Moderne Skulpturen im Kölner Park!
Heute empfiehlt Ihnen der Kunsthistoriker Dr. Till Busse einen sommerlichen Besuch im Kölner Skulpturenpark. Daher hat er für Sie Interessantes zu den ausstellenden deutschen und internationalen Künstlerinnen und Künstlern und den Exponaten ebenso zusammengestellt wie er den Kölner Skulpturenpark in der „Gegenwarts-KunstSzene“ verortet: als „Ort für die Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Skulptur“.
Eine kleine Schnecke
Saß in einer Hecke
Kriegte einen Schreck
Da war’n die Fühler weg …
(Nicht von Goethe)
Die kleinste und unscheinbarste Skulptur des Parks stellt tatsächlich eine Schnecke in Originalgröße dar und hat sich einen auffällig unauffälligen Platz auf einer weiteren Skulptur, einem von Mandla Reuter gepflanzten Baum erkrochen …
Gerade in den vergangenen zehn Jahren haben sich Skulpturenprojekte im Park mit der Schändung der Umwelt durch den Menschen, mit dem problematischen Spannungsfeld zwischen Natur und Kultur auseinandergesetzt. Die kleine Bronze ist ein Abbild eines auf Hawaii entdeckten männlichen Schneckchens, das von den Biologen „Einsamer Georg“ – „Lonely George“ getauft wurde und der letzte männliche Vertreter seiner Art war. Jahrelang suchten die Wissenschaftler nach einem Ehegespons, bis der einsame Georg gattinnenlos verstarb. Man blieb also erfolglos, sodass wir annehmen müssen, dass die Art nun verschwunden ist. Nur ein kleines Beispiel für das epische Massensterben der letzten Jahrzehnte. Laut NaBu sterben täglich 150 Tierarten aus – wir werden dann wohl am Ende der Liste erscheinen, wenn der Ast, an dem wir sägen, bricht.
Lonely George ist eine Arbeit von Ayse Erkmen, einer türkischstämmigen Künstlerin, die auch im Museum Ludwig in Köln durch eine Videoinstallation vertreten ist und eher großformatig arbeitet, aber der Park am Rheinufer hat eben seine eigene, auch durch die Lage in der Stadt bedingte Dynamik, sodass hier diese sehr kleine Miniatur entstand.
Der Kölner Skulpturenpark wurde Ende der 1990er Jahre in Köln durch das Ehepaar Stoffel und seinen Freundeskreis aus Sammlern, Künstlern und Galeristen begründet. Ein Grund mag gewesen sein, dass nach einer Zeit üppiger Stiftungen im öffentlichen Raum, Kunstwerke allmählich, aber zunehmend verwahrlosten und sich derart geschmückte Plätze in Köln als immer unwirtlicher darboten. In den Nachkriegsjahrzehnten waren aber auch immer mehr Skulpturengärten entstanden, die den Kontakt der zeitgenössischen Werke zur Natur ermöglichen. Prominente (auch ältere) Beispiele sind Louisiana in Humlebaek, Hoge Veluwe in Otterloo oder der wunderbare Park in Hombroich, vor der Kölner Haustür. Seit dem Tod des Ehepaars Stoffels wird der Park heute durch eine Stiftung verwaltet, die nach wie vor mit der Kölner Kunstwelt vernetzt ist.
In Köln gab es seit der Bundesgartenschau 1957 den großen Rheinpark mit einem spätexpressionistischen Programm (heutzutage eher klassisch anmutender Bronzeplastik), der 1970-71 noch einmal um kinetische Kunst erweitert wurde. Es gab nichts allerdings, das den Kontakt zur bislang immer noch dynamischen und ideenreichen Kölner Avantgarde hielt. So entstand der Gedanke eines im Zweijahresrhythmus kuratierten Parks, der künstlerisch auf dem Qui Vive und gleichzeitig lokal vernetzt war. Bis heute leistet der Park diesen Spagat. Sehr oft sind es Bildhauer, die an den großen internationalen Schauen wie der Documenta und den Biennalen teilgenommen haben. Gleichzeitig sind die Künstler oft noch relativ jung – und meist gibt es bei der Auswahl auch den einen oder anderen Kölner im weitesten Sinne. Jede der Schauen wird durch die Persönlichkeit eines Kurators geprägt.
