Im wunderschönen Monat Mai
Heinrich Heine und die Hoffnung
Im wunderschönen Monat Mai,
Als alle Knospen sprangen,
Da ist in meinem Herzen
Die Liebe aufgegangen.
Im wunderschönen Monat Mai,
Als alle Vögel sangen,
Da hab ich ihr gestanden
Mein Sehnen und Verlangen.
Immer schon heißt für uns Sehnsucht nach dem Frühling mehr als Hoffnung auf das Erwachen der Natur. Immer schon keimt in dem Warten auf die neue Farbigkeit und Tonalität der Welt ein Glücksgefühl: Wir hoffen auf neue Weite, auf neue Lust, auf neues Leben. Dass die Literatur diesen Funken Utopie zu entzünden vermag, ist angesichts der heutigen Weltlage von besonderer Bedeutung. Mich faszinieren die Verse, die der junge Heine vor 200 Jahren geschrieben hat. Was macht den Zauber dieses kleinen, schlichten Gedichtes aus? Warum ist es so herzzerreißend schön?
So einfach die Verse uns scheinen, so kunstvoll sind sie gebaut. Die euphorische Eingangszeile mit der Alliteration Monat Mai wird in der zweiten Strophe gleich noch einmal genauso wiederholt und lässt uns geradezu im Glück schweben. Wie viele andere Dichter parallelisiert Heine die aufblühende Natur und die aufblühende Liebe. Ja, die Liebe geht im Herzen des Dichters auf wie ein Naturereignis. Das Einzige, was der Dichter noch tut, ist, sie parallel zum Singen der Vögel zu gestehen. Das alles klingt erhaben schön und hat doch eine tiefe Melancholie. Anders als in anderen Frühlingsliedern wird alles in der Vergangenheitsform erzählt. Der wunderschöne Monat Mai ist kein Hier und Jetzt mehr: Die Knospen „sprangen“, die Vögel „sangen“, der Mai ist vergangen. Von einer Reaktion auf das Geständnis des Dichters ist nicht die Rede. Auch nicht die Rede ist von Heines eigener Biographie, nicht von dem Schmerz, dass seine angebetete Cousine Amalie in Hamburg seine große erste Liebe nicht erwidert hat, vielmehr einen anderen heiratete, nicht den dichtenden Cousin, sondern einen Gutsbesitzer.
Aber genau das, was verschwiegen wird, dürfen wir mit neuem eigenem Leben füllen. Der Schwebezustand und der offene Schluss regen uns an und darin liegt das utopische Moment dieses „wunderschönen“ Gedichtes: Wir dürfen hoffen.
Ein Beitrag von Dr. Karin Füllner, Literaturwissenschaftlerin, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, ehrenamtliche Geschäftsführerin der Heinrich-Heine-Gesellschaft