„Ova paschalia“ – über den Sinn österlicher Eier
Pacht- und Schenk-Eier, Antlass-Eier, Pysanka und Binsenmark-Eier
Hinterlistige Mitmenschen, die gerne ihre unübertreffliche Bauernschläue durch unbeantwortbare Fragen belegen, fragen gerne: Was war denn wohl zuerst da: die Henne oder das Ei? Ähnlich lässt sich fragen, was gab es denn zuerst: die Fastenzeit oder das Osterei? Diese Frage würde viele Menschen noch mehr verwirren als die erste Frage. Das Osterei hat doch etwas mit Ostern zu tun? In welcher Beziehung steht denn das Fasten zum Osterei?
Das klassische Osterei oder Paschei (von lat. pascha oder hebr. passah), das schon vor dem Ost-West-Schisma (1054) in der Ost- und in der West-Kirche am Ostermorgen als Symbol geschenkt wurde, war ein durch Erhitzen haltbar gemachtes und dann rotgefärbtes Ei. Es symbolisiert das Grab Jesu. Das Ei ist hart wie ein Stein, tot, leblos und kalt. Und doch beinhaltet es das Leben, das durch die Farbe des Blutes ausgedrückt wird. Die Botschaft des klassischen Ostereis lautet: Christus ist auf-erstanden und lebt! Er hat Tod und Grab überwunden. Da rotgefärbte Osterei symbolisiert die Macht Gottes über den Tod: Wer die Schale durchbricht wie Frauen am Grab, die den Stein vor der Öffnung wegrollen mussten, trifft auf das Leben. Die Frauen haben als erste die Erfahrung gemacht, Christus ist auferstanden. Wer die Eierschalen aufbricht, trifft auf den köstlichen Inhalt des Eies.
Aber es bleibt die Frage: Warum ist ausgerechnet das Ei Symbol des Grabes Christi? Das hat tatsächlich mit dem Fasten zu tun. Die – gleichfalls aus symbolischen Gründen – vierzigtägige Fastenzeit, forderte den Christen auf, „secundam spiritum“ zu leben, also geistig. Wer nicht mehr „secundam carnem“, gemäß dem Fleische lebt, sondern „secundam spiritum“, der verzichtet auch äußerlich auf Fleisch und Fett. Traditionell aß man in der Fastenzeit kein Fleisch und kein Fett, im Mittelalter also auch keine Laktizinien, also alles, was auf Milch basiert wie Butter, Rahm oder Käse.
Aber das Ei? Das Ei galt unseren Ahnen als „flüssiges Fleisch“. Deshalb aß man in der Fastenzeit auch keine Eier. Dadurch entstand ein Problem: Das Frühjahr ist die „legefreudige“ Zeit der Hühner, Eieranfall und Eierverzehr stehen in keinem günstigen Verhältnis – und das war für eine Zeit, die keinen Kühlschrank kannte, ein echtes Problem. Eier konnte man nur für kurze Zeit konservieren – durch Einlegen oder durch Erhitzen. Unsere Vorfahren lösten ihr Problem geschickt: Wenn man den Eieranfall bei Hühnern nicht regulieren konnte, dann aber die Zahl der Hühner und damit schließlich auch die Zahl der Eier. Vor der Fastenzeit also, wenn man noch fleischlich leben durfte, mussten deshalb etliche Hühner ihr Leben lassen und kamen so zu einem Namen: die Fastnachtshühner. Gelegentlich sieht man sie im Süddeutschen noch an Fastnachtswagen dargestellt, wenn sie am langen Halse aufgehängt vorgezeigt werden.
Nicht nur die Fastnachtshühner stehen in Beziehung zu den Eiern, die in der Fastenzeit anfallen. Die Fastenzeit-Eier gerieren auch nicht bloß zu Pascheiern, also Schenkeiern, sondern auch zu Pachteiern. Die Pachteier wurden eingelegt als Soleier oder frischgehalten in Erde unverziert übergeben. Die Schenkeier wurden, nachdem sie haltbar gemacht waren, mit unterschiedlichsten Techniken verziert, wobei sich einzelne Regionen durch spezifische Kunstfertigkeiten auszeichneten. Vielleicht hat sich in dem schlicht roten Osterei, das in der griechisch-orthodoxen Kirche nach dem Ostergottesdienst überreicht wird, eine Urform des österlichen Schenk-Eies erhalten, das heute nicht mehr wegen seines Symbolgehaltes, sondern nur wegen seiner Form in allen denkbaren Materialien hergestellt und verzehrt wird. Bemalte Eier haben die Chinesen schon vor 5.000 Jahren zum Frühlingsanfang verschenkt. Es war für sie ein Symbol der Fruchtbarkeit, ebenso wie für die Ägypter und die Germanen.
Ein Eierkorb, gefüllt mit Ostereiern in verschiedenster Technik hergestellt.
