Maria in der Kunst: Die bedeutendsten Marienpflanzen
Der Gottesmutter zugeordnet werden zahlreiche Pflanzen und Tiere. Bezugsrahmen für die florale Symbolik der Gottesmutter sind die Göttinnen der Antike. So wie Sandro Botticelli gegen Ende des 15. Jahrhunderts den Frühling darstellt, können wir uns den Beginn der Übernahme der antiken floralen Elemente vorstellen. Das Mittelalter hat diese Symbolik übernommen. In einem zweiten Beitrag stellt der Theologe Prof. Dr. Manfred Becker-Huberti bedeutende Marienpflanzen und ihre Symbolik vor.
Den ersten Beitrag „Blume des Feldes und Lilie in den Tälern…“ (Hld 2,1) Marienpflanzen und ihre Symbolik finden Sie hier.
Bild:
Sandro Botticelli, Primavera (Ausschnitt: Flora), um 1482/1487, Tempera auf Holz, 203 x 314 cm, Uffizien
Die Pfingstrose
Die Pfingstrose (Paeonia) kommt wild wachsend nur in den Mittelmeerländern und im südlichen Tessin vor. Kultiviert wurde sie in benediktinischen Klostergärten und wanderte von dort in die Bauerngärten. Weil sie Heilpflanze wurde, kam sie zu dem volkstümlichen Namen „Kindliwehblume“, denn sie wurde als Heilmittel für Kinder eingesetzt. Sie war aber auch Zauberblume, denn aus ihren schwarzen Samen und der Wurzel wurden Amulette gegen Epilepsie und böse Geister angefertigt.
Ursprünglich wohl aus China stammend, gewann die Pfingstrose über beider Bezeichnung als „Rose ohne Dornen“ eine Beziehung zur Gottesmutter. Konrad von Würzburg gilt als Berühmteste unter den Dichtern, die diese Zuordnung vergeben haben. In seiner „Goldenen Schmiede“ (1275 – 1277) heißt es in Vers 422: „du phingstróse ân allen sift“ – „du Pfingstrose ohne jeden Dorn.“
Die Bezeichnung der Pfingstrose als Rose ohne Dornen und der gleich lautende Titel Marias machen die Pfingstrose zu einem Attribut Marias. Rose ohne Dornen ist Maria als die neue Eva. Durch die Geburt des Erlösers hat Maria die Schuld der alten Eva aufgehoben. Als Frau (= Rose) hat sie die Sünden (= Dornen) getilgt.
Besonders schön wird dies in dem Bild „Madonna im Rosenhag“ von Martin Schongauer sichtbar, wo die voll aufgeblühte Pfingstrose links neben Maria sich der Gottesmutter entgegenreckt und so einen Kontrast zu den mit Stacheln bewehrten Rosen im Hintergrund bildet.
Bild:
Martin Schongauer (* 1445/50 in Colmar/Elsass, + 1491 in Breisach am Rhein), Maria im Rosenhag, St. Martin, Colmar
Die Akelei
Die Akelei (Aquilegia vulgaris L.), ein Hahnenfußgewächs, ist eine Pflanze der Nordhalbkugel, die als geheimnisvolle, elegante und blaublütige Pflanzen schon vorchristlichen Zeiten – da allerdings eher in erotischem Zusammenhang – Karriere gemacht hat. Die Fünfzahl der Blüten – symbolisch für die heilige Fünf des Dämonen abwehrenden Pentagramms – und die doppelt dreizähligen Blätter – Symbol für die Dreifaltigkeit – haben sie im Christentum populär werden lassen. Auch als Heilpflanze wurde sie gegen Krebs, Pest und Geschwüre eingesetzt. Ihre zahlreichen Alias-Namen wie z.B. „Marünggeli“ im Thurgau lassen sie als Marienpflanze erkennen.
