Gerechtigkeit. Macht. Frieden. 1000 Jahre Heribert von Köln.

Am 16. März 2021 jährt sich der Todestag des Heiligen Heribert zum 1000. Mal. Unter dem Leitwort „Gerechtigkeit. Macht. Frieden.“ feiern die katholische Kirche in Köln und die Griechisch-Orthodoxe Gemeinde aus diesem Anlass ein Gedenk- und Jubiläumsjahr mit zahlreichen Veranstaltungen. Warum es sich lohnt, den Heiligen Heribert als zugleich machtbewussten und sozial-caritativ wirkenden Kölner Erzbischof neu zu entdecken, erklärt der Historiker und Archivar Dr. Joachim Oepen im Gespräch mit Akademiereferent Matthias Lehnert.

Am heutigen Tag gedenkt die Kirche des heiligen Heriberts, der vor 1000 Jahren, am 16. März 1021, starb. Die katholische Kirche in Köln und die Griechisch-Orthodoxe Gemeinde laden sogar gemeinsam zu einem Gedenk- und Jubiläumsjahr ein. Warum sollten wir uns noch nach einem Jahrtausend an diesen Mann erinnern?

Da gibt es mehrere Gründe. Zum einen hat Heribert eine Bedeutung für das Erzbistum Köln und auch die Stadt Köln über seine Lebenszeit hinaus. Das hängt ganz wesentlich mit der Gründung des Klosters Deutz zusammen – einem Kirchenbau, der heute als steinerner Zeuge der Zeit noch sichtbar ist. Mit diesem Bau wurde gewissermaßen der Startschuss für die Entwicklung dessen gegeben, was wir heute als rechtsrheinisches Köln bezeichnen.

Zum anderen ist der heilige Heribert auch über die Distanz von tausend Jahren hinweg eine interessante historische Persönlichkeit. Das hängt damit zusammen, dass Heribert einer der führenden Köpfe an der Spitze des Reiches war: Er war nicht nur Kanzler und Berater des Kaisers Otto III., sondern sogar Freund des Kaisers. Otto III. hatte die Idee einer politischen Ordnungsvorstellung, die schon die Menschen seiner Zeit faszinierte. Er wollte das gesamte römische Reich unter christlichen Vorzeichen erneuern. Man kann das als weltfremde oder hochfliegende Phantastereien abtun, aber darin auch Verbindungen zu heutigen Vorstellungen herleiten, wenn etwa Otto III. auch daran dachte, die noch sehr jungen christlichen Reiche der Polen und Ungarn mit einzubeziehen. Da scheint auch ein europäischer Gedanke durch.

Zum Dritten läßt sich bei Heribert trotz aller Unvollständigkeit der historischen Quellen, die wir aus dieser Zeit haben, schon sehr klar erkennen, dass Heribert als Erzbischof von Köln nicht nur eine der wichtigsten Kirchen des Reiches geleitet hat, sondern dass er hier auch ein sozial-caritatives Profil entwickelt und das Ganze mit einem sehr effizienten und nachhaltigen Management verbunden hat, wie wir das heute bezeichnen würden. Das sind alles Dinge, die wir ja heute schätzen.

Also ein vielseitiger, auch vielseitig begabter Mann, ein Mann der Kirche, der zugleich als politischer Ratgeber sehr geschätzt wurde. Aber eines war er nicht: Er war kein „Kölsche Jong“, sondern stammte ursprünglich aus Worms.

Genau, geboren ist er wohl in der Gegend von Worms. Auf jeden Fall gehörte er einer der führenden Familien des Reiches an. Er ist an der Wormser Domschule ausgebildet worden, und amtierte dann als Propst von Worms. Sehr schnell gehörte er der sogenannten Hofkapelle an – das sind die Kleriker im Umfeld des Königs bzw. Kaisers, also die hervorragend ausgebildete Führungselite des Reiches. Heribert hat eine sehr gründliche Ausbildung erhalten und an der Seite des Kaisers das gewonnen, was wir heute als Management- oder Verwaltungserfahrung bezeichnen. Dieses Wissen konnte er dann später als Erzbischof sehr effektiv einsetzen.

