Rheinland – Rausland – Vaterland. Eine Rheinfahrt mit Ferdinand Freiligrath (1810 – 1876)

Im Juni 1868 kehrten der deutsche Dichter Ferdinand Freiligrath und seine Frau Ida nach 17-jährigem Londoner Exil nach Deutschland zurück. Per Dampfer fuhren sie von Holland den Rhein hinauf. Freunde und Weggefährten des äußerst populären Dichters hatten für dessen Repatriierung Gelder gesammelt und die Passage entlang des „deutschen Stroms“ organisiert. Freiligrath begegnete noch einmal allen seinen Wirkungsstätten.

In Düsseldorf und Köln, wo ihm zu Ehren alle Schiffe Flagge trugen und ein Festbankett mit mehr als 200 Gästen im Gürzenich veranstaltet wurde, hatte die „Trompete der Revolution“ während der Märzereignisse von 1848 mit ihren poetischen Fanfarenstößen die Mengen mobilisiert. Die Heimkehr führte vorbei an Bonn und Siebengebirge mit dem Drachenfels, vorbei an Rolandseck und Unkel. Am unteren Mittelrhein hatte Freiligrath 1839 im Kreis um Karl Simrock und Gottfried Kinkel sein Leben als freier Schriftsteller begonnen. St. Goar und Assmannshausen am oberen Mittelrhein waren die Orte, an denen er sich innerhalb zweier Jahre vom Romantiker zum radikalen Demokraten entwickelt hatte. Ziel jetzt und damit Endpunkt einer langen Lebensreise waren Stuttgart und Cannstatt im Königreich Württemberg. Am Erscheinungsort seiner Dichtererstlinge schlossen sich die Kreise. Freiligrath lebte nun, wieder vornehmlich im Privaten und wie das halbe Jahrhundert zuvor mit Übersetzungen aus dem Englischen und Amerikanischen befasst, dem Bau der Deutschen Nation im Krieg von 1870/71 entgegen.

St. Goar, gemeinfrei

Mit dem dreiteiligen KulturAbo „Rheinland – Rausland – Vaterland“ biete ich Ihnen eine Reise zu Geschichte und Kultur des romantischen Mittelrheins in Verbindung mit Texten von Ferdinand Freiligrath. Literarische Reisen, also vor Ort mit der Rezitation ausgewählter Texte gespickte Ferienakademien, habe ich für die Thomas-Morus-Akademie in den vergangenen Jahren mehrfach durchgeführt. Bei diesen Begegnungen mit dem Welterbe Mittelrhein oder mit den Schwäbischen Dichterorten ging es darum, den Funken des Reiseerlebnisses zwischen Hören und Gesehenen zu zünden.

Dass solche Reisen aufgrund der gegenwärtigen Pandemie keine Chance auf physische Durchführung haben, ist als nicht unbedingt unglücklicher Umstand zu bezeichnen. Die Geschichte verläuft nicht gradlinig. Das Leben eines Menschen tut es auch nicht. So ist im Vor und Zurück, im Hin und im Her, welches die Lebensroute Freiligraths zu bieten hat, das Bild eines Schiffes zu sehen, das den Strom hinauffährt und hinab, und dies dank moderner Technik in die eine Richtung ebenso gefällig vermag als in die andere.

Das Schiff meiner Rheinfahrt mit dem Dichter Freiligrath fährt auf dem in Text und Bildern geordneten Strom der Daten. Nach Anlegestellen seines Lebens sortiert werden die Orte und Sehenswürdigkeiten der 150 Rheinkilometer aufgesucht, welche Freiligrath in seinem Wirken kreuzte. Der allgemeinen Progression seines Lebens stehen dabei mehrfache, auch zeithistorisch bedingte geographische Richtungswechsel gegenüber. Die Einheitlichkeit einer solchen Lebens-Schifffahrtslinie mit wechselndem Kurs lässt sich am Bildschirm oder auf dem Papier komfortabler und kompakter nachvollziehen als per Bus, Bahn oder Schiff. Zudem können mit jenen Transportmitteln im Unterschied zum Vortrag vor Ort auch einmal komplette Primärtexte expediert werden, deren Lektüre Zeit und Muße eines jeden Mitreisenden angelegen ist.

