmanipulation und Fake News denken. Wo stehen Sie auf dem Grad zwischen Freude und Sorge?
Die Erzählung vom Kontrollverlust ist nicht neu, schon Goethes Zauberlehrling machte diesen Punkt. Und Günter Anders schrieb schon vor fast 70 Jahren von der „Antiquiertheit des Menschen“ angesichts der Übermacht seiner technischen Geschöpfe. Um menschliche Schachweltmeister zu schlagen, braucht es keine KI, das hat schon 1995 ein ganz normales Computerprogramm geschafft. Das alles schreckt mich wenig, denn jede Technik kann irgendetwas besser als wir Menschen. Sonst bräuchten wir sie schließlich nicht. Entscheidend ist, dass nach wie vor Technik von Menschen gemacht wird. Auch die KI wächst ja nicht von selbst, sondern wird nach Interessen und Werten, nach Geschäftsmodellen und Leistungsmerkmalen entwickelt. Mein Kollege Klaus Kornwachs hat einmal geschrieben: Nicht vor der KI sollten wir uns fürchten, sondern vor den Geschäftsmodellen. Technik selbst ist nicht von sich aus gefährlich, sondern die menschliche Nutzung entscheidet über die Folgen.
Generative KI geht auf jeden Menschen ein. Es werden Datenmengen gesammelt, die sehr, sehr große Rechnerleistungen brauchen, die nur wenigen großen Firmen zur Verfügung stehen und die, so die Sorge, später die KI nutzen und vermarkten. Sind diese Szenarien für Sie greifbar nahe, erfunden oder irgendwo dazwischen?
In der Tat macht mir die Machtkonzentration Sorge. Die meiste KI-Forschung findet in den großen Datenkonzernen statt, die dadurch ihren Vorsprung weiter ausbauen können. Sie betreiben beispielsweise die social media, die mittlerweile einen erheblichen Einfluss auf öffentliche Kommunikation und politische Meinungsbildung haben – ohne jede demokratische Kontrolle. Einzelne Machthaber in dieser Welt wie Marc Zuckerbergh oder Elon Musk entscheiden, welche Inhalte gelöscht werden und welche nicht. Das ist ein ernsthaftes Problem. Allerdings ist auch dieses Problem nicht neu. In der Frühzeit der Elektrifizierung war der amerikanische Konzern General Electric so mächtig, dass man sagte, er bestimmt den nächsten US-Präsidenten. Neu ist jedoch heute in der digitalen Welt die globale Dimension, wo Nationalstaaten mit ihren Prinzipien etwa des Datenschutzes, des Kartellrechts und der Bürgerrechte erhebliche Durchsetzungsschwierigkeiten haben.
Was ist der Mensch? Was bleibt? Am 13. April widmete die ZEIT ihr Titelthema der Frage „Alles unter Kontrolle … oder doch nicht?“ Was meinen Sie? Haben wir noch alles unter Kontrolle?
Nein, aber das ist nichts Neues. Die Abhängigkeit von technischen Systemen, vor allem den großen Versorgungsinfrastrukturen in Bezug auf Wasser, Energie und Lebensmittel, besteht im Grundsatz seit dem 19. Jahrhundert, hat sich aber immer weiter verschärft. Heute geht ohne die Stromversorgung nichts, aber auch ohne das Internet nichts mehr: keine Kommunikation, keine Geldgeschäfte, keine internationale Logistik, ja nicht einmal mehr die Wasserversorgung. Wenn da etwas ernsthaft zusammenbricht, dann haben wir ein richtig großes Problem. Dazu kommt noch der hemmungslose globale Wettbewerb im kapitalistischen Wirtschaftssystem. Er führt im Zusammenwirken mit der Digitalisierung zu einer massiven Beschleunigung vieler Innovationsprozesse, die uns immer weniger Zeit lassen, sorgfältig zu überlegen und gut zu gestalten. Dennoch bin ich kein Pessimist, wenngleich gelegentlich skeptisch. Aber ich setze mit Hölderlin darauf: Wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch. Wir dürfen nicht zu klein vom Menschen denken.
Lieber Herr Prof. Grunwald, VIELEN DANK für das interessante Gespräch! Es hat mich noch neugieriger werden lassen auf Ihre Vorträge und unsere Diskussionen im Juni!
Das Gespräch führte Karin Dierkes, Referentin für Theologie und Philosophie.
Die Thomas-Morus-Akademie und die Görres-Gesellschaft zur Pflege der Wissenschaft freuen sich auf die Tagung „Was ist der Mensch?“ mit Prof. Dr. Armin Grunwald, Frau Dr. Anna Puzio und alle Teilnehmenden! Unsere Überschriften: Der Mensch im Spiegel christlichen Glaubens – Der Mensch im Spiegel der digitalen Transformation – Eschatologische Verheißungen des Transhumanismus – Künstliche und menschliche Intelligenz – Auf dem Weg zur digitalen Mündigkeit.
16. bis 17. Juni 2023 (Fr.-Sa.)
Was ist der Mensch?
Das christliche Menschenbild und die digitale Transformation der Welt
Akademietagung in Bensberg
Prof. Dr. Armin Grunwald wurde 1987 in Physik promoviert und 1998 in Philosophie habilitiert. Er leitet seit 1999 die größte Einrichtung für Technikfolgenabschätzung in Deutschland und weltweit, das Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) in Karlsruhe, seit 2002 auch das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB). 2007 übernahm er außerdem den Lehrstuhl für Technikphilosophie und Technikethik am Karlsruher Institut für Technologie (KIT).
Einmal im Monat erscheint „Auf ein Wort mit…“ und stellt interessante und engagierte Personen vor, mit denen die Akademie auf unterschiedliche Weise verbunden ist. Gesprochen wird über Gott und die Welt, über Kunst und Kultur, über Aktuelles aus Gesellschaft und Kirche ….
Neugierig geworden? Dann abonnieren Sie hier unseren Newsletter! Wir freuen uns, mit Ihnen im Kontakt zu sein.
7. Mai 2023 || ein Gespräch mit Prof. Dr. Armin Grunwald, Leiter des Instituts für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) sowie Professor für Technikphilosophie am Karlsruher Institut für Technologie (KIT)