Das Leitwort des Gedenkjahres lautet „Gerechtigkeit. Macht. Frieden“. Das lässt aufhorchen, weil wir oft Macht im Gegensatz zu Frieden und Gerechtigkeit sehen. Inwiefern kann der heilige Heribert auch in dieser Hinsicht als Vorbild dienen?

Das Motto ist in der Abfolge der drei Substantive ganz bewusst gewählt worden. Aber die drei Worte lassen sich auch als Satz lesen: Gerechtigkeit macht Frieden, erzeugt Frieden. Für uns heutige Menschen mag sich das widersprüchlich und fremd anhören. Man muss sich aber im Klaren sein, dass alle hochrangigen geistlichen Amtsinhaber, also nicht nur die Kölner Erzbischöfe des Mittelalters, sondern auch Bischöfe und Äbte anderswo, ihr Amt recht ähnlich verstanden haben. Dabei spielt eine Rolle, dass die Grundlagen der mittelalterlichen Gesellschaft vollkommen anders gelagert waren als sie das heute sind. Es gab keinen verfassten Staat mit Strukturen im heutigen Sinne. Kirche und Welt waren für Menschen des Mittelalters vollkommen selbstverständlich miteinander verwoben und haben sich gegenseitig durchdrungen. So wie sich Könige auch als sakrale Herrscher verstanden, sah man umgekehrt in den weltlichen Betätigungen der Bischöfe im Dienst von Kaiser und Reich keinen Widerspruch zum geistlichen Amt, sondern sah diese als Teil des Bischofsamtes an. Hier zeigt sich, dass das Bischofsamt und das, was wir als weltliche Macht bezeichnen, einen gemeinsamen Zweck hatten, nämlich die Sicherung einer Lebensordnung im Interesse der Menschen. In diesem Sinne erwartete man geradezu etwa von den Kölner Erzbischöfen, dass sie sich entsprechend betätigten. Heribert steht insofern in einer ganzen Reihe von geistlichen Amtsinhabern – in Köln, aber auch anderswo –, die ihr Amt in diesem Bewusstsein ausgeübt haben. Zugleich ragt er aus dieser Reihe auch heraus, weil er es in besonderer Weise verstand, dieses Anforderungsprofil umzusetzen. Das sieht man nicht zuletzt an der Kirchengründung in Deutz, die ja auch eine infrastrukturelle Maßnahme ist und zugleich das sozial-caritative Profil des Heiligen Heribert deutlich macht.

Heribert war also durchaus ein Mensch, der Macht im Sinne von Einfluss- und Gestaltungsmöglichkeiten genutzt hat. Interessant finde ich aber auch, wie er mit dem Verlust von Macht umgegangen ist. Wir erleben ja in diesen Monaten wie einige Amtszeiten zu Ende gehen. Donald Trump hat sich schwer getan, das Weiße Haus zu verlassen. Von Angela Merkel wird erwartet, dass sie bei ihrem Abschied nicht einen solchen Scherbenhaufen hinterlassen wird. Und auch der Bundestrainer Jogi Löw wird bald seinen Platz auf der Bank räumen. Der heilige Heribert wurde vom Kaiser degradiert. Wie ist es zu diesem Machtverlust gekommen und wie ist Heribert damit umgegangen?

Der Anlass war die Nachfolgeregelung des deutschen Kaisers Otto III. Als Otto 1002 in Italien stirbt, ist Heribert in seiner unmittelbaren Nähe und macht sich sogleich daran, die Nachfolge in seinem Sinne zu beeinflussen. So schickt er ein ganz wichtiges Herrschaftssymbol, die heilige Lanze, voraus ins Reich nördlich der Alpen.

Dazu muss man wissen, dass die Nachfolge ungeklärt war, da Otto keinen Sohn hatte. Es gibt nun mehrere Anwärter auf den Thron. Einer von ihnen ist der bayerische Herzog Heinrich, der – letztlich erfolgreich – versucht, an die Macht zu kommen. Dem steht Heribert im Weg, da er einen anderen Herzog – nämlich Hermann von Schwaben – als Nachfolger auf dem Königs- und Kaiserthron favorisiert. Nachdem sich Heinrich durchsetzen konnte, ist es eine logische Konsequenz, dass Heribert sein Amt verliert und von den Reichsgeschäften ausgeschlossen wird. Heribert und Heinrich II. hatten also gewissermaßen das Pech, dass sie in der macht- und familienpolitisch auf verschiedenen Seiten standen.

