„Mit vereinten Kräften“ | Ein neues Ausgrabungsprojekt im antiken Tiberias
Im Rahmen eines Bibelarchäologischen Seminars zum Thema „Mose, Jesus und Muhammad. Wie die drei großen Religionen entstanden“ in der Thomas-Morus-Akademie gab Dr. Katja Soennecken Einblicke in ein aktuelles Ausgrabungsprojekt im antiken Tiberias. Dieses Grabungsprojekt bündelt in besonderer Weise die zentralen Fragen des Seminars nach der Entstehung der drei großen Weltreligionen. Einen Einblick in diese Arbeit hat sie unserem Blog „Akademie in den Häusern“ zur Verfügung gestellt.
Eine neue Kooperation zwischen der Hebräischen Universität und dem Deutschen Evangelischen Institut für Altertumswissenschaft widmet sich der Erforschung des antiken Tiberias.
Das gemeinsame Ausgrabungsprojekt zwischen der Hebräischen Universität und dem Deutschen Evangelischen Institut für Altertumswissenschaft sollte im Jahr 2021 beginnen, doch es musste aufgrund der Einreisebeschränkungen während der Pandemie um ein Jahr verschoben werden. Im Februar 2022 war es endlich soweit: Mit der tatkräftigen Unterstützung von Studierenden der Hebräischen Universität, aus Potsdam und Neuendettelsau sowie Volontären aus allen Teilen Deutschlands konnte es losgehen.
Ziel des gemeinsam von Dr. Katia Cytryn (Hebräische Universität) und Assist.-Prof. Katja Soennecken (DEI Jerusalem & LSRS Luxembourg) geleiteten Projekts ist die weitere Erkundung des antiken Zentrums von Tiberias. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf der religiösen Bedeutung, welche die Stadt nicht nur für das Judentum, sondern auch für Christentum und den Islam hatte.
Die um 19 n. Chr. am Westufer des Sees Genezareth gegründete Stadt Tiberias entwickelte sich im Laufe der Jahrhunderte zu einem Brennpunkt von Religion, Kultur und Handel im Norden Israels. Den Namen wählte der Gründer Herodes Antipas – der Landesvater Jesu – zu Ehren des römischen Kaisers Tiberius. Die Stadt wurde im römisch-griechischen Stil mit Palästen und typisch römischen Bauten wie Forum, Theater, Badehaus und Rennbahn erbaut. Dabei wurde der jüdische Friedhof des Nachbarorts Hammat überbaut, weswegen die Stadt von gläubigen Juden zunächst als „unrein“ gemieden wurde. Urchristliche Quellen berichten davon, dass Johannes der Täufer vor dem Jahr 30 n. Chr. in Tiberias hingerichtet wurde.
Nach der Zerstörung Jerusalems im Jahr 70 n. Chr. wurde die Stadt bald das geistige und religiöse Zentrum des Judentums. Antike Quellen erwähnen den dem Bau eines Heiligtums zu Ehren Kaiser Hadrians, doch fehlen bislang verlässliche archäologische Hinweise auf eine entsprechende Architektur. Einziger Anhaltspunkt ist eine Fassade mit vier Säulen, die auf einigen in Tiberias geprägten Münzen des Jahres 119 n. Chr. erscheint.
Ende des 2. Jahrhunderts erklärte Rabbi Schimon ben Jochai die Stadt für „rein“, und am Anfang des 3. Jahrhunderts erlebte Tiberias als Sitz des Sanhedrin und einer berühmten Jeschiwa einen weiteren Aufschwung und wurde zu einer Hochburg jüdischer Gelehrsamkeit. Hier wurde gegen 210 n. Chr. die Mischna fertiggestellt, bis um 400 n. Chr. entstand die Gemara und bis ca. 450 n. Chr. wurde hier der Talmud Jeruschalmi vollendet sowie die masoretische Punktation des Ersten Testaments vollendet.
Seit dem vierten Jahrhundert war die Stadt zu einem wichtigen Ziel für christliche Pilger geworden, die die vielen heiligen Stätten in der Region Galiläa besuchten. Nach der arabischen Eroberung im Jahr 635 n. Chr. blühte Tiberias weiter auf, als es zur Hauptstadt von Jund al-Urdun wurde. Die frühen Kalifen errichteten Paläste im Umfeld der Stadt am Seeufer (Khirbat al-Minya und Sinn en-Nabra). Dennoch war bis vor kurzem nur wenig über die frühe muslimische Vergangenheit der Stadt bekannt.
Die archäologischen Ausgrabungen in der Umgebung von Tiberias werden seit einem Jahrhundert durchgeführt und sind mit namhaften Archäologen verbunden (B. Rabani in den Jahren 1954-56; A. Druks zwischen 1964-68; G. Foerster 1973-74; Y. Hirschfeld in den 1980-90ern). Dazu kommen zahlreiche Notgrabungen im Zuge der Entwicklung von Tiberias zu einem beliebten Urlaubsort.
