Ein amerikanischer Deutscher. Lyonel Feininger
Heute wird Lyonel Feininger auf der ganzen Welt geschätzt, seinen Anfang nimmt sein künstlerischer Ruhm aber in Deutschland und in den USA.
Geboren wurde der Sohn eines deutschen Musikerpaares 1871 in New York. Das Land seiner Eltern besuchte er zum ersten Mal 16jährig, und er fühlte sich so wohl, dass er blieb. Mit der Entscheidung für die Kunst besuchte er zunächst die Kunstgewerbeschule in Hamburg, dann die Königliche Akademie der Künste in Berlin und schließlich die heute berühmte private Académie Colarossi in Paris. Sein Faible war das Medium der Zeichnung, und so war Lyonel Feininger viele Jahre Künstler mit dem Stift, nicht mit dem Pinsel. Für Zeitschriften, wie die Ulk oder die Lustigen Blätter, arbeitete er als Illustrator und Karikaturist und fasste zeitgleich Fuß in den USA, als James Keely, Herausgeber der Chicago Sunday Tribune, ihn für gleich zwei eigene Comic-Reihen engagierte: The Kin-der-kids und Wee Willie Winkies’s World. Keely suchte nach Künstlern in Deutschland, um einerseits dem negativen Image des Comics als Medium, das die Jugend verdirbt, entgegenzuwirken und andererseits, um die deutschstämmigen Einwohner Chicagos an die Zeitung zu binden. Da seine Freundin Julia Berg gerade ihr erstes gemeinsames Kind erwartete, lehnte Feininger aber die Übersiedlung nach Chicago ab und zog stattdessen nach Paris, von wo aus er die Strips per Post in die USA schickte (man bedenke den Aufwand, wo heute alles via E-Mail in Sekunden quer über den Globus geschickt wird).
Paris war in dieser Zeit das absolute Kunstzentrum und ein Schmelztigel der Moderne. Feininger traf Henri Matisse und Robert Delaunay und näherte sich dem Medium der Malerei an. Wieder in Deutschland wurde er zum Mitglied der Berliner Sezession und pflegte Kontakte zu den Künstlern der Brücke und des Blauen Reiters. Sein Einstieg in die freie Kunst ging rasant bergauf, schon 1911 stellte er im berühmten Salon des Indépendants mit Robert Delaunay, Albert Gleizes und Fernand Léger aus, 1913 nahm er am Ersten Deutschen Herbstsalon in der Galerie Der Sturm teil. Vier Jahre später hatte er dort seine erste Einzelausstellung mit 111 Werken. 1919 wurde er von Walter Gropius zum Leiter der grafischen Werkstatt an das neu gegründete Bauhaus berufen.
Schon früh war Feininger in Berührung mit dem Kubismus gekommen, eine Malweise, die ihn sehr beeindruckte und der er sich mehr und mehr widmete. Er übernahm aber nicht einfach die Vorgaben eines Georges Braque oder eines Pablo Picasso, er überführte die prismatisch gebrochene Ästhetik des Stils in eine eigene Form von komplexen, aber zarten Ansichten, die besonders im Motiv der Städte und Kirchen zu seinen berühmtesten Werken werden sollten.
Seine künstlerische Karriere sowohl als freier Künstler, als auch als Bauhausmeister fand ein jähes Ende, als 1932 die NSDAP siegreich aus den Kommunalwahlen in Dessau hervorging. Das Ehepaar Feininger hatte schon früh gespürt, dass Deutschland einer dunklen Zeit entgegen ging und bereitete schnell seine Übersiedlung in die USA vor. Als 1937 die Wanderausstellung „Entartete Kunst“ (Eintritt frei!) ins Leben gerufen wurde, verließen die Feiningers Deutschland in Richtung New York.
War Lyonel Feininger in Deutschland immer der „Amerikaner“ gewesen, war er in New York der „Deutsche“ und als Künstler ziemlich unbekannt. Erst nach und nach fand er sich in seiner alten neuen Heimat zurecht und widmete sich besonders Manhattan – eine heute berühmte Serie von stimmungsvollen Straßenschluchten und Wolkenkratzern war die Folge. Mit einem Fuß stand er aber wohl auch für den Rest seines Lebens noch in Deutschland und malte weiterhin Motive der Ostsee aus der Erinnerung. Und so erzählt seine Kunst bis heute eindrucksvoll, modern und emotional die Geschichte des amerikanischen Deutschen.
Titelbild: © gotitstudio
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Von Lyonel Feininger – Diese Datei wurde von diesem Werk abgeleitet: Halle Roter Turm II Infotafel Feininger Detail.jpgPhotographer: Heinrich Stürzl, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=134647338
1. Dezember 2023 || ein Beitrag von Judith Graefe, Akademiereferentin Erkundungen
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