Natürlich hatte Heribert mit dem Amt des Kölner Erzbischofs auch nach diesen Auseinandersetzungen noch immer eines der wichtigsten Ämter im damaligen Reich inne. Trotzdem war der Verlust des Kanzleramtes und das Ausscheiden aus der unmittelbaren Königsnähe ein gewaltiger Karriereknick, weil Heribert damit faktisch von den Reichsgeschäften ausgeschlossen war.

Was macht Heribert in dieser Situation? Im Grunde das Naheliegende: Er konzentriert sich auf seine Möglichkeiten. Er resigniert nicht, sondern nimmt seine Aufgaben als Erzbischof von Köln in den Blick, bringt seine Fähigkeiten und Kenntnisse ein, die er im Dienst des Kaisers erworben hat. Und so leistet er auch hier Bedeutendes. Da sind wir wieder bei dem, was am besten belegt ist: die Gründung der Abtei Deutz und das Wirken auf sozial-caritativem Gebiet. In diesem Umgang mit dem Machtverlust stellt Heribert eine Anfrage an uns heute über die Distanz von 1000 Jahren: Wie gehen Politiker heute damit um, wenn sie einen solchen Karriereknick erleben? Wie ist es bei Kirchenleuten? Und wie gehen auch Menschen wie Sie und ich mit unseren Niederlagen um, wenn wir uns – wohlmöglich zu Unrecht – zurückgesetzt fühlen? Wenn wir uns nicht wertgeschätzt und anerkannt fühlen? Da denke ich, dass wir auch heute an Heribert Maß nehmen können.

Auch für die Ökumene scheint die Personalie Heribert interessant zu sein. Die Griechisch-Orthodoxe Gemeinde ist Mitausrichterin des Gedenkjahres. Erhoffen Sie sich aus dem gemeinsamen Gedenken Impulse für die Einheit der Christen?

Wir nehmen Ökumene häufig wahr als Ökumene zwischen evangelischen und katholischen Christen. Aber Ökumene ist natürlich sehr viel mehr und bezieht auch die orthodoxen Christen ein. Da ist interessant, dass Heribert einer der letzten Heiligen der ungeteilten Christenheit ist. Er stirbt 1021, und gut 30 Jahre später, im Jahr 1054, kommt es zum großen Schisma, der Kirchenspaltung zwischen römisch-katholischer und orthodoxer Kirche. Das ökumenische Zeichen ist heute insofern schon gegeben, als seit den 1990er Jahren die griechisch-orthodoxe Gemeinde ihre Beheimatung in Alt St. Heribert gefunden hat. Die Gemeinde hat sich den Namen „Entschlafen der Gottesgebärerin“ gegeben. Das knüpft auch wieder an Heribert an. Das Kloster in Deutz, das Heribert gegründet hat, geht nämlich auf ein Gelübde zurück, das Otto III. und Heribert sich gegenseitig gegeben haben. Es sollte derjenige der beiden, der länger lebt, ein Kloster zu Ehren der Gottesmutter gründen. Indem die griechisch-orthodoxe Gemeinde diesen Namen aufgreift, entspricht sie gewissermaßen diesem Gelübde von Otto III. und Heribert.

Ganz konkret ist der ökumenische Akzent darin zu sehen, dass das Gedenken gemeinsam begangen wird. Beim Pontifikalamt zur Eröffnung des Gedenkjahres in St. Heribert war der Erzpriester der griechisch-orthodoxen Gemeinde zugegen. Am heutigen Todestag gibt es eine Vesper in Alt St. Heribert, zu der die Orthodoxen auch die katholische Gemeinde eingeladen haben. Einer der Höhepunkte wird dann im Sommer die Schreinsprozession sein, die von der katholischen Kirche Neu St. Heribert zur griechisch-orthodoxen Gemeinde in Alt St. Heribert und von da aus zum Bischofssitz des Kölner Erzbischof, dem Kölner Dom, führen wird. Auch diese Prozession mit dem Schrein des hl. Heribert wird von der griechisch-orthodoxen Gemeinde und dem Erzbistum Köln getragen. Die ökumenischen Impulse, die dabei gesetzt werden, liegen also schlicht im gemeinsamen Tun in einem geschwisterlichen Geist.

