Buchempfehlung von Susanne Bonenkamp
Nie war es herrlicher zu leben. Das geheime Tagebuch des Herzogs von Croÿ 1718 – 1784
herausgegeben und übersetzt von Hans Pleschinski
2011, dtv
Teilen Sie die Erfahrung, nach der Besichtigung eines berühmten oder auch wenig bekannten Schlosses eine gewisse Ratlosigkeit zu spüren, die sich auch beim besten Kaffee im Schlosshof nicht ganz verflüchtigt? Wir sehen die Architektur, die Gesamtanlage, die prachtvolle Ausstattung, durchschreiten Raumfolgen, bewundern Gemälde und bestaunen Kuriosa. Allen wortreichen Erläuterungen der Guides zum Trotz, es fehlen die Menschen, die all das imaginierten, bauen ließen, zu finanzieren suchten und bestenfalls sogar selbst bewohnten und der heute perfekten musealen Hülle Leben gaben. Und je mehr man gesehen hat, je mehr zeigen sich Unterschiede jenseits von Baustilen und Moden der Zeit. Nur wie „tickten“ diese Menschen?
„Das geheime Tagebuch des Herzogs von Croÿ“, das der Biograf und Autor Hans Pleschinski übersetzt und herausgegeben hat, war offenbar nur für den engsten Familienkreis nach dem Ableben des fleißigen Schreibers gedacht. Es ist in Vielem sehr persönlich, beinahe intim, fast als wenn er vor sich selbst meint, Jahr um Jahr Rechenschaft ablegen zu müssen. Und so erfahren wir Zeitmenschen viel über das Leben eines Höflings am Hof von Versailles, das alles andere als Müßiggang bedeutete.
Von Geburt an in eine Rolle geboren, die es zu füllen gilt. Alles Leben, alles Bestreben ist darauf gerichtet, den unausgesprochenen und teils dezidiert eingeforderten Erwartungen zu entsprechen. Am Ende dieser unterhaltsamen und aufschlussreichen Lektüre scheint es, dass unser Akteur wider allen Fährnissen des Lebens, ein Glückskind war.
Emmanuel de Croÿ war gesund, erfuhr eine passable Erziehung, fügte sich in die ihm angetragene lukrative Heirat, aus der eine Reihe aussichtsreicher Söhne hervorgingen. Dass bei allem Arrangement der Familienverbindungen auch persönliche Zuneigung erwachsen kann, selbst Schwiegertöchter Mitgefühl angesichts einer schweren Entbindung erfahren, machen von Croÿ menschlich im steten Kümmern um das Wohl und Wehe seiner Familie. Diese Netzwerke von Taufpaten bis zu Eheanbahnungen begleiten ihn sein Leben lang, sie sind das Sicherungsnetz in der fragilen Welt am Hof Ludwigs des XIV. Denn alles andere hängt von der Gunst, um nicht zu sagen von der Laune des Monarchen ab. Seine Nähe zu suchen und ihr gleichzeitig nicht zu nahe zu kommen, gilt es permanent auszubalancieren.
Erfolg stellt sich ein, Schritt um Schritt mit immensem Einsatz und Fleiß erklimmt unser Chronist die Karriereleiter. Er weiß Mätressen für sich zu gewinnen, Diners zu geben, am Spieltisch den Überblick zu wahren, mit dem König zu jagen und ihn und seine Minister immer und immer wieder mit seinen schriftlichen Eingaben zu diversen Themen zu überzeugen. Jeder kleiner Statusgewinn muss abgesichert werden, zum Beispiel die Erblichkeit eines Titels und beinhaltet auch, ihn nach außen hin sichtbar zu machen. Das Reüssieren bei Hof fordert seinen Tribut in einer adäquaten Inszenierung der eigenen Schlösser, ihrer Parks oder gar seiner naturwissenschaftlichen „Forschungen“ wie seiner Begeisterung für technische Neuerungen wie die der Gebrüder Mongolfier.
Ein Leben in Fülle, immer auf Reisen im Dienst seiner Pflichten, ein rastloses Pendeln zwischen dem „Zuhause“ in Paris und auf dem Lande und dem Logis im Schloss von Versailles. Dem „Nie war es herrlicher zu leben“ steht ein wiederkehrendes Stirnrunzeln gegenüber, ob die Anforderungen des Hofes an seine Entourage nicht übertrieben sind. Der obligate neue Zeremonialmantel kostet ein Vermögen, doch war es undenkbar, ohne ihn dem König unter die Augen zu treten. Der Anlass war einzig die Messe des Ordens des Heiligen Geistes an Neujahr und van Croÿ einer der Statisten in der zweiten Reihe auf der Bühne von Versailles.
Anlässlich der Frankfurter Buchmesse (20. bis 24. Oktober 2021) haben wir uns im Redaktionsteam über die Bücher ausgetauscht, die wir gerade lesen und/oder empfehlen können. Für uns ist Lesen eine der schönsten Beschäftigungen, auch – oder vor allem gerade – im digitalen Zeitalter. Die Lektüre eines Romans am Feierabend wirkt entschleunigend und entspannend.
Außerdem geben uns die Geschichten Einblick in das Leben anderer. Wir schauen über unseren Tellerrand, die Menschen fremder Länder, anderer sozialer Schichten oder divergierender Einstellungen kommen uns näher. Das entfaltet unser Verständnis füreinander.
Daraus ist die Idee entstanden, Personen, die mit der Akademie verbunden sind, nach einer Buchempfehlung für unseren Blog „Akademie in den Häusern“ zu fragen. Zusammengekommen sind 14 besondere Beiträge: Romane, Biografien und Kochbücher, Klassiker und neu erschienene Werke, die wir Ihnen bis zum 24. Oktober 2021 in unserem Blog vorstellen.
Wir wünschen Ihnen eine inspirierende Lektüre.
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21. Oktober 2021 || eine Buchempfehlung von Susanne Bonenkamp, Theaterwissenschaftlerin, von 1989-2018 Kulturreferentin des Rheinisch-Bergischen Kreises, Bergisch Gladbach