Der Kreis der Apostel
Die fünf Bunten Kirchen sind reich mit Wandmalereien geschmückt und jede Kirche hat ihr spezielles Ausmalungsprogramm. Es gibt allerdings ein Sujet, das sie alle verbindet, das in jede Kirche gemalt wurde: die Reihe der Apostel. Nicht nur das Thema ist gleich, auch der Anbringungsort ist identisch. Die Apostel befinden sich immer im Chor. Dieser Ort ist bewußt gewählt. Jesus hat zusammen mit den Aposteln das Letzte Abendmahl gefeiert und in den Chören umstanden sie zu ihrer Entstehungszeit (und zum Teil noch heute) den Altar, an dem in jedem Gottesdienst an dieses Ereignis erinnert wurde und heute noch wird. Außerdem gelten sie als Beisitzer beim Jüngsten Gericht, das in Lieberhausen, Marienberghausen und Wiedenest in unmittelbarer Nähe der Apostel abgebildet wurde.
In der Bibel wird in den Evangelien von einer Auswahl aus den Jüngern Jesu berichtet, die auch „die zwölf Apostel“ oder kurz „die Zwölf“ genannt werden. Die in den vier Evangelien überlieferten Namenslisten unterscheiden sich allerdings sowohl in der Zahl der Apostel als auch in deren Namen. Einigkeit herrscht im Neuen Testament nur über acht Apostel. Nach der Himmelfahrt Christi wurde Matthias anstelle des Verräters Judas in das Apostelkollegium gewählt. Zusätzlich erhielt Paulus schon in der frühen Kirche die Anerkennung als Apostel. Da in der Kunst die Zwölfzahl entscheidender war als historische Rücksichten, wurde Matthias häufig ignoriert und dafür Paulus hinzugenommen.
Die älteste Apostelreihe der Bunten Kirchen besitzt Marienhagen, wo die Wandmalereien um 1300 entstanden sind. Hier stehen die Apostel zwischen der Marienkrönung im Gewölbe und Szenen wie der Anbetung der Hl. Drei Könige unter ihnen. Angeführt werden sie wie in allen Bunten Kirchen von Petrus und Paulus. Als erster steht Petrus, immer mit kurzgelocktem Haar und ebensolchem Bart, die hoch erhobenen Schlüssel in der linken Hand. Es folgt Paulus mit der für ihn typischen Glatze und dem Schwert, das auf sein Martyrium durch Enthaupten anspielt. In der Regel reihen sich nach den beiden Apostelfürsten Andreas und Johannes ein, aber in Marienhagen befindet sich Johannes ungewöhnlicherweise erst an siebter Stelle, gut erkennbar an seinem jugendlichen Aussehen ohne Bart und mit gelocktem Haar sowie einem Ölfaß, in dem er laut Legende gesotten werden sollte. Warum tanzt Johannes hier aus der Reihe? Beobachtet man die Marienhagener Kirche im Laufe des Jahreskreises, dann fällt auf, daß am 24. Juni, dem Johannistag, die Sonne durch das Fenster in der Nordwand genau auf Johannes fällt und ihn beleuchtet. Kurz vor 1300 hatte der Johanniterorden die Kirche in Marienhagen übernommen, sie im gotischen Stil neu erbaut und im Chor aufwendig ausmalen lassen. Der Patron des Johanniterordens ist Johannes, allerdings nicht der Apostel, sondern Johannes, der Täufer und sein Feiertag ist der 24. Juni. Dies wußten die Johanniter selbstverständlich, aber für sie war es wichtig, daß am 24. Juni ein Johannes beleuchtet wurde, zumal die beiden Johannes im Mittelalter oft zusammen verehrt wurden.
In Wiedenest befinden sich die Apostel in der oberen Reihe im Chor, jeweils vier an der Nord- und Südwand, während die vier an der Ostwand verloren gingen. In Marienberghausen stehen sie in der Reihe unterhalb des Weltgerichts und beginnen mit der klassischen Vierergruppe Petrus, Paulus, Johannes und Andreas. Trotz der Restaurierungen sind sie sowohl von ihren Attributen her als auch von der Physiognomie gut zu erkennen. In Lieberhausen startet die Reihe ebenfalls mit diesen Aposteln. Hier sind alle zwölf Apostel deutlichst gekennzeichnet, sowohl mit ihren Attributen als auch durch die über ihnen befindlichen Namen. Dies ist der Restaurierungsgeschichte von Lieberhausen geschuldet. Der Restaurator Anton Bardenhewer stellte die nach ihrer Aufdeckung recht beschädigten Wandmalereien wieder so her, daß keinerlei Verluststellen mehr zu sehen waren. Während in den anderen Bunten Kirchen diese Übermalungen Bardenhewers in den 1950er Jahre abgenommen und damit alle Apostel in den Zustand versetzt wurden, wie sie zu Beginn des 20. Jahrhunderts aufgedeckt worden waren, wurden in Lieberhausen die Wandmalereien im Gegenteil aufgefrischt und wirken von daher wie neu.
Etwas Besonderes bieten die Apostel in Müllenbach, wo nur noch sie neben dem hl. Franziskus im Querhaus von der einstigen Ausmalung erhalten sind. Auf der Nordseite des Chores beginnt die Reihe wieder mit Petrus mit dem Schlüssel, Paulus mit dem Schwert, Johannes mit dem Kelch und Andreas mit dem Andreaskreuz. Die übrigen Apostel sind schlechter zu identifizieren und in Teilen nicht mehr gut erhalten. Einzigartig im Reigen der Bunten Kirchen sind die die Apostel umgebenden Weinstrauchranken, die aus einem kräftigen Wurzelstock am Boden erwachsen. Die Ranken tragen Blätter und Weintrauben, dazwischen sind kleine schwarze Sterne gestreut. Mit dem Weinstock und den anhängenden Weinreben ergibt sich ein deutlicher Bezug auf das Letzte Abendmahl, dessen Erinnerung jeden Tag zu Füßen der Apostel im Chor gefeiert wurde. Es ist die Besonderheit der Müllenbacher Apostel, durch die sie umgebende Weinranke den eucharistischen Ort in dieser Weise zu betonen, wie es keine weitere Apostelschar in einer der anderen Bunten Kirchen tut.