ein blühender Frühlingsbaum mit weißen Knospen steht auf einer grünen Wiese. Im Hintergrund sind grüne Bäume zu sehen

Fontanes Frühling als leiser Aufruf zum Leben

Nun ist er endlich kommen doch
In grünem Knospenschuh;
„Er kam, er kam ja immer noch“
Die Bäume nicken sich’s zu.

Sie konnten ihn all erwarten kaum,
Nun treiben sie Schuß auf Schuß;
Im Garten der alte Apfelbaum,
Er sträubt sich, aber er muß.

Wohl zögert auch das alte Herz
Und atmet noch nicht frei,
Es bangt und sorgt; „Es ist erst März,
Und März ist noch nicht Mai.“

O schüttle ab den schweren Traum
Und die lange Winterruh:
Es wagt es der alte Apfelbaum,
Herze, wag’s auch du.

Theodor Fontane ist fest im Kanon des 19. Jahrhunderts verankert – als Romancier, als Kriegsberichterstatter, als Briefschreiber, als Balladendichter. Wir alle kennen die Brück‘ am Tay oder Herrn von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland. Als feinsinniger Verseschmied, der lyrische Innerlichkeit beschwört, ist der Autor eher nicht bekannt. Auch das Gedicht Der Frühling, 1895 drei Jahre vor Fontanes Tod geschrieben, hat etwas Handfestes. Präsentiert Eduard Mörike – im vielleicht topischsten aller Frühlingsgedichte, in Er ist’s – den Frühling als Figuration, die ihr „blaues Band“„durch die Lüfte“ flattern lässt und enfaltet eine Szenerie, die zart und ahnungsvoll ist, in der Veilchen träumen und leise Harfentöne vernehmbar sind, hat Fontanes Frühling etwas fast enervierend Vorhersagbares („Er kam, er kam ja immer noch“). Beschrieben wird die Ankunft des Frühlings geradezu martialisch – die Bäume, die den Frühling „all erwarten kaum“, treiben „Schuß auf Schuß“. Der „alte Apfelbaum“, für den die anbrechende Jahreszeit eine Zumutung zu sein scheint, kann sich dem Geschehen nicht entziehen. Er „muß“ im Konzert der sprießenden Triebe seinen Part übernehmen.

Und alt ist in Fontanes Gedicht auch das (menschliche) „Herz“, das den anbrechenden Frühling erlebt. Es mag sich auf das Versprechen von Neubeginn, Auferweckung und Wiedergeburt nicht recht einlassen („Es bangt und sorgt“). Und so formuliert die letzte Strophe, die den Leser und die Leserin – den in die Jahre gekommenen Leser und die in die Jahre gekommene Leserin – direkt adressiert, eine Aufforderung, den Winter abzuschütteln und den Frühling zu begrüßen: „Es wagt es der alte Apfelbaum,/ Herze, wag’s auch du.“

Die Wiedergeburt, die der Frühling uns verspricht, vollzieht sich nicht von selbst: Es ist unsere Entscheidung, uns dem Wagnis „Frühling“ immer wieder anheim zu geben.

Claudia Liebrand