Ein weiteres wichtiges Element des Gedenkjahres wird die angekündigte Sonderausstellung „Gerechtigkeit. Macht. Frieden. 1000 Jahre Heribert von Köln“ sein. Worauf dürfen wir uns da freuen?

Diese Sonderausstellung verbindet drei Orte, drei Stationen: Zum einen ist da der gesamte Bereich von Alt St. Heribert, also das alte Römerkastell, dessen Fundamente man noch sieht, und die Klostergebäude. Das ist eine interessante topographische Gegebenheit, wo man noch sehr gut die Situation der Gründung nachempfinden kann.

Der zweite Ort ist die Kirche Neu St. Heribert, wo der Schrein des Heiligen Heribert aus dem 12. Jahrhundert steht. Den kann man normalerweise nur von unten mit etwa einem Meter Abstand sehen. Jetzt wird dort ein Gerüst aufgebaut, so dass man diesem Schrein einmal gewissermaßen auf Augenhöhe begegnen kann. Ferner wird die sonst geschlossene Schatzkammer geöffnet. Hier können Sie beispielsweise die Kasel des Heiligen Heribert, seinen Bischofsstab und ein byzantinisches Textil aus dem Schrein des Heiligen sehen. Das sind einfach tolle Objekte aus dieser Zeit des 11. Jahrhundert! Sie haben nicht nur einen hohen optischen Reiz, sondern sind ausgesprochen seltene und wertvolle Objekte.

Der dritte Ort wird dann die Domschatzkammer sein. Hier werden schriftliche Dokumente aus der Zeit des Heiligen Heribert zu ausgestellt sein. Wir sehen dort Urkunden, die Heribert selbst mit seinem Siegel ausgestellt hat, aber auch Fälschungen, also Urkunden, die Heribert nur angeblich ausgestellt hat, die aber mitunter auch sehr spannend sein können. Wir sehen auch Handschriften aus der Dombibliothek – eine Handschrift, die zur Zeit von Heribert entstand, aber auch eine Handschrift, die sich mit der Vita, der Lebensbeschreibung des Heiligen beschäftigt.

Entscheidend ist bei dieser Ausstellung weniger die große Anzahl der Objekte. Es sind vielmehr die zum Teil spektakulären Einzelobjekte, die den Reiz der Ausstellung ausmachen und die sonst nicht oder zumindest nicht aus einer solchen Nähe zu sehen sind. Viele dieser Objekte sind Leihgaben von unterschiedlichen Leihgebern, die speziell zu diesem Anlass nach Köln kommen und die in dieser Konstellation, noch dazu unmittelbar am Wirkungsort des Heiligen Heribert, sicherlich sobald nicht wieder zu sehen sein werden.

Diese Gelegenheit sollte man sich nicht entgehen lassen! Herr Dr. Oepen, ganz herzlichen Dank für das Gespräch.

Weitere Informationen zum Gedenk- und Jubiläumsjahr finden Sie auf der Internetseite

https://www.heribert1000.de

Bilder

Logo des Gedenkjahres „Gerechtigkeit. Macht. Frieden. 1000 Jahre Heribert von Köln“. Bild: Katholisches Stadtdekanat Köln

Dr. Joachim Oepen. Bild: Elke Wetzig auf wikimedia commons. Creative Commons Attribution Share Alike 4.0

Köln, Dom, Katharina-Heribert-Fenster, nach der Restaurierung, Heribert, Kopf © Hohe Domkirche Köln, Dombauhütte; Foto: Glasrestaurierungswerkstatt

Abtei Deutz / Alt St. Heribert. Bild © 1971markus auf wikimedia commons. CC BY-SA 4.0

Otto III. und der Heilige Heribert. Kirchenfenster in St. Heribert in Kreuzau. Bild: Reinhardhauke auf wikimedia commons, (CC BY-SA 3.0)

Die Ikone des heiligen Heribert von Köln (Ausschnitt). Griechisch-Orthodoxe Kirchengemeinde Entschlafen der Gottesgebärerin zu Köln

Heribertschrein in St. Heribert Köln-Deutz. Bild: Michael Wittwer auf Wikimedia commons, (CC BY-SA 4.0)

16. März 2021 || ein Gespräch mit Dr. Joachim Oepen, stellv. Archivleiter des Historischen Archivs des Erzbistums Köln