Sinn-bildlich: Gedanken zum Himmelfahrtsfest
Auf den ersten Blick scheinen beide Darstellungen wenig miteinander zu tun haben: der 368 Meter hohe und zwischen 1965 und 1969 entstandene Berliner Fernsehturm am „Alex“, in dessen markanter Kugel sich die strahlende Sonne in Kreuzform widerspiegelt, was bekanntermaßen als Rache des Papstes an Walter Ulbricht gedeutet wurde, und die Versoseite des aus dem 6. Jahrhundert stammenden und in Syrien gearbeiteten Rabbula Evangeliars, das uns in zwei Registern die Himmelfahrtsszene darstellt.
Die Seite aus dem Evangeliar visualisiert das in der Apostelgeschichte (Apg 1, 4-11) Geschilderte, ergänzt um einige bedeutsame Details, die letztlich die Bildkomposition bestimmen: Während im unteren Register die Gruppe der Apostel durch jeweils einen flankierenden Engel in zwei Teilgruppen unterteilt wird, und sich in einer vertikalen Linie mittig Maria im Orantengestus als Personifikation der betenden und die Wiederkunft Christi erwartenden Kirche darstellt, vollzieht sich die Aufnahme Jesu in den Himmel unter Begleitung der himmlischen Heerscharen. Dabei fällt der vieläugige Cherub auf, der mit den Zeichen der apokalyptischen Wesen (Löwe, Stier, Mensch und Adler) versehen ist und gemeinsam mit dem in der Mandorla eingeschriebenen Christus, der im Segensgestus auffährt, ikonographisch die sogenannte Majestas Domini wiedergibt – ein typisches Bild, das auf die Wiederkunft Christi verweist.
Weitere Engel rahmen diese Szene: So ein Paar mit verhüllten Händen, die Kronen als Zeichen des österlichen Sieges Christi tragen, sowie die nach oben die Mandorla abschließenden Engel, die Christus wie einen Schild tragen.
Was Papst Gregor d. Gr. (540-604) einst als Rechtfertigung des Gebrauchs der Bilder in der Kirche anführte, dass sie nämlich den Schriftunkundigen das seien, was jenen, die zu lesen vermögen, die Heilige Schrift sei, wird hier sinnfällig und deutend zugleich veranschaulicht: Christus, der Gekreuzigte und Auferstandene, ist der zur Rechten Gottes Erhöhte, er wird als der in vielen Zeichen Gegenwärtige geglaubt und als Wiederkehrender erhofft.
Eigentlich rückt das Himmelfahrtsfest nur einen besonderen Aspekt der Auferstehung Jesu in unseren Blick: Die Auferweckung Jesu ist nicht als Rückkehr in das normale menschliche Lebensgeschehen zu verstehen, sie ist als solche Erhöhung zu Gott, und somit die endgültig bleibende Qualität des von Gott durch den Tod hindurch erretteten Lebens. Deswegen werden die österlichen Berichte nicht müde, einerseits die Begegnung zwischen Auferstandenem und seinen Jüngern und den Frauen zu betonen (Mt 28,9f; Mk 16,9-14; Lk 24, 30-32; Lk 24, 36-42; Joh 20, 19-29): Es ist eine Wirklichkeit, die schon hier und jetzt mitgeteilt und vernehmbar ist. Andererseits betonen die Evangelisten die Unverfügbarkeit dieser Erfahrung: Der gekreuzigte und auferstandene Herr lässt sich, wie er im Dialog mit Maria aus Magdala sagt, nicht festhalten (Joh 20, 17f.)! So findet die irdische Geschichte, die alle Freundinnen und im Glauben Nachfolgenden mit Jesus zu Lebzeiten geteilt haben, in der Auferstehung des Gekreuzigten keineswegs eine lineare Fortsetzung, sondern offenbart sich als Sendung, die durch den verheißenen Geist in diese Welt zu allen Zeiten fortgesetzt wird bis Jesus wiederkommt. Der erhöhte, unverfügbare Herr bezeugt darin seine Gegenwart, dass er im Da-Sein seiner Kirche die Hoffnung immer auf eine andere, eine vollendete Zukunft offen hält – auch und gerade dann, wenn andere (politische) Kräfte, eine „vollendete Zukunft ohne Gott“ zu konstruieren suchen.
Es scheint ja fast schon eine Ironie der Natur und des Schicksals zu sein, wenn es in der von Hanns Eisler gedichteten Hymne der untergegangenen DDR hieß: „Denn es muss uns doch gelingen, dass die Sonne schön wie nie über Deutschland scheint.“
Von altersher und nicht erst seit Konstantin wird Christus als die Sonne, die keinen Abend kennt, besungen. Die Sonne hat den sozialistischen Machthabern mit der Spiegelung des Kreuzes in der Kugel des von ihnen errichteten Fernsehturms gleichsam ein deutbares Zeichen gesetzt. Wie beim Turmbau zu Babel sollte der Name des Sozialismus großgeschrieben werden und wurde unversehens zu einer Reflexionsfläche für das Zeichen desjenigen, der den Tod überwunden hat. Der erhöhte Herr, der zu allen Zeiten von Menschen Geglaubte und Angebetete, er ist unerwartet da! So wie er sich den vielfältigen Versuchen seiner habhaft zu werden, sei es durch Fromme oder Ungläubige, durch Gleichgültige oder Eiferer, entzieht, so gibt er sich doch denen in unerwarteten Zeichen seiner Gegenwart zu erkennen, die bereits zum Glauben an ihn gekommen sind, die sich vom Geist treiben und senden lassen, damit allen das Heil zuteil wird, durch Raum und Zeit – bis er wiederkommt.
Bilder:
Berliner Fernsehturm: Wikipedia, Tobi85, gemeinfrei
Christi Himmelfahrt im Rabbula-Evangeliar, 6. Jahrhundert, Wikipedia, gemeinfrei
21. Mai 2020 || ein Beitrag von Dr. Arno-Lutz Henkel, Theologe und Kunsthistoriker
Er leitet Erkundungen und Ferienakademien.