Römischer Kochkrug in situ © DEI/New Tiberias Project
In den letzten Jahrzehnten wurden monumentale Gebäude der antiken Stadt entdeckt, darunter ein großes römisches Theater und eine byzantinische Kirche aus dem 5. Jh. Besonders die Entdeckung einer der frühesten Moscheen im Land ist hervorzuheben. Als diese um 670 n. Chr. gebaut wurde, war Tiberias bereits seit einigen Jahrzehnten eine muslimisch regierte Stadt. Die im 5. Jh. n. Chr. erbaute dreischiffige Kirche wurde zur selben Zeit noch aktiv genutzt und blieb dies in der umayyadischen Zeit auch – ein archäologischer Hinweis, dass die frühislamische Herrschaft tatsächlich eine tolerante war. Erst unter abbasidischer Herrschaft wurde das Kirchengebäude stark verkleinert und später stillgelegt. Ein christliches Begräbnis mit arabischer Inschrift aus dem Jahr 970 n. Chr., der beginnenden Fatimidenherrschaft, wurde direkt neben der Kirche gefunden – offensichtlich war die Erinnerung an den als heilig empfundenen Ort noch vorhanden.
Während Moschee und Kirche schon ausgegraben wurden, fehlt von den mindestens 13 in schriftlichen Quellen beschriebenen Synagogen noch jede Spur.
Die Forschungsfragen des neuen Projekts in diesem Jahr waren in erster Linie: Wo befand sich der westliche Eingang zur Moschee? Was verbirgt sich hinter der apsidialen Struktur, die im Jahr 2018 dort freigelegt wurde? Wo schließt der Cardo an? Wie verbindet sich der römisch-byzantinische Cardo mit dem frühislamischen Decumanus? Um Antworten auf diese Fragen zu finden, wurden zwei Bereiche geöffnet: M 1 an der Westmauer der Moschee und M 5 westlich der großen byzantinischen Kirche.
Plan des Ausgrabungsgeländes (rot) mit den bearbeiteten Arealen M 5 und M 1 © K. Cytryn/New Tiberias Project
Zwar konnte der Eingang zur Moschee nicht gefunden werden, doch entpuppte sich die halbkreisförmige Struktur als Teil einer kreuzfahrerzeitlichen Kirche aus dem 12. Jh. In M 5 wurde ebenfalls eine vermutlich kreuzfahrerzeitliche Mauer entdeckt, die in Bau und Größe eher auf eine kleine Festung hindeutet. Dies stellt für die Stadtgeschichte eine große Überraschung, wenn nicht eine kleine Sensation dar; denn bislang wurde immer davon ausgegangen, dass die Stadt in der Kreuzfahrerzeit ausschließlich weiter im Norden gelegen habe und sich nicht so weit in den Süden erstreckte.
Ausgrabungsbereich M 5 © DEI/Patrick Leiverkus
In den letzten Tagen der Kampagne wurden der Cardo, die von Norden nach Süden verlaufende Hauptstraße des römischen und byzantinischen Tiberias, sowie entsprechende Siedlungsspuren der Zeit entdeckt. Somit ist die Lage der Hauptachse der antiken Stadt bekannt und die Planung der weiteren Kampagnen nimmt Gestalt an: der Bereich westlich des Cardo und auf einer Achse mit der östlich davon gelegenen Kirche, wäre der theoretisch ideale Ort für die Ansiedlung von Synagogen der Stadt.
Grabungsalltag © K. Soennecken
Im Frühjahr 2023 wird die Ausgrabungskampagne fortgesetzt (vom 12. Februar bis zum 10. März) und Interessierte haben die Möglichkeit, daran zwei Wochen teilzunehmen. Dafür wird eine Ausgrabungsreise über „Tobit-Reisen zwischen Himmel und Erde GmbH“ angeboten, die vom 19.2. bis 5.3.2023 dauern wird. Nähere Informationen zur Ausgrabungsreise erhalten Sie hier.
1. Dezember 2022 || ein Beitrag von Dr. Katja Soennecken, Studium der Klassischen Archäologie, Evangelischen Theologie und Jüdischen Studien in Heidelberg, Berlin, Edinburgh, Münster und Wuppertal
Sie hat vielfältige Ausgrabungserfahrungen in Israel und Jordanien gesammelt – auf dem Tall aṣ-Ṣāfī/Gath, in Ramat Rahel (Schnittleitung), bei den Ausgrabungen auf dem Tall Zirāʿa (Schnittleitung) sowie dem Umlandsurvey im Wādī al-ʿArab (Co-Direktorin), unter der Erlöserkirche sowie auf dem Zionsberg (Schnittleitung; Co-Direktorin) in Jerusalem und leitet seit 2022 die Ausgrabungen in Tiberias als Co-Direktorin.