Die Symbolhaftigkeit der Akelei hat vielerlei Facetten: Von der Seite betrachtet haben die einzelnen Blütenblätter Ähnlichkeit mit kleinen Tauben. Die Taube ist das Erkennungszeichen des Heiligen Geistes. Und weil die Akeleistauden meist sieben Blüten tragen, erblickte man in ihnen den Hinweis auf die sieben Gaben des Heiligen Geistes – Weisheit, Verstand, Rat, Stärke, Wissen, Frömmigkeit und Gottesfurcht -, die nach Isaias (11, 2) dem Messias verliehen wurden. Der Prophet beschreibt den Messias als Friedenskönig so, dass man an das Paradies erinnert wird. Die Akelei wird so auch zu einem Christussymbol.
Das Blau der Grundform der Akelei deutet auf das Himmelsblau der Himmelskönigin. Maria wurde und wird von den Menschen als Fürsprecherin bei Gott angerufen, als Patronin der Menschen im Himmel. Diese Funktion zeigt sich in ihrem blauen Mantel, der auch als „Schutzmantel“ dargestellt wird, unter dem sich die Schutzbefohlenen bergen. Übernommen wurde hier aus dem römischen Recht das „sub pallio cooperire“, die rechtswirksame Annahme von Schutzbedürftigen, die den Annehmenden zum „Patron“ werden ließ.
Blau ist in unserem Kulturkreis bis in die Türkei hinein ein Apotropäum, ein Dämonen abwehrender Schutz. Ob dies von der Erkenntnis abgeleitet wurde, dass die wenigen blauen Pflanzen (nur 5 % aller Pflanzen) fast ausnahmslos giftige Bestandteile enthalten, ist ungeklärt. Dass man diese Pflanzen aber als das Böse abwehrend ansah, ist belegt. In Griechenland wird das Blau der Tür- und Fensterrahmen als Apotropäum genutzt und das blaue Augenamulett gegen den bösen Blick, findet sich ebenso in Griechenland, der Türkei und anderen islamischen Ländern.
Bild:
Bernardino Luini (* um 1484/85 Luino/Lombardei, + 1532 in Mailand), Madonna vor der Rosenhecke
Die Schwertlilie
Die Deutsche Schwerlilie (Iris germanica L.), die Wappenblume der französischen Könige, hat ihren deutschen Namen von ihren schwerartig aufragenden Blättern. Kultiviert wurde sie wegen ihres ätherischen Öls, das aus ihren oberirdischen Wurzeln gewonnen wurde. Glattgeschliffene Wurzelstücke wurden und werden als Beißhilfe für zahnende Kinder verwendet, oft unter der Bezeichnung „Veilchenwurz.“
In der griechischen Mythologie ist Iris Götterbotin, die wie Hermes im Auftrag der Götter umherreist, zumeist auf dem Regenbogen. Sie begleitet die Seelen, vor allem die weiblichen, in das Totenreich. Deshalb ist die Schwertlilie noch heute in Griechenland eine typische Grabblume. Den Bezug der Blume zum Regenbogen versteht man, wenn man in die geöffnete Blüte blickt und die irisierenden Farben wie im Regenbogen erblickt.
Der gekrümmte Regenbogen berührt mit seinen beiden Enden die Erde, während sein Bogen weit in den Himmel reicht. Die Faszination des Regenbogens und seine Bedeutung erschließen sich u.a. aus den vielen mit ihm verbundenen Legenden, wonach dort, wo der Regenbogen endet, Zwerge große Schätze hüten oder ein Goldtopf auf seinen Finder wartet.
Der Regenbogen verbindet unten und oben, Immanenz und Transzendenz, die Welt der Menschen und das Paradies. Schnittstelle dieser Beziehungen ist Maria. Ihre Darstellung materialisiert Geistiges, spiegelt das göttliche Geheimnis wider. In ihr verkörpert sich das Bild Gottes. Sie ist so „Imago Dei.“ So wie die mythologische Iris zwischen den Götter und den Menschen hin und her reiste, vermittelt Maria zwischen Gott und den Menschen.
Nicht ohne Grund wird diese Pflanze auf dem Bild mit dem Marientod in den Vordergrund gerückt, geht Maria hier doch selbst den Weg alles Irdischen. Ihre Seele hockt bereits als kleines Mädchen auf dem Arm ihres Sohnes, der sich segnend unter die Apostel begeben hat.