Übersehen wird gerne, dass das Ei auch im Judentum eine symbolische Rolle spielt. Brezel und Eier stehen sinnbildlich für den zyklischen und fortdauernden Charakter des Lebens. Eben deshalb werden sie bei jüdischen Trauermahlzeiten serviert. Zum Seder zu Passah wird ein Teller mit symbolischen Speisen auf den Tisch gestellt: Kräuter, Gemüse, Nüsse, Äpfel, Geflügelteile und ein hartgekochtes Ei mit Schale. Das Ei ist ein Symbol für das vorschriftsmäßige Festopfer der Zeit, zu der in Jerusalem der Tempel stand. Da Ei symbolisiert verhindertes Leben und ist damit Zeichen der Trauer. Zugleich ist es Symbol des Lebens und der Hoffnung, das lehrt, die Hoffnung nicht aufzugeben, selbst wenn die Realität der Hoffnung zu widersprechen scheint. Die runde Form drückt die Hoffnung auf Wiederkehr ins Leben aus, wünscht, dass das neue Jahr „vollständig“ sei, nicht von einer Tragödie unterbrochen.
Das Schenken von Eiern zu Ostern durch Christen lässt sich schon in den ersten christlichen Jahrhunderten in Armenien nachweisen. Hier war das Osterei kein Frühlingsopfer, diente nicht als Grund- und Bodenzins und war auch nicht das Ergebnis eines Eierverbotes in der vorösterlichen Fastenzeit. Die christlichen Ostereier symbolisieren das neue, übernatürliche Leben. In Österreich war das rote Osterei bis zu Beginn des Ersten Weltkrieges die Regel. In der Westkirche setzte das Bemalen von Ostereiern im 12./13. Jahrhundert ein. Neben den roten Eiern traten die Farben grün, blau, gelb, schwarz auf, aber auch silber und gold. Die Eier waren bald nicht nur einfarbig, sondern wurden verziert, besprenkelt, ausgekratzt, beschrieben, beklebt, bemalt, ausgeblasen und gefüllt. Einzelne Landschaften haben unterschiedlichen Ostereierschmuck hervorgebracht.
In Russland taucht man gekochte Eier in flüssigen Bienenwachs und legt sie dann in Farbbäder. Andere bemalen die Eier mit flüssigem Wachs und färben sie dann. Mehrere Farbbäder hintereinander bringen Schattierungen und Muster hervor. „Pysanka“, die Geschriebene“, wird das mit grafischen Mustern in Batiktechnik kunstvoll verzierte Osterei in der Ukraine genannt. Die Pysanky werden durch Ornamente und Figuren mit – früher magischer jetzt – christlicher Bedeutung geschmückt. In Österreich ist es Brauch, gefärbte Eier mit einer in Salzsäure getauchten Stahlfeder zu ätzen. Auf diese Weise lässt sich auf den Eiern zeichnen. Berühmt sind die sorbischen Ostereier, die durch Kratz- und Ätztechniken oder durch Batik entstehen. In Mittel- und Ostdeutschland werden Binsenmark-Eier hergestellt, indem an fadendicke Mark der Binsen in Kringeln und Spiralen auf ausgeblasene Eier klebt. In Mähren stellt man Stroh-Eier her. Durch Einweichen von Strohhalmen, die man aufschlitzt und zu Bändern bügelt, gewinnt man das Material, mit dem man die Eier beklebt. Ausgeblasene oder gekochte Eier werden mit Rechtecken und anderen Mustern beklebt.
Auch in moderner Form lassen sich Ostereier gestalten.
Neue Zeiten bringen nicht nur neue Ideen, etwa die, dass man ausgeblasene Eier auch mit einem elektrischen Zahnbohrer perforieren und anschließend bemalen kann, sondern auch die alte Idee, dass man Eier nicht nur mit käuflicher Chemie, sondern mit natürlichen Materialen färben kann. Im 17./18. Jahrhundert kamen „reimgefüllte Eier“ in Mode. In ein ausgeblasenes Ei wurde als Längsachse ein Holzstäbchen durchgesteckt, um das ein beschriebener Papierstreifen gewickelt war, den man herausziehen konnte. Auf ihm steht ein Osterglückwunsch oder ein Sinnspruch.
„Sprechende Ostereier“ nennt man Schenkeier, in denen mittig ein Holzstäbchen angebracht ist, um das ein Schriftband gewickelt ist, das sich herausziehen lässt. Bei diesem Ei heißt es: „Ich schenke Dir ein Osterei, die Osterfreude ewig sei“. Vor Jahrzehnten war solch ein Ei ein passendes Ostergeschenk des Paten an sein Patenkind.
Hatte man im 18. Jahrhundert noch Ostereierbildchen als Freundschaftssymbole untereinander ausgetauscht – kleine Klappbildchen, die, geöffnet, den Auferstandenen oder das Lamm Gottes in einem zerbrochenen Ei zeigten – entwickelte sich das Osterei in Frankreich auch zur amourösen Kunst: Ludwig XV. (1715 – 1774) z. B. beglückte seine Mätresse Madame Dubarry mit einem Osterei, das sich öffnen ließ und anzüglich einen Cupido zeigte. Zar Alexander III. (1881 – 1894) schließlich steigerte eine in adeligen Kreisen Russlands übliche Praxis. Hatte man sich dort untereinander kostbare aus Edelsteinen und Porzellan hergestellte Eier, die mit Rubinen und Diamanten besetzt waren, verschenkt, engagierte er einen Goldschmied, der variantenreiche, höchst bestaunte Spielereien aus kostbarsten Materialien herstellte.