Die Grundstruktur des Parks ergibt sich durch den alten Flakbunker mit Nebenbau, die eine Zeitlang Jugendherberge, dann Domizil der Familie Stoffel, aber auch Künstleratelier war, eine sanft hügelige Parkanlage im englischen Stil, aber auch vier Hauptverkehrsstraßen, die den Park einkreisen und als Geräuschkulisse nachdrücklich wahrnehmbar sind. Eine grundlegende Gestaltung wurde auch durch den Kurator Friedrich Meschede vorgenommen, der als Gegenpol zum Bunker einen weißen unbedachten Pavillon von Sou Fujimoto errichten ließ und so dem Park ein Gleichgewicht verlieh. Von jeder Ausstellung bleiben Kunstwerke übrig, welche die Stiftung kauft, sodass die kleine Sammlung stetig wächst. Eine Art Freilichtdepot befindet sich hinter dem Gebäude der Stiftung, versteckt an der Elsa-Brändström-Straße.
Der Kurator Thomas D. Trummer verlieh dem Projekt eine eher politische Note mit Kunstwerken von Tom Burr und Lois Weinsperger, die im Flüchtlingsdrama des Jahres 2015 die Frage nach der Legitimität von Grenzziehungen stellten. Chus Martinez wiederum stellte 2017 viele lateinamerikanische Künstler aus, die sich mit der waldartigen Anlage durch erzählerische Arbeiten von leicht märchenhaftem Charakter auseinandersetzten.
Der jetzige Kurator Tobias Berger (*1969) ist für das Tai Kwun Center of Heritage and Arts in Hong Kong tätig. Er war künstlerischer Leiter der Triennale in Vilnius, arbeitete in Auckland, Hong Kong und Seoul, kommt aber von der Ruhr-Universität in Bochum und einer niederländischen Institution. So erklärt sich, dass asiatische und neuseeländische Künstler auf europäische Kunst treffen. Berger hat auch hier wieder Kunstwerke ausgewählt, die sich mit der Natur oder mit politischen Problemen auseinandersetzen; er denkt aber auch über grundlegende ästhetische Fragen plastischer Gestaltung nach.
Die größte Installation des Parks trägt den Namen Rübezahl. Mary Bauermeister hat über 130 Baumstämme zu kleinen Thronen oder Sesseln gesägt, die sich in einem Bereich der Arbeit kreisartig ballen, so dass eine Art Forum oder Gesprächssituation entsteht. In gewissem Sinn ähnelt Bauermeisters Arbeit dem bekannten Sitzkreis des Künstlers und Beuys-Schülers Anatol in Hombroich, der Kunst immer auch als Form der gesellschaftlichen Interaktion versteht. Alles, was zwischenmenschlichen Beziehungen entspringt, ist Kunst. Diese immer Beuys zugeschriebenen Gedanken tauchen schon vorher Ende der 1950er und Anfang der 1960er Jahre bei Mary Bauermeister und Karl-Heinz Stockhausen auf. Bauermeister war eine geniale Matchmakerin. Sie betriebt einen Kunstsalon in der Kölner Altstadt, wo frühe Happenings stattfanden und wo sie Avantgarde-Künstler der damaligen Zeit miteinander bekannt machte. Die „Fluxus-Oma“ (O-Ton Mary Bauermeister) arbeitete später äußerst erfolgreich in New York und kehrte dann in die Natur des bergischen Landes zurück, wo sie sich mit philosophisch-religiösen Fragen auseinandersetzte. Rübezahl basiert auf einem Naturgedicht der Künstlerin und war im Kern schon in ihrem eigenen Garten angelegt, wächst hier allerdings ins fast Maßlose. Die Installation illustriert so etwas wie ein Zusammentreffen im Wald: Da gibt es ein Geweih an einem massiven Stamm, das auf einen Hirsch (-Gott?) verweist und etwas abseits stehen mit Efeu überwachsene gehörnte Stämme, die an Faune und Bacchanten, an frühe Naturkulte denken lassen – Bauermeister greift hier auf die gemeinsamen Ursprünge von Ritus, menschlichem Beisammensein und Kunst zurück. Alles dies wurzelt in unserem Herkommen aus der Natur.
In der Mitte des Parks klafft ein kreisrundes Loch, Rest eines begehbaren Environments von Dirk Skrebber, des sogenannten Reaktors. Dieses Loch ist für jeden neuen Künstler im Park eine besondere Herausforderung. John Bock, ein Berliner Künstler mit Wurzeln in Schleswig-Holstein gehört zu einer Generation von untereinander sehr verschiedenen Künstlern wie Christoph Schlingensief, Jonathan Meese, Christoph Büchel, die ein besonderes Interesse am theatralischen Auftritt haben. Letztendlich kann man ihn ein wenig als Erben der Dadaisten, der Fluxus-Künstler, von Bauermeister und Beuys verstehen, die mit Happenings und Aktionen immer auch Politik machten. Nicht zufällig hat Bock auch oft mit dem Theater, etwa mit Lars Eidinger zusammengearbeitet. Hier in Köln hat Bock eine vier Meter hohe Vitrine in der dunklen, übrigens auch begehbaren Öffnung platziert. Darin sichtbar ein winziger Libellenflügel, begleitet durch Klänge, die einen Soundtrack, eine Geschichte suggerieren. Der Hang zum Event begründet sich in einer Aussage Bocks: „Ich glaube nicht an eine Oberfläche und ich glaube auch nicht unbedingt an ein Objekt, das in sich ruht und eine Selbstbestätigung erfährt durch das Betrachten, sondern ich glaube an den Mittelpunkt … zwischen Objekt und Rezipient. Deswegen mache ich Aktionen …“ Auch hier wird, wie bei Ayse Erkmen, etwas Winziges, ein irisierender, zart strukturierter, halb transparenter Flügel zum Kunstwerk erhoben, das hier aber als Karkasse, als Überrest einer vergangenen Geschichte präsentiert wird.