Bild:
Hans Multscher (1400 – 1467), Der Tod Mariä (Außenflügel, rechts unten, des Wurzacher Altars, 140 x 150 cm, 1437, Gemäldegalerie Berlin
Die Walderdbeere
Die schmackhaften Erdbeeren waren den Römern einmal Symbole der Lebenslust, Leichtlebigkeit und Sinnesfreuden.
Dominant im Mittelmeerraum war aber die Deutung der Walderdbeere als Speise des Goldenen Zeitalters, des aetas aurea. Ovid bezeichnet sie so in seinen „Metamorphosen.“ Durch das Christentum entstand eine neue Deutung: Erdbeeren haben rosenförmige Blüten, die keine Dornen bilden, ihre Beeren haben keinen Kern und Schale. Während sie Früchte ansetzt, blüht sie immer noch. Diese Gleichzeitigkeit der Pflanze hat ihre Entsprechung in der Gleichzeitigkeit von Mater et virgo. Die Blätter der Pflanze werden meist in Aufsicht mit betonter Dreizahl dargestellt, womit die Maler deutlich auf die Dreifaltigkeit verweisen. Die weiße Farbe der Blüte deutet auf die Unschuld, das Rot der Früchte auf die Liebe. „Rot und Weiß“ zugleich bei einer Pflanze lässt sich als Bild für die jungfräuliche Mutterschaft verstehen. Die Frühlingsblüte wird mit der Inkarnation Christi gleichgesetzt, die Reife der Beeren mit der Anbetung der Heiligen Drei Könige.
Die Walderdbeere wurde ganz allgemein zum Symbol der Rechtschaffenheit und zeichenhaft für fromme und gute Gedanken. Aber auch die Deutung als himmlische Speise, als Gabe Gottes, wird tradiert, wenn der Mystiker Heinrich Seuse von einem Jüngling berichtet, dem ein Knabe ein Körbchen mit Walderdbeeren bringt und dazu sagt: „dis roten fruht hat dir din frunt und din himlischer herr gesendet. Ach wie hat er dich so recht liep.“ Neben der Rose und dem Veilchen wurde die Walderdbeere zu einer der Muttergottespflanzen, Motiv zahlloser Maler wie z. B. Stefan Lochner, Rogier van der Weyden, die Brüder van Eyck, Hugo van der Goes. In Großbritannien sind die Blätter der Erdbeeren zudem ein Zeichen von Rang. Acht Erdbeerblätter schmücken die Herzogskronen. Als paradiesische und himmlische Pflanze eignet sich die Walderdbeere auch zur Dämonenabwehr. Neben anderen Dämonen abwehrenden Pflanzen wie Eiche, Nelkenwurz und Hahnenfuß stellt das linke Kapitell an der gotischen Westfassade des Basler Münsters auch Walderdbeer-Blätter dar.
Die Walderdbeere kommt in zahlreichen Mythen, Märchen und Sagen vor. In der germanischen Mythologie gehört sie zur Göttin Frigga. Sie versteckte verstorbene Kinder zwischen den Erdbeeren, um sie dann heimlich mit nach Walhall zu nehmen. Diese Beziehung übertrug sich im Mittelalter auf Maria. Sie soll die ungetauft verstorbenen Kinder, die nach der geltenden Lehre keine Aufnahme im Himmel fanden, und schon gar nicht in das Fegefeuer oder die Hölle eingehen konnten, in einem geschützten Raum, der nicht Himmel, Hölle oder Fegefeuer war, dem Limbus, untergebracht haben. [Am 20. April 2007 hat Papst Benedikt XVI. die Lehre vom Limbus infantium vel puerorum als eine ältere theologische Meinung, die nicht mehr vom Lehramt unterstützt wird, abgewertet.] Bei der hohen Kindersterblichkeit jener Jahrhunderte und dem Leid der hinterbliebenen Eltern war die Legende, die nun entstand, ein gewisser Trost. Nach ihr stieg Maria jedes Jahr einmal auf die Erde herab, um in einem Korb Erdbeeren für die Kinder im Limbus zu sammeln. In einigen Gegenden Deutschlands galt, dass Frauen, denen ein Kind gestorben war, deshalb keine Walderdbeeren essen sollten. Auch die Brüder Grimm erzählen von der Gottesmutter, die für das Jesuskind Erdbeeren pflückt: „Schlaf sanft, ich will derweil in den Wald gehen und eine Handvoll Erdbeeren für dich holen; ich weiß wohl, du freust dich darüber, wenn du aufgewacht bist.“
Bild:
Walderdbeeren auf der Paradieswiese bei Lochners Madonna mit dem Veilchen,
Stephan Lochner (* um 1400/1410 in Meersburg am Bodensee, + 1451 in Köln), Madonna mit dem Veilchen (Ausschnitt und Vergrößerung), vor 1450, Kolumba, Köln
Der Apfel
Welche Frucht am Baum der Erkenntnis im Paradies hing, teilt uns die Bibel nicht mit (Gen 3, 3.6). Die bildliche Darstellung des Phänomens verlangte aber nach Präzision. In den Ländern am Mittelmeer wurde die Feige zur Frucht am Baum der Erkenntnis. Nördlich der Alpen gab es keine Feigen, zumal dann nicht, wenn im Paradiesspiel am Tag von Adam und Eva, dem 24. Dezember, vor dem Krippenspiel gezeigt werden sollte, wie die Erbsünde in die Welt kam.