Assmannshausen, © Manfred Heyde, CC BY-SA 3.0

Die Fokussierung auf Ferdinand Freiligrath bringt es jedoch mit sich, dass andere wichtige literarische Persönlichkeiten und Erbstätten am Rhein nicht in den Blick gelangen; so Achim von Arnim, die Geschwister Brentano oder Karoline von Günderrode mit dem Brentanohaus in Oestrich-Winkel, Goethe und das Rochusfest in Bingen, Victor Hugo, Heine in Bacharach oder noch einmal Brentano, Heine, Apollinaire, Kästner angesichts der Loreley. Freiligraths Rheindichtungen stehen nur für einen kleinen Teil eines weitgebreiteten Sujets. Die Fokussierung auf ihn ist dennoch gerechtfertigt, da Freiligraths Bedeutung und Verdienst sich deutlich weiter erstrecken, als was der Rhein an Stoff zu bieten hat. Freiligrath ist derjenige unter den deutschen Dichtern, an und mit dem sich deutsche Zeit- und Literaturgeschichte des 19. Jahrhunderts, von Romantik und Biedermeier über Vormärz, März, Nachmärz bis zum Nationalpatriotismus der Reichsgründung von 1871 wohl am besten nachvollziehen lassen. Der von Gedankenflügeln der vielen anderen Autorinnen und Autoren beschattete Blick auf das Welterbe Mittelrhein sei deshalb einer hoffentlich bald wieder möglichen realen Reise (der aktuelle Sprachgebrauch sagt „physisch“), am liebsten gemeinsam mit Ihnen, vorbehalten.

Schiffsverkehr am Binger Loch, © Alexander Hoernigk, CC BY-SA 3.0

Meine Rheinfahrt mit Ferdinand Freiligrath gliedert sich in drei Teile:

– Dichter am Strom, die Jahre 1838 – 1842
– Im Fluss der Ereignisse, die Jahre 1842 – 1851
– Die Ufer der Nation, die Jahre 1851 – 1876

Die Literaturgeschichtsschreibung hat verschiedentlich in etwas anderer zeitlicher Aufteilung das Schaffen Freiligraths in eine romantisch-exotistische, eine revolutionäre und eine national-patriotische Phase eingeteilt. Stimmt eine solche Einteilung zwar mit den sich verändernden weltanschaulichen Tendenzen seiner Dichtungen überein, so steht sie mit Blick auf die Einheitlichkeit der stilistischen Mittel Freiligraths – das balladenhafte, dramatische Sujet, refrainhaft sich wiederholende Phrasen und Appelle sowie der drängerische Ton, der fast allen seinen Texten innewohnt – infrage. Denn Freiligraths Stilmitteln sind nicht bloß formale Klammern seines Werks. Durch sie blickt seine Leidenschaft für individuelle Freiheit und Verantwortlichkeit des Menschen in die Welt. Diese Freiheit und Verantwortung sind Freiligraths eigentliche Themen.

Das dem Pathos seiner Leidenschaft entspringende Ethos verlangte Freiligrath und nicht zuletzt seiner Frau und seinen Kindern überaus viel ab. Der fünffache Familienvater schrieb flammende poetische Anleitungen zum Gebrauch der Revolution und nahm dafür Jahrzehnte des Exils in Kauf. Dabei galt es aber, gegenüber dem Dichter auch den Menschen Freiligrath in die Pflicht zu nehmen. „Die Verse tun’s nicht allein, es will auch ein Ding dabei sein, das man Charakter nennt“, war seine Devise. Um seiner Familie ein Auskommen zu sichern, führte der gelernte Kaufmann und Bankier äußerlich ein Leben, das nach Meinung von Zeitgenossen „den Eindruck einer durchaus bürgerlichen Natur, die im Geschäftsleben ihre Sphäre hat“, machte. Dem Strom der Gegenwart mit hartem Schlag entgegenrudern und dennoch Teil von dessen Bewegung sein, das machte Freiligraths Charakter aus. Denn: „Dieses auch ist Poesie, es ist das Menschenleben.“

Herzlich lade ich Sie ein, mit mir in den drei literarischen Landgängen von „Rheinland – Rausland – Vaterland“ dem Dichter Ferdinand Freiligrath und seinem Rhein ganz nah zu treten!

In der AkademiePlus finden Sie nun den ersten Teil „Dichter am Strom, die Jahre 1838 – 1842″. Die Teile zwei und drei folgen in den nächsten Wochen und sind dann ebenfalls in der AkademiePlus zu finden.

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Titelbild:

Abb.: Ferdinand Freiligrath, Johann Peter Hasenclever, 1851; daneben Abb.: Drachenfels_Dmitry Tonkonog und Ksenia Fedosova, CC BY-SA 3.0

14. April 2021 || ein Beitrag von Markus Juraschek-Eckstein, Kunsthistoriker und Germanist