Ein Fabergé-Ei
Der zum Hofjuwelier avancierte Carl Fabergé zauberte en miniature den Landsitz der Romanows oder das Reiterstandbild Peter des Großen in ein Ei. Die „imperialen Ostereier“, wie man die Fabergé-Eier bald nannte, wurden so berühmt, dass sie 1900 auf der Weltausstellung in Paris gezeigt wurden. Die Hohenzollern ließen sich durch die Fabergé-Eier zu Porzellaneiern anregen, die – versehen mit Porträts Friedrich II. und des Berliner Schlosses – gefüllt mit Weihwasser oder Schnaps, verschlossen durch ein Krönchen, verschenkt wurden. Der Sinn dieser Geschenke war nicht mehr der österliche Auferstehungsglaube. Pierre de Ronsard formuliert ihn in einem seiner Sonetten: „Je vous donne, en donnant un oeuf, tout l’univers“ – Ich gebe Ihnen, in-dem ich Ihnen ein Ei schenke, das ganze Universum!
In der katholischen Kirche kam und kommt mancherorts noch immer das Osterei nicht aus dem Hühnernest auf den Frühstückstisch, sondern nimmt seinen Weg durch die Kirche. In einem Körbchen („Weihekorb“) werden die geschmückten Ostereier und andere Speisen am Ostersonntag zum Hochamt in die Kirche getragen, wo nach dem Hochamt die Speisenweihe stattfindet. Die vom Priester gesegneten (= geweihten) Speisen, außer Eiern ein Osterfladen, Osterbutter, ein Stück Schinken oder Speck, Wurst, Meerrettich und Salz, trägt man nachdem österlichen Segen nach Hause. Hier wird der Weihekorbinhalt zum Frühstück serviert, denn es besteht der alte (Aber-) Glaube: Geweihtes muss man nüchtern essen, damit der Segen wirkt. Anschaulich wirkt hier die uralte Vorschrift vom nüchternen Empfang der Eucharistie nach. Von schlitzohrigen Kindern wird erzählt, dass sie vor der Speisenweihe die Ostereier an beiden Enden anschlagen („anditschen“), „damit die Weihe besser hineingeht“. Im Mittelalter vergrub manch einer ein gesegnetes Ei – oder wenigstens seine Schalen – auf dem Acker, um auch diesen an dem Segen teilnehmen zu lassen, der sich wiederum bei der kommenden Ernte für den Bauern rentierte.
Dieses Gänseei wurde ausgeblasen und dann mit einem elektrischen Bohrer perforiert. Dieses kleine Kunstwerk glänzt besonders, wenn es von der aufgehenden Sonne hinterleuchtet wird.
Unterden Ostereiern galt eines als etwas besonders: das Antlassei. Gründonnerstag hieß auch Antlasstag, ein Wort, das von antlâz, Ablass, Nachlass von Sündenstrafe, herkommt. Gründonnerstag wurden nämlich früher die öffentlichen Büßer, also jene, die öffentlich zu einer Kirchenstrafe verurteilt worden waren, wieder in die kirchliche Gemeinschaft aufgenommen. Die an Gründonnerstag gelegten Eier hießen entsprechend Antlasseier. Sie galten als besonders heilkräftig und wurden für die Eier- und Speisenweihe aufgehoben. Als besonders wirkmächtig galten auch die Kräuter, die an Gründonnerstag gesammelt wurden. Zusammen mit Blumen wurden sie zum Ant-lasskranz geflochten. Diesen Kranz hub man oft das ganze Jahr über auf und steck-te ihn – zusammen mit einem Antlass-Ei – in den Erntekranz.
Die Eier- oder Speisenweihe zu Ostern ist uralt. Im 12. Jahrhundert führte die Kirche die feierliche Benedictio ovorum ein. Zur Zeit des Papstes Paul V. (1605 – 1621) betete der Priester in der Ostermesse: „Segne, Herr, wir bitten dich, diese Eier, die du geschaffen hast, auf dass sie eine bekömmliche Nahrung für deine gläubigen Diener werden, die sie in Dankbarkeit und in Erinnerung an die Auferstehung des Herrn zu sich nehmen.“
Bildnachweis:
Titelbild: Christiane Raabe, in: Pfarrbriefservice.de
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4. April 2021 || ein Beitrag von Prof. Dr. Manfred Becker-Huberti
Der Theologe Manfred Becker-Huberti war von 1991 bis 2006 Pressesprecher des Erzbistums Köln. Seit 2007 ist er Honorarprofessor an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar. Er forscht zu religiösem Brauchtum, Heiligen und der Heiligenverehrung speziell im Rheinland.