Sprichwörtlich dabei ins Spiel gekommen ist der Apfel durch das analoge Denken unserer Vorfahren: Was gleich klingt, muss auch gleich sein, haben unsere Ahnen gemeint. Wenn der Apfel (lat. malus) so klingt wie Fehler, Gebrechen, Übel, Leid, Unheil (lat. malus, das Gegenteil von bonus), dann müssen beide Phänomene etwas miteinander zu tun haben. Die Folge: Die Frucht am Baum der Erkenntnis im Paradies konnte nur ein Apfel gewesen sein. Die verbotenen Früchte wurden in Nordeuropa durch Äpfel dargestellt – rote Äpfel, die sich kräftig vom Grün des Baumes abhoben.
Den Übergang von der Feige zum Apfel zeigt eindrucksvoll ein kleines romanisches Alabasterrelief aus dem Museum Kolumba in Köln.
Während die „alte“ Eva den Apfel Adam reicht und damit die Erbsünde in Welt bringt, erhält Maria den Apfel, um als „neue“ Eva zu demonstrieren, dass durch den Opfertod ihres Sohnes die Erbsünde vergeben werden wird. Aus dem Apfel als Symbol der Schuld wird in den Händen Marias der Apfel zum Symbol der Überwindung der Schuld. Oft wirkt die Mimik von Maria und dem Jesuskind in Verbindung mit Apfel sehr ernst. Diese Doppeldeutigkeit des Apfels zeigt beispielhaft die Legende des „Apfelheiligen“, Hermann Joseph von Steinfeld. Er schenkt seinen Apfel der Gottesmutter, die als Plastik in der Kirche Maria im Kapitol in Köln stand und steht. Oberflächlich ist es ein simples Geschenk; wer tiefer sieht erkennt, dass durch Marias Gehorsam der Erlöser in die Welt kam und die durch den überreichten Apfel ausgedrückte Schuld tilgte. Zeichenhaft nimmt Maria die Schuld entgegen und macht so den Apfel zum Zeichen der Erlösung. Der Apfel spiegelt Erbschuld und Erlösung.
Bilder:
Leonhard Kern (1588-1662), Adam und Eva verbergen sich vor Gott,
Alabaster, Schwäbisch-Hall, um 1630, Museum Kolumba, Köln
Vincenco Foppa (* um 1427 in Bagnolo Melia, + 1516 in Brescia), Madonna mit dem Kind, 57 x 41 cm, Staatliche Museen, Berlin
Titelbild:
© unsplash.com, gemeinfrei
10. August 2020 || ein Beitrag von Prof. Dr. Manfred Becker-Huberti
Der Theologe Manfred Becker-Huberti war von 1991 bis 2006 Pressesprecher des Erzbistums Köln. Seit 2007 ist er Honorarprofessor an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar. Er forscht zu religiösem Brauchtum, Heiligen und der Heiligenverehrung speziell im Rheinland.