Der neuseeländische Künstler Dane Mitchell hat an den beiden Parkeingängen zwei künstliche Bäume ausgestellt, die im vergangenen Jahr Teil des neuseeländischen Pavillons auf der Biennale gezeigt wurden. Eigentlich handelt es sich um ein Ready Made, um ein fertig vorgefundenes Produkt, das der Künstler in einen anderen Zusammenhang verschiebt. „Post Hoc“, so der Titel, besteht aus diesen Metallbäumen, die man in China verwendet, um Abhörantennen zu verbergen, offensichtlich um das parasitäre Eindringen des Staates in das Private zu beschönigen und zu harmonisieren. Aus den Baumstämmen erschallen Stimmen, die eine Endlosaufzählung vergangener, verlorener, vernichteter, ausgestorbener Gegenstände, Tierarten, Pflanzenarten, Staaten, Kulturformen wiedergeben. Die durch einen Algorithmus bestimme Litanei ist so lang, dass sie sich während des halben Jahres auf der Biennale nicht wiederholte. Auch Dane Mitchell liefert hier einen Abgesang auf das Vergangene, auf verlorene Natur, aber auch auf verlorene Freiheit. Politik und Naturvernichtung scheinen hier ursächlich und unsäglich miteinander verbunden.
Die Werke von Leelee Chan, Katja Novitskova, und Guan Xiao befassen sich eher mit grundsätzlichen, ästhetischen Fragen des plastischen Gestaltens. So wirken zwei Metallskulpturen von Novitskova aus einem gewissen Abstand zunächst als dreidimensionale Kugeln, entpuppen sich aber als beklebte Scheiben, auf denen Schlangenmotive erscheinen. Hier scheint es ein wenig als entschlüpften hier Schlangen einem Ei. Trevor Yeung wiederum hat eine etwa 220 cm hohe Laterne im Stil der Belle Époque vor 120 Jahren dazu verwendet, eine kleine Ulme zu stützen und tagsüber wie nachts rosa zu beleuchten. Hier konkurrieren ähnlich wie bei Dane Mitchell Natur und Ready Made (also Gartenkitsch aus dem Baumarkt) miteinander. Wenn alles gut geht, wird die Ulme die Laterne schnell überwuchern und mit ihren Wurzeln stürzen. Die Idee ist eigentlich nicht neu. Am gegenüberliegenden Ende des Parks steht eine massive Arbeit von Mauro Staccioli, der ein überdimensionales Dreieck in einen großen Baum hineinstellte; dort diente der Baum als vermeintliche Stütze.
Auch hier also der Gegensatz von Artefakt und Gewachsenem, von großer natürlicher Komplexität und unseren menschlich gestrickten, eher unterkomplexen Schöpfungen, unterkomplex, da wir zum Abstrahieren und Vereinfachen neigen. Viele der Künstler – Bock, Bauermeister, Mitchell – scheinen im melancholischen Abschiedsmodus, was Natur, Werte und zwischenmenschlichen Umgang betrifft.
Unwillkürlich hat man die letzten Verse Lynkeus des Türmers aus Faust II im Kopf, wenn man durch die neue Ausstellung im Park schlendert. Der Türmer, Zeuge von Fausts Aktivitäten als Unternehmer, Dämmebauer und Tatmensch verabschiedet sich von einer Welt, die schon verschwunden ist.
Ihr glücklichen Augen
Was je Ihr gesehen
Es sei wie es wolle
Es war doch so schön!
(Doch von Goethe)
- Elsa-Brändström-Straße 9 Eingang: Riehler Straße, Konrad-Adenauer-Ufer, 50668 Köln
- Täglich von 10.30 Uhr bis 19.00 Uhr geöffnet
- Eintritt frei
Bilder im Text: Dr. Till Busse
21. Juli 2020 || ein Beitrag des Kunsthistorikers Dr. Till Busse. Mit ihm sind die Ferienakademie nach Valencia (28.10-2.11.2020) sowie die Erkundung „Süße Südstadt“ in Köln am 20.8.2020 geplant.